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»Morgen kannst du viel Spaßiges unternehmen«, sagte Rhapsody zu Bobo. Er nickte und reckte sich nach der Plätzchenschachtel. Die beiden Frauen lachten, und Rhapsody gab sie ihm, während sie ihn festhielt, damit er nicht kopfüber aus dem Bett fiel. »Sie sind wirklich wunderbar«, sagte sie, stibitzte zwei Plätzchen und gab eines Jecelyn. »Sie werden in Tyrian hergestellt. Ingwer ist ein Gewürz gegen Übelkeit. Ich kann morgens nichts anderes essen.«

»Ich erinnere mich an diese Zeit«, sagte Jecelyn wehmütig. Ihre Augen verdunkelten sich, und Rhapsody ergriff ihre Hand. Ihr Gemahl Andrew war vor der Geburt seines Sohnes gestorben. Kurz darauf stand Jecelyn auf und ging zum Turmfenster, von wo aus man das gleißende Fackellicht von den beiden Glockentürmen sehen konnte, die vor Hagueforts Vordertor standen. Sie erhellten die dunkle Nacht und den silbrigen Schnee, der nun in sanften Schleiern vor dem Wind hertrieb. »Sind das die Türme, bei denen er gestorben ist?«

»Ja«, sagte Rhapsody und fuhr mit den Fingern durch Bobos Haar. »Man hat sie wiedererrichtet.«

Jecelyn drehte sich zu ihr um. »Welcher war es?«

»Der rechte, glaube ich«, meinte die cymrische Herrin sanft. »Ich bin mir nicht sicher. Ich war während des letzten Karnevals nicht hier.«

»Ja, es war der rechte«, sagte Ashe, der soeben den Raum betreten hatte. Er ging zum Bett, beugte sich hinunter und küsste seine Frau auf die Wange. Dann nahm er den schmatzenden Jungen von ihrem Schoß und hob ihn hoch in die Luft. Er hielt ihn mit dem Kopf nach unten, was Freudenschreie bei dem Jungen und besorgte Blicke bei den Frauen hervorrief. Als Nächstes hielt er Bobo bei den Füßen und schwang ihn zwischen die eigenen Beine. Die Locken des Kindes fegten über den Seidenteppich. Dann zog er ihn wieder zurück und ging mit ihm zu Jecelyn.

»Ich war damals auch nicht hier, aber ich habe die Berichte sorgfältig gelesen. Er und Dunstin Baldasarre sahen den Angriff kommen – sie waren hinter dem Tor – und liefen jeder auf einen Turm zu, denn wenn sie die Glocken läuten konnten, wären Stephen und die anderen auf dem Feld gewarnt. Dunstin nahm den linken Turm, Andrew den rechten. Dunstins Turm wurde durch Katapultfeuer zum Einsturz gebracht, gerade als er ihn erreicht hatte, doch Andrew war schneller und konnte Alarm schellen, bevor ... bevor auch dieser Turm in sich zusammenfiel.«

Ashe ergriff Jecelyns Hand und sah ihr in die Augen. Er verstand, warum sie eine Antwort auf diese und andere Fragen haben musste. Es waren Teile eines Mosaiks, die erst zusammen ein Ganzes ergaben.

Jecelyn nickte und nahm ihren Sohn in die Arme. »Vielen Dank«, sagte sie. »Es hilft mir, es ein wenig zu verstehen. Nun haben wir Euren Abend genug gestört. Vielen Dank, Rhapsody, für die Plätzchen und die Geduld. Wir sehen uns morgen früh.«

»Gute Nacht, Jecelyn. Gute Nacht, Bobo«, rief Rhapsody, als sie im Korridor verschwanden. Bobos Protestjammern hallte von den rosigen Steinwänden Hagueforts wider.

Als das Gekreisch in der Ferne erstarb, brachen die beiden Herrscher in Gelächter aus.

»Siehst du, was uns erwartet?«, meinte Rhapsody, als Ashe kichernd sein Hemd öffnete.

»Ein freudiger Lärm«, erwiderte er, schlüpfte aus seinen Kleidern und in das Bett neben Rhapsody. »Es ist gut, heute einen solchen Krach hier zu haben. Dieser Ort ist erfüllt von der Art von Musik, die Stephen gemocht hat: Lachen, Freudengeheul und fröhliche Auseinandersetzungen. Ich weiß, dass er uns beobachtet, wo immer er jetzt sein mag. Ich hoffe, die Zeremonie morgen erfüllt ihn mit Stolz.«

»Er war immer stolz auf Gwydion und Melisande, Sam«, sagte Rhapsody, öffnete die Arme und hieß ihn in der Wärme der Laken willkommen. Sie fuhr mit den Händen über seine Schulter und entspannte so die Muskeln.

»Ich hoffe, morgen wird auch Gwydion stolz auf sich sein.«

»Er sollte es. Die Zeremonie wird würdig, bescheiden und vor allem kurz sein, was gut für ihn und auch für uns ist. Und dann werden wir uns wieder in die Feierlichkeiten stürzen.« Ashe löschte die Kerze und zog die Laken um sich und Rhapsody. Er machte es sich in der Dunkelheit bequem und atmete tief ein, als er seine Frau in die Arme nahm. Für eine Weile gab es nur noch das Geräusch raschelnder Laken in der Finsternis. Dann erfolgte ein Zittern und

Seufzen, das sogar durch den Wind und den Festlärm von unten hörbar war.

