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Gwydion nickte und schaute noch einmal hinunter auf den Schwertgriff. Er glaubte die blauschwarzen Umrisse der Klinge vor dem braunen Öltuch zu erkennen; sie glomm matt, und kleine Windböen wirbelten ziellos in ihr umher. Er betrachtete sie gebannt, bis die Trompeten wieder erschallten. Dann schüttelte er die Träumerei ab und schaute auf.

»Vielen Dank ...«, sagte er, doch Achmed war schon weg.

Während Faron westwärts ging, holte ihn der Winter ein.

Tag für Tag gewöhnten sich Körper und Geist mehr aneinander. Hände und Füße, die anfangs völlig fremd und unbiegsam gewesen waren, dienten ihm nun so wie jedem anderen Menschen. Sein Verstand war noch umwölkt und schwamm in einem Meer verworrener Gedanken und Erinnerungen an einen alten Soldaten, einen noch älteren dämonischen Vater und das geschlechtslose Wesen, das er selbst einmal gewesen war.

Die unwirtliche Wüste war inzwischen Steppe und trockenem Grasland gewichen, durch das gelegentlich Nomaden und Karawanen zogen. Faron hatte sich versteckt, wann immer er den einen oder anderen begegnete. Seine Augen waren die Sonne nicht gewöhnt, wurden aber allmählich stärker, und inzwischen konnte er mit ihnen den Horizont nach allem Beweglichen absuchen. Während er dem Lauf der Sonne folgte, stellte er fest, dass der Winter die Gegend, in die er nun kam, bereits im Griff hatte. Er erinnerte sich vage an seine Zeit als Soldat des Schnees, der in seine erdgeformten Beine stach, doch ansonsten störte er Faron nicht. Der Schnee behinderte ihn nur wenig, allerdings machte er es ihm schwieriger, sich zu verstecken.

Er zog über die frostgebleichten Ebenen des oberen Sorbold bis in die südliche Provinz Navarne, immer tiefer in das Reich des Winters hinein.

Sein gebrochener Verstand kochte und verlangte nach Zerstörung.

22

Winterkarneval

Als Achmed von dem Gespräch mit Gwydion Navarne zurückkehrte, begab er sich sofort in den Garten, wo er Rhapsody allein zurückgelassen hatte. Wie der Zufall es wollte, befand sie sich jedoch bereits in der Speisekammer und bereitete sich auf das Fest vor. Also war er allein, als der Botschafter der Meeresmagier auf ihn zukam.

Er blieb stehen und starrte JaFasee über den Rand seiner Schleier an. Seine verschiedenfarbigen Augen nahmen den Mann ins Visier, als ziele er mit seiner Cwellan auf ihn.

»Ihr lebt«, sagte er anklagend.

JaFasee seufzte und steckte die Hände in seinen Umhang.

»Ja«, erwiderte er. »Es tut mir Leid.«

Achmed sah sich im Garten nach Rhapsody um. »Wenigstens sind wir einmal einer Meinung, JaFasee«, sagte er knapp. Er drehte sich um und wollte fortgehen, hielt jedoch inne, als der Meeresmagier die Hand hob.

»Ich warte schon beinahe drei Monate auf Euch, Euer Majestät«, sagte er mit seiner bemerkenswerten Stimme.

»Ich bitte Euch, mir für einige Augenblicke die Ehre Eurer Aufmerksamkeit zu erweisen; dann werde ich mich zurückziehen und Euch den Freuden des Festes überlassen.«

Achmed schnaubte. »Kommt zur Sache.«

JaFasees Gesicht verlor den Ausdruck der Heiterkeit. »Glaubt mir, Euer Majestät, was ich Euch zu sagen habe, ist sehr ernst.«

»Dann fangt an. Ich habe noch viel Wichtiges zu erledigen. Zum Beispiel muss ich Rhapsody sagen, dass ich ihr beinahe fertig gestelltes Haus niederbrennen werde, falls sie uns noch einmal zum selben Fest einlädt.«

»Habe ich da etwa gehört, wie mein Name ohne die rechte Ehrerbietung ausgesprochen wurde?«, fragte die Herrin der Cymrer scherzhaft, als sie wieder in den Garten kam. »Offenbar ist Achmed zurückgekehrt.«

»Wenn ich gewusst hätte, dass du mich mit diesem Wissenschaftler überraschen wolltest, wäre ich nach meinem Gespräch mit Gwydion Navarne sofort nach Hause abgereist«, sagte Achmed mit unmissverständlicher Feindseligkeit in der Stimme. »Es gibt drei Arten von Leuten, die ich verachte, Rhapsody: Cymrer, Priester und Wissenschaftler. Das solltest du inzwischen wissen.«

»Ich sehe keinen Grund, grob zu dem Botschafter eines freien Landes zu sein, der gleichzeitig mein Gast ist«, sagte die cymrische Herrscherin scharf. »Vielleicht kannst du den Herrn wenigstens anhören, Achmed.«

»Ihr habt es nicht nötig, meine Ehre zu verteidigen, Herrin«, warf JaFasee mit einem Augenzwinkern ein. »Ich ertrage die Beleidigungen des Bolg-Königs schon seit einem Jahrtausend.« Er trat ein paar Schritte näher, steckte die Hände in die Ärmel und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir haben erfahren, dass Ihr den Apparat im Gipfel des Gurgus wiederherzustellen versucht«, sagte er ernst.

