»Deine Großmutter hatte denselben Gesichtsausdruck in der Nacht, bevor die Lirin sie als Königin eingesetzt haben«, sagte Achmed.
Der junge Mann drehte sich um und lächelte schwach. »Na, dann bin ich ja in guter Gesellschaft.« Er stand auf und streckte die Hand aus. »Willkommen, Majestät. Ich habe Euch gestern nicht gesehen. Seid Ihr gerade erst angekommen?«
»Ja«, antwortete der Bolg-König und schüttelte Gwydions Hand mit seiner behandschuhten Rechten, was er nur sehr selten tat. »Ich habe dir etwas mitgebracht.«
»Ach?«
Achmed holte unter seiner Robe einen in Öltuch gewickelten Gegenstand hervor und übergab ihn Gwydion. Der zukünftige Herzog nahm ihn mit fragendem Blick entgegen, und als Achmed nichts dazu sagte, löste er langsam die Bänder und wickelte das Öltuch aus. Als er die letzte Schicht entfernte, fuhr ihm plötzlich eine heftige Brise durch das Haar und zauste es. Sie war kalt und stechend und schien aus dem Päckchen selbst zu kommen. Inmitten des Tuchs lag ein Schwertgriff aus poliertem schwarzem Metall, wie er es noch nie gesehen hatte. Es war mit verschlungenen Schriftzeichen geschmückt und das Querstück in entgegengesetzte Richtungen gebogen. Eine Klinge gab es nicht.
»Das ist eine uralte Waffe – das Elementarschwert der Luft, das unter dem Namen Tysterisk bekannt ist«, erklärte Achmed ruhig. »Auch wenn du den Schaft und die Klinge nicht erkennen kannst, solltest du dir doch darüber im Klaren sein, dass beides da ist. Sie besteht aus reinem und unnachgiebigem Wind. Sie ist so scharf wie eine aus Stahl geschmiedete Klinge, aber weitaus tödlicher. Ihre Kraft strömt durch den Besitzer des Schwertes. Bis vor kurzem befand es sich in den Händen einer Kreatur, die Rhapsody entführt hatte. Sie war teils Mensch, teils Dämon und ist jetzt tot. Zumindest scheint es so. Das Schwert war vom schwarzen Feuer der F’dor befleckt, doch es wurde in dem Wind gereinigt, der den Griwen umtost, den höchsten Berg der Zahnfelsen. Ich habe es nach dem Kampf, der seinen früheren Besitzer das Leben gekostet hat, für mich beansprucht, doch nur, weil ich es dir übergeben wollte. Ashe und ich sind der Ansicht, du solltest es haben. Wenn man es recht bedenkt, ist das vermutlich das einzige Mal, dass wir einer Meinung waren.«
Gwydion starrte den Schwertgriff an. Er entdeckte in den Wirbeln der Gravuren Bewegungen, doch sie waren allzu flüchtig. Er blinzelte und versuchte ihnen zu folgen, verlor sie aber aus dem Blick. Ein Zittern der Erregung, gemischt mit Ehrfurcht und Schrecken, stieg in ihm auf. Der Schwertgriff war schwer und summte vor Macht.
»Ich ... ich weiß nicht, ob ich für ein solch gewichtiges Geschenk schon bereit bin«, sagte er zögernd. Seine Hände erbebten sowohl unter den Schwingungen als auch unter seiner eigenen Erregung. »Ich habe nichts vorzuweisen, das mich einer solchen Waffe würdig macht.«
Achmed schnaubte. »Das ist ein Trugschluss, der von selbstverliebten Narren verbreitet wurde«, sagte er verächtlich. »Man kann sich einer Waffe erst als >würdig< erweisen, wenn man sie benutzt. Nur darin zeigt sich, ob du sie zu Recht führst. Das ist ein Elementarschwert, und niemand ist seiner wirklich würdig.«
»Wollt ... wollt Ihr es nicht haben?«, fragte Gwydion nervös. In seinen Augen schimmerte es.
Achmed schüttelte den Kopf. »Nein. Abgesehen von dem, was ich vorhin über die Würdigkeit gesagt habe, wählen sich Waffen von solch alter Macht in Wahrheit ihre Träger selbst. Ich ziehe es jedoch vor, mir meine Waffen selbst auszusuchen.«
»Wie Eure Cwellan?«
Der Bolg-König nickte. »Sie ist meine eigene Erfindung«, sagte er und zuckte leicht die Achseln, um das wie eine asymmetrische Armbrust geformte, mit einem gebogenen Lauf versehene Gerät hinter seinem Rücken hervorschauen zu lassen. »Ich habe sie erfunden, um meine Kraft noch zu verstärken und meine Schwächen auszugleichen, doch in der Hauptsache ist sie an die Art von Beute angepasst, die ich früher gejagt habe.« Er deutete auf eine Haspel, an der hauchdünne Scheiben hingen. »Sie schießt drei gleichzeitig ab, wobei jede die vorangehende tiefer ins Fleisch treibt. Und ich kann sie meinen Bedürfnissen anpassen. Diese hier habe ich entwickelt, um die Haut eines Drachen zu durchdringen.« Er warf einen Blick über die Schulter auf die Tribüne.