»Was ist?«, fragte Rhapsody.

Aus den Tiefen der Laken drang ein einziges Wort.

»Plätzchenkrümel.«

Das Feuer im Kamin des Gästezimmers knisterte und flackerte im Einklang mit dem Jaulen des Winterwindes vor den großen Fenstern, die den Festplatz überblickten, auf dem die Feiern dem Schlaf gewichen waren. Nur die Hartnäckigsten feierten noch leise weiter.

Tristan Steward hörte, wie die Tür behutsam geöffnet wurde. Er lächelte und nahm noch einen Schluck aus dem schweren Kristallglas voll ausgezeichnetem canderianischem Branntwein.

»Es wurde Zeit, dass du kommst«, sagte er, ohne hinter sich zu schauen. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange du dein sittsames Benehmen aufrechterhalten kannst.«

»Ich glaube, ich weiß nicht, was du meinst.« In der Stimme der Frau hinter ihm lag ein kehliges Kichern. Wenn Tristan dieses Kichern hörte, durchfuhr ihn immer wieder eine Welle der Wärme. Er stellte das Glas auf den Tisch vor ihm, drehte sich langsam um und ließ sich vom Feuer den Rücken wärmen.

Die Gestalt der Frau wurde von hinten durch das Fackellicht im Korridor erhellt und warf daher einen langen Schatten in seine Richtung. Sie drehte sich um und schloss die Tür des Gästezimmers, dann schlenderte sie zu dem Herrn von Roland und blieb vor ihm stehen. Sie lächelte ihn anmaßend an.

»Gefallen dir die Festlichkeiten, Portia?«, fragte Tristan und streichelte die Porzellanwange des Stubenmädchens.

Die junge Frau zuckte die Schultern. »Es ist ganz anders, als ich erwartet hatte.«

»Ach? Wieso?«

Die dunkelbraunen Augen der jungen Frau funkelten böse. »Deiner Beschreibung nach hatte ich Trunkenheit und öffentliche Ausschweifungen erwartet. Es ist aber viel zahmer, als ich gehofft hatte.«

»Es ist noch früh«, sagte Tristan, zog ihr das weiße Stubenmädchentuch vom Kopf und warf es auf den Boden.

»Das ist erst die erste Nacht. Früher war sie dazu da, sich hier häuslich einzurichten. Die wahren Feiern beginnen morgen. Aber du hast Recht. Über diesem Fest liegt ein Schatten, wohl wegen des Grauens, das sich hier beim letzten Mal vor ein paar Jahren ereignet hat. Der Herr der Cymrer hat den Umfang des Festes zurückgeschraubt. Ich fürchte, wir müssen die Ausschweifungen im Privaten feiern.«

Portias liebliches Gesicht verzog sich zu einer spöttischen Schnute. »Wo bleibt denn da der Spaß?«, fragte sie heiter. »Wenn das alles ist, hätten wir auch in Bethania bleiben können.«

»Nein, das weißt du«, sagte Tristan und zog die Schlaufen ihres Mieders sowie ihrer Schürze auf. »Es gibt viel für dich zu tun, wenn ich abgereist bin, und es ist sehr wichtig für mich, dass du deine Arbeit gut machst.«

Portia drückte seine Hände von ihren Brüsten weg. »Mache ich das nicht immer?«, fragte sie mit blitzender Belustigung in den Augen. »Mein Herr und Gebieter?«

Tristan holte tief Luft. Was er an Portia am meisten mochte, waren ihre Unverschämtheit und die Fähigkeit, in der Öffentlichkeit so sittsam und schicklich wie jedes bäuerliche Stubenmädchen in seinem Haushalt zu wirken, während sie hinter verschlossenen Türen herrschsüchtig und frech wurde. Zweifellos hätte ein Mann von geringerer Geburt ihre feurige Natur nicht schätzen können, doch Tristan hatte eine Schwäche für starke Frauen.

Ihre groben Neckereien und ihr Hang zur sexuellen Dominanz erinnerten ihn an eine alte, schon seit langem tote Freundin, die er zu ihren Lebzeiten mehr geliebt hatte, als ihm klar gewesen war. Prudentia und er waren am selben Tag im Abstand von nur wenigen Minuten im selben Schloss geboren worden. Er war der älteste Sohn von Malcolm Steward und sie die Tochter der Favoritin und Dienerin seines Vaters. Sie waren unzertrennliche Freunde gewesen; sie war seine erste Geliebte und unermüdliche Vertraute geworden, die ihm oft sein schlechtes Benehmen und seine Fehler vorgehalten, ihn aber blind geliebt hatte. Ihr Tod hatte ihn vernichtet, doch er hatte weiter gelebt und sich durch eine lieblose Ehe mit Madeleine, dem Biest von Canderre, und zahllose Liebschaften mit Dienerinnen gekämpft.