Achmed seufzte. »Vielleicht hätte ich eine königliche Verlautbarung in jedem Hafen, jedem Gerichtsgebäude und jedem Bordell von hier bis Argaut anbringen lassen sollen«, sagte er wütend. »Tut Euch den Gefallen, eine weise Wahl zu treffen, Jal’asee. Ich habe Euch darüber nicht in Kenntnis gesetzt, weil ich Eure Gedanken dazu nicht hören wollte. Tut mir also bitte den Gefallen, sie nicht mit mir zu teilen.«

»In dieser Angelegenheit bleibt mir nichts anderes übrig, Euer Majestät«, gab Jal’asee zurück. »Genau das ist der Grund, warum ich von Gaematria hierher geschickt wurde. Der Oberste Rat der Regierung bittet Euch mit allem Respekt, Eure Arbeiten an diesem Projekt einzustellen, bis ...«

»Natürlich werde ich das auf alle Fälle tun«, höhnte der Bolg-König. »Ihre Meinung ist für mich erbaulicher als Eure.«

Plötzlich schien Jal’asee die Geduld zu verlieren.

»Ihr müsst diesen Rat befolgen, Euer Majestät.«

»Warum?«

Der Botschafter schaute sich kurz im Garten um.

»Soll ich gehen?«, fragte Rhapsody und deutete auf das Tor. »Es macht mir wirklich nichts aus.«

Beide Männer schüttelten gleichzeitig den Kopf.

»Ich bin wirklich nicht befugt, Einzelheiten zu erläutern, Euer Majestät, aber ich glaube, Ihr kennt den Grund, oder wenigstens solltet Ihr in der Lage sein, ihn zu erraten.«

Achmed trat auf den Botschafter zu und schaute ihm in die goldenen Augen.

»Sagt mir, warum, oder verschwindet.«

Jal’asee schaute ernst auf ihn herab.

»Denkt an die größten Gaben, die die Erde bereithält, Herr.«

Schweigen zog in den Garten ein. Dann drehte sich Achmed um und ging an Rhapsody vorbei.

»Wenn Ihr Zeit habt, mich unter vier Augen zu sprechen, kommt zu mir«, sagte er und lief auf das Gartentor zu. Jal’asee hüstelte höflich. »Es ist wirklich eine Schande, dass Ihr das Studium der Heilkunst gegen eine andere Betätigung eingetauscht habt. Euer Lehrer hatte großes Vertrauen in Eure Fähigkeiten. Ihr wäret eine Zierde für die Stille Festung gewesen, vielleicht einer ihrer besten Schüler.«

Achmed drehte sich wütend auf dem Absatz um.

»Dann wäre ich jetzt genauso tot wie all die anderen Unschuldigen, die ihr an diesen Ort gelockt habt«, sagte er harsch. »Euer Verständnis von Schande deckt sich nicht mit meinem.«

Er stapfte aus dem Garten und warf Rhapsody einen letzten Blick zu.

Sie sah ihm nach, als das Tor zufiel.

»Könnt Ihr mir sagen, worum es ging?«, fragte sie Jal’asee ungläubig. Seit sie Achmed kannte, hatte sie ihn noch nie so erregt in einem Gespräch erlebt, das angeblich für ihn von keinerlei Bedeutung war. Achmed war gut darin, Menschen, Gespräche und Dinge zu übersehen, die ihn nicht interessierten.

Der Meeresmagier seufzte. »Vor vielen Jahren, als er noch ein recht junger Mann war, ereignete sich eine schreckliche Tragödie in der Stillen Festung, dem Hort des Wissens, den ich Euch gegenüber schon vor einigen Monaten erwähnt habe und an dem ich als Lehrer beschäftigt war«, sagte er ernst. »Jemand, für den er viel übrig hatte – vielleicht waren es auch mehrere Personen –, hat das Unglück nicht überlebt. Anscheinend hat er mir das nie vergeben.« »Offenbar«, sagte Rhapsody. »Das tut mir Leid.« »Nicht nötig, Herrin«, erwiderte JaFasee. »Wenn jemand grob und unvernünftig ist, heißt das noch lange nicht, dass er im Unrecht ist.«

Gerald Owen rührte den kochenden Sirup in dem großen, schwarzen Eisenkessel um und beachtete nicht den Lärm der Kinder und einiger aufgeregter Erwachsener, die gierig auf die nächste Portion Schneekonfekt warteten. Er war schon seit vielen Jahren taub gegen solchen Lärm. Stephen Navarnes Vater hatte den Brauch eingeführt, heißen Flüssigzucker auf reinen Schnee zu träufeln, der auf großen Tabletts gesammelt worden war, und so den Karamellsirup zu knusprigen, harten Brocken abzukühlen, die zum Wahrzeichen des Winterkarnevals geworden waren. Stephen hatte die zusätzliche Sünde eingeführt, das harte Konfekt in Schokoladen- und Mandelcreme zu tauchen. Gerald Owen war der traditionelle Zuckerbäcker des Festes und überdies der Wächter über die Geheimrezepte.