»Zweifellos ist Ashe in der Nähe. Vielleicht kann ich sie bald einsetzen.«
Gwydion kicherte. »Wie habt Ihr sie für die Drachenjagd ausgelegt?«
»Sie hat einen besonders schweren Rückstoß«, erklärte Achmed. »Drachenhaut ist so dick wie Stein. Auch die Scheiben sind anders. Sie bestehen aus Rysin-Stahl, das in erhitztem Zustand besonders gut formbar ist und sich beim Abkühlen zusammenzieht.
Sobald sie im Körper stecken und seiner Wärme ausgesetzt sind, dehnen sie sich stark aus und vergrößern die Wunde noch einmal um ein Vielfaches.« Er drehte die Cwellan liebevoll in der Hand. »Viele meiner Ideen stammen von einer Waffe, an der Gwylliam vor seinem Tod arbeitete. Ich vermute, er hatte einige Schwierigkeiten mit der Drachin, die seine Ehefrau war. Die Eigenschaften von Feuer und Erde führen dazu, dass sich die Scheiben ausdehnen, und daraus bestehen Drachen in der Hauptsache – trotz aller anderen elementaren Eigenschaften, die sie besitzen.«
»Ihr wisst, dass es bei Ashe nicht funktioniert«, meinte Gwydion scherzhaft und versuchte, den summenden Schwertgriff in seiner Hand nicht zu beachten, was ihm jedoch nicht gelang. »Er besteht hauptsächlich aus Wasser.«
Achmed schaute die Waffe in seinen Händen an.
»Hmm«, machte er schließlich. »Zurück zum Zeichenbrett.«
Gwydion lachte. »Ihr braucht es sowieso nicht für Ashe«, sagte er. »Auch wenn Ihr es vielleicht anders seht, so seid Ihr doch Verbündete. Aber ich habe Eure Waffe im Einsatz gesehen. Es war diese Cewllan, die Anwyn in der Schlacht am Gerichtshof aus der Luft geholt hat, nicht wahr?«
Achmed schulterte die Cwellan wieder. »Ich habe sie getroffen und ihr eine oder zwei Klauen abgeschossen, aber der Ruhm, sie getötet zu haben, gebührt allein Rhapsody«, sagte er und sicherte die Waffe unter seiner Robe. »Sie befand sich im Griff der Drachin und konnte sich mithilfe der Tagessternfanfare befreien. Sobald sie frei war, hat sie das Sternenfeuer auf Anwyn herabgerufen und sie dann in ihrem Grab eingesperrt. Man könnte vielleicht sagen, dass ich ihr beigestanden habe – wie Anborn, den es den Gebrauch seiner Beine gekostet hat.« Er schaute über die Schulter, als die Trompeten plötzlich und laut in der Ferne schmetterten. Der Bolg-König zuckte zusammen. »Ich vermute, das ist die unaufdringliche Art deines Paten, dir mitzuteilen, dass deine Anwesenheit vonnöten ist.«
Gwydion nickte. »Was soll ich damit machen?«, fragte er und deutete auf Tysterisk.
Achmed zuckte die Schultern. »Es liegt nun an dir, es zu gebrauchen, zu tragen und mit ihm zu leben«, sagte er gleichgültig. »Es sollte bei deiner Amtseinsetzung dabei sein, vorausgesetzt du willst es haben. Wenn du die Verantwortung annimmst, ein solches Schwert zu besitzen, musst du es gebrauchen, wenn es nötig ist, auch wenn es dich dein Herzogtum kosten sollte. Aber irgendwie bezweifle ich, dass du damit Schwierigkeiten bekommen wirst. Wende dich an Anborn, damit er dich im Gebrauch von Tysterisk unterweist.« Er drehte sich um und wollte gehen, hielt jedoch inne und warf einen Blick zurück auf den nervösen jungen Mann. »Es ist gut, bereit zu sein. Ich bin hergekommen, um dir das zu sagen. Deswegen wollte ich dir das Schwert eigenhändig übergeben. Die Welt, in der du nun deinen Platz beanspruchen wirst, ist ein unsicherer Ort, doch eines lässt sich ohne jeden Zweifel vorhersagen: Früher oder später wirst du kämpfen müssen. Und dann solltest du die bestmögliche Klinge in der Hand haben. Bedenke, dass du die Waffe führst. Lass nicht zu, dass sie dich führt.«