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»Sag Ihrer Durchlaucht ’n Gruß von mir«, meinte Grunthor trocken, als Achmed zur Tür ging, die ihn zu den Ausgangstunneln des Kessels führte. Sie führten durch die Brustwehre und auf die offene Steppe dahinter. »Und vergiss nicht meine gezuckerten Mandeln. Wenn wir schon das Reich gefährden, sollten wir wenigstens was Leckeres zu essen haben. Bring außerdem jeden Lirin mit, den du auf dem Karneval triffst. Besonders die Dunkelhaarigen, die schmecken am besten.«

»Ich bin in zwei Wochen zurück«, sagte der Bolg-König. »Bis dahin sollte nichts explodieren, in sich zusammenbrechen oder herunterfallen – es sei denn, es ist der Kopf des Nain-Botschafters.«

Die Reise durch die Erde war gleichzeitig Segen und Fluch, fand die Drachin.

Nun umgab sie eine Kraft, die in der eisigen Wüste ihres Nestes nicht existiert hatte. Es war eine schwingende Wärme, die sie in der Erdkruste spürte. Die Erde hieß sie willkommen, auch wenn es noch ein kühles Willkommen war. Die Rückkehr ihres Namens hatte ihr nur Bruchstücke von Erinnerungen gebracht. All jene, die an das Element gebunden waren, aus dem die Linie ihrer Mutter stammte, waren noch immer verschüttet. Unter der Erde war das Lied, das auf ihren Ruf geantwortet hatte, gedämpft und schwerer zu vernehmen, auch wenn es noch irgendwo in der Ferne ertönte. Die Drachin war sich seiner Richtung nach wie vor nicht sicher, und in ihrer Zielstrebigkeit hatte sie oft den Eindruck, dass es von allen Seiten kam, was sie sehr verwirrte. Ihr Verstand, der früher einmal so scharf wie eine Messerklinge gewesen war, wurde immer noch schnell durcheinander gebracht, und oft musste sie mit einer an Wut grenzenden Verzweiflung feststellen, dass sie im Kreis gegangen, den Weg verloren oder einen Pfad durch die Dunkelheit genommen hatte, der sie in die Irre führte.

Doch das ferne Jammern blieb und leitete sie nach Süden und zurück auf den Pfad, wenn sie vom Weg abgekommen war.

Es wird lange dauern, bis ich dort ankomme, dachte sie nach einem besonders enttäuschenden Irrweg. Aber wenn ich es geschafft habe, wird es die Mühen wert sein.

Der Blutdurst in ihrem Herzen brannte heller in der Dunkelheit der Erde.

18

Haus des Hauptpriesters neben dem Nachtberg

Um Mitternacht klopfte Talquist an Lasarys’ Tür. Es dauerte einige Minuten, bis der Hauptpriester von Terreanfor halb angezogen zur Tür des Hauses gelaufen war und sie unter Ausbrüchen heftigsten Klopfens geöffnet hatte. Sobald sich die Klinke bewegte und die Tür einen Spaltbreit offen stand, drängte der zukünftige Kaiser herein.

»M... mein Herr«, keuchte Lasarys und raffte sein Nachtgewand. Die Kerze in seiner alten Hand zitterte so sehr, dass ihm das Wachs auf den Unterarm tropfte. »Was ... was ist los?«

»Ist es erledigt?«, wollte Talquist wissen. »Der Soldat – ist er gefällt?«

Der Priester ließ den Kopf hängen und seufzte. »Ja«, sagte er niedergedrückt. »Und in Leinen eingewickelt, das mit heiligem Wasser getränkt ist. Aber er ist noch nicht zum Altar gebracht worden.«

»Gut. Lass das bleiben und bring ihn stattdessen auf den Marktplatz von Jierna’sid.«

»Jetzt sofort?« Der Priester wirkte entsetzt.

»Ja, jetzt. Hol deine Diener. Weck sie auf.«

»Sie ... sie sind erschöpft, mein Herr. Es war ein sehr ergreifender und schwieriger Tag.«

Das Gesicht des zukünftigen Kaisers verhärtete sich im Kerzenschein. »Es wird auch eine schwierige Nacht werden, aber danach können sie sich ausruhen. Hol sie, Lasarys.«

»Ja, Herr.« Der Hauptpriester verschwand in der Dunkelheit seines Hauses.

Jeder einzelne Diener im Kloster des Tempels war nötig, um den Schlitten mit der riesigen Statue aus Lebendigem Gestein auf den Platz vor dem Palast von Jierna Tal zu ziehen.

Talquist hatte seiner Wache, dem Bergregiment, das Jierna Tal und den Kaiser beschützte, befohlen, den Weg zwischen dem Nachtberg und dem Platz der Waage abzusperren und die Bevölkerung fern zu halten. Unter gewissen Mühen hatten sie den abendlichen Frieden aufrechterhalten können. Am Platz der Waage wohnte niemand außer dem Kaiser; daher war es möglich, mitten in der Nacht einen großen Wagen hierher zu ziehen, ohne dass es jemandem auffiel.

