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Gwydion lauschte weiter, aber Anborn sagte nichts mehr. Schließlich schlief der junge Herzog in der Wärme der geteilten Decken und im Schutz vor der Kälte des Winterwindes ein.

Im grauen Licht des Morgens erhoben sie sich und setzten ihren Weg fort.

29

Ein großer Mann mit dünnem Körper und noch dünnerem weißen Haarkranz, der die Robe eines Hauptpriesters trug, empfing die drei Priester aus Sorbold an der Schwelle des Patriarchenhauses, zu dem die Wachen sie gebracht hatten. In offensichtlichem Missfallen winkte er sie in das Innere des Marmorgebäudes, entließ die Wachen und schloss die schwere Tür hinter sich. Lasarys erkannte in ihm Gregor, den Hauptpriester von Lianta’ar. In Lasarys’ Orden, den Aufsehern der Elementartempel, war er der höchstrangige Priester. Von ihm hatte Lasarys seine Ausbildung in der tiefen Stille von Terreanfor erhalten, als er dort zum Hauptpriester geweiht worden war. Gregor hatte die Reise bereitwillig unternommen und sich gefreut, die Geheimnisse der Aufsicht über einen derart heiligen Tempel mit einem anderen der fünf Männer zu teilen, die ihr Leben dieser Aufgabe geweiht hatten; doch seit dem Augenblick seiner Ankunft war er sichtlich beunruhigt gewesen und hatte so schnell wie möglich zu seiner eigenen geliebten Basilika zurückkehren wollen.

Lasarys verstand genau, was der Mann fühlte.

Gregors kleine Augen glühten vor Wut.

»Du ekelhafter Idiot«, zischte er Lasarys an, wobei ihm vor Aufregung der Speichel aus dem Mund flog. »Wie kannst du es wagen, die Kette der Gebete zu durchbrechen? Und wenn du schon so keck bist und die Ordnung zerstörst, indem du unmittelbar den Schöpfer anbetest, wie kannst du die Kühnheit besitzen, das ausgerechnet in der Basilika des Patriarchen zu tun? Ist dir nicht der Gedanke gekommen, dass er es spüren könnte und deine Durchbrechung die täglichen Bittgebete zerstört?«

»Es ... es tut mir Leid, Vater«, flüsterte Lasarys, als ihm die Schwere seines Verbrechens dämmerte. »Ich ... ich war verzweifelt und konnte nicht mehr klar denken.«

»Der Hauptpriester einer Elementarbasilika darf sich einer solchen Verfehlung nicht schuldig machen«, gab Gregor zornig zurück. »Du kannst dir die Auswirkungen auf den gesamten patriarchalischen Glauben gar nicht vorstellen. Was machst du überhaupt hier? Der Hauptpriester einer Elementarbasilika darf diese nicht verlassen.«

Er beugte sich vor, um einen tödlichen Streich in der Form von Worten loszulassen. »Hoffentlich war deine Selbstgefälligkeit den Verlust deines Postens wert. Ich bin sicher, dein neuer Herrscher wird nicht begeistert sein, vor seiner eigenen Amtseinsetzung einen neuen Hauptpriester weihen zu müssen.«

Lasarys schluckte, und die beiden Diener wurden bleich.

»Werde ich meines Amtes entkleidet?«, fragte er zitternd. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

»Bitte, Vater, wir können nicht zurückgehen«, platzte Lester heraus. Gregor hob die Hand und erstickte so seinen Einwand.

»Seine Heiligkeit hat befohlen, euch in Haft zu nehmen, bis er euren ungeheuerlichen Fehler so weit wie möglich berichtigt hat«, sagte der Hauptpriester von Lianta’ar hochnäsig. »Folgt mir. Ihr wartet im Hospiz, wo ihr mit euren Abtrünnigengebeten keinen weiteren Schaden anrichten könnt.«

Die drei Priester folgten ihm niedergedrückt durch die dunklen, fensterlosen Korridore des Marmorhauses, an Wänden mit Gobelins und schweren Räucherpfannen aus Messing vorbei, aus denen dünne Fäden wohlriechenden Rauchs aufstiegen. Sie wurden tief in das Gebäude hineingeführt, durch endlose Flure und an zahlreichen gleichartigen Türen entlang, bis schließlich der Hauptpriester vor einer schweren Mahagonitür stehen blieb und sie mit einer Geste der Verachtung öffnete.

Hinter der Tür befand sich eine kleine Kapelle mit einem einfachen Altar und harten, lehnenlosen Bänken. Über dem Altar hing eine Skulptur, die den silbernen Stern des Patriarchats darstellte; darüber hinaus gab es keinen weiteren Schmuck.

