»Nur, wenn du das tust, was ich dir sage, Gwydion«, meinte Anborn dunkel. »Ich warne dich schon seit einiger Zeit, dass ein Krieg bevorsteht. In Anbetracht der Tatsache, dass du einige meiner Vorschläge umgesetzt hast, sähe ich gern, wenn du Infanterie und Marine verstärkst.«
»Ich habe diese Woche ein Dutzend neue Kriegsschiffe in Auftrag gegeben, die in Manosse gebaut und in Gaematria ausgestattet werden, Onkel«, antwortete Ashe milde. »Und neue Pferde für die Kavallerie des Bündnisses sind aus Marincaer eingetroffen; sie werden bald ausgebildet. Ich nehme ernst, was du sagst und was ich gesehen habe, dessen kannst du dir sicher sein.« Er drückte wieder Rhapsodys Hand. Ihre Entführung hatte ihm gezeigt, dass er Anborns Warnungen nicht abtun durfte.
»Also gehen wir spionieren?«, fragte Gwydion, der seine Erregung kaum unterdrücken konnte.
»Gwydion, ein Herzog spioniert keine unabhängige Nation aus«, tadelte Rhapsody ihn.
»Nein, wirklich nicht«, pflichtete Anborn ihr bei. »Er macht einen Staatsbesuch, ohne allerdings jemandem davon zu erzählen, und beobachtet von Orten aus, an denen er nicht gesehen werden kann.«
»Vergebt mir«, meinte Gwydion grinsend. »Ist es denn in Ordnung, Ashe? Darf ich Anborn begleiten?«
»Das musst du selbst entscheiden«, meinte Ashe und trank seinen Krug leer. »Du bist voll und ganz in dein Amt eingeführt und musst deine Entscheidungen allein treffen. Es ist vermutlich eine gute Idee, gleich zu Beginn deiner Herrschaft einen offiziellen Staatsbesuch zu machen, aber ich glaube, dazu solltest du Tyrian oder die Neutrale Zone besuchen, die ein sicherer Hafen für dich sind, und Sorbold nur als Durchreiseland ansehen.« Er schenkte Anborns vernichtendem Blick keinerlei Beachtung. »Ich möchte dir auch davon abraten, allzu lange von Navarne wegzubleiben. Als Herzog musst du für deine Provinz sorgen.« Er sah das lange Gesicht des jungen Mannes und beeilte sich, seinen Gedanken zu Ende zu bringen. »Aber du hast ein Elementarschwert geerbt und musst mit ihm reisen und seine Beherrschung erlernen. Es gibt keinen besseren Lehrer als Anborn. Ich glaube, auf diese Weise verbringst du deine ersten Wochen als Herzog sehr sinnvoll – und ich werde mich während deiner Abwesenheit um Navarne kümmern. Wenn du zurückkehrst, kannst du deine Pflichten aufnehmen.« Er wandte sich an seine Frau. »Was sagst du dazu, Liebste?«
Rhapsody faltete die Hände.
»Wenn du das Wagnis eingehen willst, so gibt es Gründe dafür – offizielle und inoffizielle –, und du bist in guter Gesellschaft«, sagte sie. »Da wir gerade darüber sprechen, möchte ich ankündigen, dass auch ich Navarne vorerst verlassen will.«
Die drei Männer am Tisch sahen sie erstaunt an.
»Ich fühle mich schon seit einer ganzen Weile krank und schwach, und das stört mich sehr«, fuhr sie fort. Die starren Blicke der anderen trieben ihr die Röte ins Gesicht. »Etwas, das Jal’asee gesagt hat, bevor Achmed gegangen ist, erscheint mir sehr sinnvoll. Meine Lage ist einzigartig und nicht ganz ungefährlich, weswegen ich einige Zeit bei Elynsynos verbringen will. Vielleicht kann ich von ihr etwas über Drachenschwangerschaften erfahren. Auf alle Fälle möchte ich sie gern besuchen. Es hat etwas Beruhigendes und Einschläferndes, bei ihr in der Höhle zu sein, und ich habe sie lange nicht mehr gesehen.«
»Wie lange soll deine Reise dauern, Aria?«, fragte Ashe und bemühte sich, seine Gefühle nicht zu zeigen. Rhapsody zuckte die Achseln. »Ich weiß es wirklich nicht. Vermutlich hängt es davon ab, wie ich mich fühle. Ich habe keine Ahnung, wie lange meine Schwangerschaft dauern wird. Deine Mutter jedenfalls hat dich fast drei Jahre ausgetragen. Ich glaube, ich werde mindestens bis zum Tauwetter dort bleiben. In Haguefort bin ich zu kaum etwas nütze. Ich kann mich nicht einmal richtig um Melly kümmern, weil ich so oft krank bin. Ich suche nach einer Möglichkeit, mich zu erholen, und glaube, dass der Weg dazu durch die Höhle der Drachin führt.«
Sie wandte sich von den anderen ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Ashe.