Lasarys war während der ganzen Unternehmung still und blass gewesen und sah zitternd zu, wie die Diener langsam den Wagen entluden. Zwanzig von ihnen trugen die eingewickelte Statue auf schweren Balken, an denen sich je zwei Männer abmühten. Langsam erkletterten sie die Plattform, auf der die Waage stand. Als die Priester die gewaltige Gestalt auf die östliche der beiden Waagschalen legten, wandte Lasarys sich schließlich an Talquist. In seiner Stimme lag Qual.

»Was macht Ihr da bloß, Herr?«, flüsterte er verzweifelt. »Bitte sagt mir, dass diese Entweihung einen Sinn hat, einen höheren Sinn. Ich fühle mich, als hätte ich eine Scheußlichkeit begangen, welche die Mutter Erde mir nie verzeihen wird.«

Talquist drehte sich um und beobachtete den leidenden Priester mit Augen, die kurz zuvor noch vor Erregung geleuchtet hatten, nun aber den sanften Glanz des Mitleids zeigten.

»Nur Mut, Lasarys. Was wir hier tun, hat nichts mit Zerstörung oder Entweihung zu tun. Es ist eine Wiedergeburt.« Er klopfte beruhigend auf den Arm des Priesters. »Erinnerst du dich, als ich vor vielen Jahren dein Hilfspriester war und du mir die Geschichten von der Entstehung Terreanfors erzähltest? Von dem Glauben, dass die alten Völker die Samen der Blumen und Bäume gepflanzt hätten und das Lebendige Gestein, das noch voller Schöpferkraft war, diese wunderbaren Statuen erschaffen habe, die noch immer die Basilika schmücken? Dass die Tiere und Vögel auf gleiche Weise gebildet worden seien, nämlich von der Erde selbst, indem sie einen Teil der jeweiligen Tiere verwendete?« Lasarys nickte schwach. »Wenn das der Fall ist, Lasarys, was glaubst du, woher die Soldatenstatuen stammen?«

Der Hauptpriester erbleichte. »Ich ... ich habe keine Ahnung«, stammelte er.

»Wäre es möglich, Lasarys, dass es begrabene Helden der Vorzeit gibt, die in der Wärme der Lebendigen Erde liegen und zu Statuen geworden sind, damit man sie auf diese Weise als große Krieger ehren kann?«

»Ja, das wäre möglich, Herr, aber was ... was der Mutter Erde in die Arme gegeben wurde, sollte dort verbleiben«, erwiderte Lasarys zögernd. »Es wäre Narrheit, es zurückzuholen und die Toten wieder zum Leben zu erwecken. Das ist gegen die Natur.«

Talquist zog verärgert die Brauen zusammen. »Ich habe nicht vor, die Toten zu erwecken, Lasarys«, sagte er scharf und sah zu, wie die Diener die Balken unter der Statue entfernten, die nun auf der Waagschale lag. »Ich versuche nur, ungenutztes Leben zu erschließen. Ich will es sozusagen übertragen.« Er nickte den Dienern wohlwollend zu, die sich über die Stirn wischten und damit andeuteten, dass ihre Arbeit beendet war. »Gut gemacht. Vielen Dank.« Er wandte sich an den Hauptmann seiner Garde und redete so laut, dass die Diener ihn hören konnten.

»Führt diese heiligen Männer in den Palast, wo eine Erfrischung für sie bereitsteht. Nachdem sie gegessen haben, führt ihr sie zu den Wagen und bringt sie zurück zu ihren Betten im Kloster, damit sie sich niederlegen und nach dieser schwierigen Arbeit ausruhen können – alle bis auf zwei.« Die müden Diener des Hauptpriesters verneigten sich und folgten dem Hauptmann der Wache in den Palast.

Talquist gab den Soldaten ein Zeichen. Sie brachten zwei Männer, Dominikus und Lester, zu Lasarys. Sie standen vor ihm und tauschten fragende Blicke aus, rührten sich aber nicht.

»Bringt den Tank der Kreatur herbei«, befahl der Herrscher.

Langsam wurde ein mit Leinwand umwickelter Handkarren aus den kaiserlichen Ställen gerollt. Die Priester schauten zu, wie der Tank ausgewickelt und zerschmettert wurde. Aus dem Schutt wurde ein bleiches Geschöpf von krankhafter Gestalt gezogen, dessen Fleisch schlaff an den Knochen hing und kaum mehr als Knorpel zu sein schien.

»Grundgütiger All-Gott, was ist das?«, flüsterte Dominikus Lasarys zu, doch der Hauptpriester hob die Hand und gebot ihm zu schweigen.