»Wartet hier«, befahl Gregor. Er verharrte, bis die Priester den Raum betreten hatten; dann schloss er die Tür heftig hinter ihnen.

Eine scheinbare Ewigkeit hockten die Sorbolder auf den harten Holzbänken und dachten schweigend über ihre Zukunft nach. Der fensterlose Raum ermöglichte es ihnen nicht, zu beobachten, wie der Morgen dem Nachmittag wich, doch sie spürten die Bewegung der Sonne an dem wechselnden Leuchten des silbernen Sterns über dem Altar. Schließlich wurde die Tür wieder geöffnet, und Gregor kehrte mit düsterem Blick zurück. Einen Herzschlag später schritt ein weiterer Mann durch die Tür. Er überragte Gregor um Haupteslänge und war in ein silbernes Gewand mit eingesticktem Stern gekleidet. An seiner Hand glänzte ein einfacher Platinring, in den ein durchsichtiger, ovaler Stein eingelassen war.

Sein Haar war vor Alter grau und silbern geworden, auch wenn es noch weiß-blonde Strähnen gab, sodass man erkennen konnte, wie es in seiner Jugend ausgesehen haben musste. Sein Bart war lang und an den Enden leicht gekräuselt, und die Augen waren klar und blau wie ein wolkenloser Sommerhimmel. Sofort warfen die drei Priester sich ihm vor die Füße.

Der Patriarch bedeutete Gregor, die Tür zu schließen, und zeigte dann mit einer gewissen Ungeduld auf die am Boden liegenden heiligen Männer.

»Steht auf«, sagte er mit barscher, befehlender Stimme. »Ich mag es nicht, wenn meine Priester auf dem Boden herumkriechen.«

Die beiden Diener halfen Lasarys aufzustehen. Der alte Hauptpriester zitterte, und sein Gesicht war weiß vor Furcht. Vor langer Zeit hatte er das Privileg gehabt, den vorigen Patriarchen, den man nur sehr selten sah, bei der Amtseinsetzung Nielash Mousas zu beobachten, der nun als Segner von Sorbold wirkte. Der Patriarch war ein gebrechlicher Mann mit dem gleichen dünnen Haarkranz gewesen, der auch Gregors ansonsten kahles Haupt zierte, und dessen altersschwache Gestalt sich unter dem Gewicht seiner Robe gebeugt hatte.

Constantin, der neue Patriarch, der erst vor wenigen Jahren in sein Amt eingeführt worden war, war ein völlig anderer Mann. Obwohl er offensichtlich schon lange lebte, hielt er sich wie ein ehemaliger Athlet oder Soldat. Seine Schultern waren breit und ungebeugt, und seiner Haltung haftete etwas Königliches, ja beinahe Anmaßendes an, obwohl sein Gesicht keine Spur von Überheblichkeit zeigte.

In seiner Eigenschaft als Hauptpriester hatte Lasarys seinem Segner Nielash Mousa bei den zwei Staatsbesuchen des Patriarchen geholfen. Der erste hatte anlässlich seiner Amtseinsetzung stattgefunden, bei der er als Namenloser aus der Menge auf dem Platz von Jierna’sid hervorgetreten war und sich präsentiert hatte, als die Waage alle anderen Bewerber um das Amt, das er nun bekleidete, abgelehnt hatte. Er war bestätigt worden; die Waagschale hatte ihn hoch in die strahlend blaue Himmelskuppel gehoben. Es war ein Anblick gewesen, den Lasarys nie vergessen würde. Kurz bevor dieselbe Waage Talquist als neuen Herrscher bestätigt hatte, war der Patriarch noch einmal nach Jierna’sid gekommen, um die Kaiserinwitwe und ihren Sohn, den Kronprinzen Vyshla, zu begraben. Die beiden waren in derselben Nacht im Abstand von wenigen Augenblicken verstorben. Der Patriarch hob segnend die Hand, und die Priester verneigten sich ehrerbietig und machten das vorgeschriebene Zeichen. Dann zeigte der Patriarch auf die Bänke; zögerlich gingen die Priester darauf zu und setzten sich.

»Ich muss gestehen, dass ich erstaunt bin, euch lebend zu sehen. Vor wenigen Tagen kam die Nachricht aus Sorbold, dass alle priesterlichen Diener sowie der Hauptpriester von Terreanfor bei einem schrecklichen Feuer im Haus am Nachtberg ums Leben gekommen seien. Der Segner von Sorbold hat unsere Zusammenkunft verlassen und ist sofort nach Hause zurückgekehrt, aber da ihr offenbar die Feuersbrunst überlebt habt, frage ich mich, warum ihr nicht in Jierna’sid seid und bei den Begräbnisvorbereitungen helft. Sag mir, Lasarys, warum du hergekommen bist und auf diese Weise gebetet hast.«