»Wir haben ja schon darüber gesprochen. Wie lautet deine Entscheidung, Sam? Hast du etwas dagegen?«
Ashe schluckte seinen Ärger hinunter. Nein, flüsterte der Drache in seinem Blut. Mein Schatz. Bleib.
»Wenn du es willst, Aria. Wenn du glaubst, dass du bei Elynsynos in Sicherheit bist oder es dir dort besser geht, werde ich dich gern hinbringen.«
»Vielen Dank«, sagte Rhapsody. Ihre grünen Augen leuchteten. »Du kannst mich ja von Zeit zu Zeit besuchen kommen.« Sie sah Anborn an, dessen Miene seine Ablehnung verriet, und fügte rasch hinzu: »Marschall, wenn dir in Sorbold etwas zustoßen sollte und du meine Hilfe brauchst, so kennst du den Ruf der Blutsverwandten. Ich bin sicher, dass ich ihn auch in der Drachenhöhle hören werde, und werde dir sofort zu Hilfe kommen, falls der Wind bereit ist, mich wie die anderen Blutsverwandten zu tragen.«
Anborn musste unwillkürlich kichern. »Was für eine nette Vorstellung. Von den drei bekannten Blutsverwandten auf dem Kontinent ist der eine lahm, die zweite schwanger und fühlt sich hundeelend, und der dritte – nun ja, der ist ein Bolg.«
»In der Tat«, meinte Gwydion Navarne. »Aber wenn ich je Hilfe brauchte, wäre mir jeder dieser drei Blutsverwandten, wie behindert er auch sein mag, ein großer Trost.«
»Das stimmt«, sagte Ashe, stand vom Tisch auf und half Rhapsody vom Stuhl. »Und so lange ihr drei wirklich nach Hilfe ruft, wenn die Notwendigkeit dazu besteht, so beruhigt mich das bei eurer Abwesenheit doch wenigstens ein bisschen.«
Als am Morgen des zweiten Tages nach dem Fest die letzten Nachzügler Haguefort verlassen, sich auf den Heimweg gemacht hatten und auch die letzten Abfälle fortgeräumt worden waren, sattelten Anborn und Gwydion Navarne ihre Reittiere und brachen zu ihrer gemeinsamen Mission auf.
Während des ganzen Morgens hatte Rhapsody gegen die Tränen gekämpft. Sie hatte Ashe geholfen, Gwydions Reisegepäck zu überprüfen, und hatte mit ihm und Melisande gefrühstückt, die keinen Grund sah, die Tränen zurückzuhalten. Sie rollten ihr über die Porzellanwangen und fielen in ihre Schlagsahne.
»Ich glaube, ich verstehe endlich, was du jedes Mal mitgemacht hast, wenn diejenigen, die du geliebt hast, fortgegangen sind. Sie haben dich allein zu Hause zurückgelassen, um angeblich wichtige Dinge zu erledigen, und dir versprochen zurückzukommen«, sagte sie zu ihrem Adoptivenkel, nachdem Melisande den Tisch verlassen hatte. »Man will unbedingt glauben, dass sie Recht haben, aber aus lauter Angst kann man es nicht. Außerdem darf man seine Sorgen nicht laut aussprechen, damit es nicht heißt, man habe kein Vertrauen oder bringe mit seinen Zweifeln Unglück.
Also setzt man ein tapferes Lächeln auf und sagt seinen Lieben, sie sollen gesund wieder nach Hause kommen, während man den Augenblick fürchtet, wenn sie gehen.«
»Genau so ist es«, sagte Gwydion mitfühlend. »Es tut mir Leid, dass du jetzt diese Erfahrung machen musst.«
»Dazu besteht kein Grund«, erwiderte die Herrscherin der Cymrer. »Tu, was du tun musst, und komm gesund wieder nach Hause. Ich weiß, dass Anborn dich mit seinem Leben beschützen wird.«
»Und ich ihn mit dem meinen.«
Rhapsody widerstand dem Drang zu lächeln. »Das weiß ich ebenfalls«, sagte sie.
Ein knallendes Geräusch schreckte sie auf. Der junge Herzog erhob sich, als sich die Türen öffneten und die Sänftenträger eintraten, die den cymrischen Helden trugen, der soeben Jal’asee anknurrte, während sie gemeinsam durch die Tür kamen.
»Nein, ich habe diese verdammte Höllenmaschine nicht ausprobiert«, sagte Anborn und deutete verächtlich auf den alten Seren. »Wie ich Euch schon so oft gesagt habe, werde ich dieses Ding erst gebrauchen, wenn es Waffen schärfen oder Bier brauen kann. Ich brauche weder das verdammte Mitleid meines Bruders noch seine Freigebigkeit. Ihr könnt ihm mitteilen, dass ich vorhabe, es einem Bordell zu schenken. Vielleicht finden einige Gäste es sehr reizvoll.«