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Langsam erhob sich der Hauptpriester, ging hinüber zum Patriarchen und kniete sich ihm zu Füßen.

»Der Schöpfer möge mich in Asche verwandeln, falls meine Zunge etwas anderes als die Wahrheit sagt«, erklärte er zögernd. »Euer Gnaden, diese beiden Männer können das bezeugen, was ich Euch zu berichten habe. Talquist, der Herrscher über Sorbold, plündert und besudelt absichtlich die heiligsten Orte unseres Heimatlandes, besonders die heilige Basilika von Terreanfor.«

Der Patriarch kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn.

»Wie plündert er sie?«, wollte er wissen.

Die Röte schoss in Lasarys’ gerunzelte Wangen. »Er befiehlt mir, und ich helfe ihm unfreiwillig.«

Der Patriarch holte tief Luft. Seine blauen Augen brannten vor kaltem Feuer, doch er sagte nichts, sondern wartete darauf, dass der Hauptpriester fortfuhr.

»Vor vielen Jahren war Talquist ein Diener unter meinem Befehl«, sagte Lasarys. Er stand nun aufrecht da, aber seine Stimme zitterte. »Er war ein wankelmütiger junger Mann, der Priester werden wollte, nicht weil er eine Berufung des All-Gottes verspürte, sondern weil er Erkenntnisse im Zusammenhang mit einem Rätsel suchte, das ihn unablässig bedrängte. Er hatte im Sand der Skelettküste einen Gegenstand gefunden, eine Muschel oder Schuppe oder etwas Ähnliches, die an den Rändern ausgefranst und von violetter Farbe ist. Auf der Oberfläche trägt sie das eingeritzte Bild eines Thrones und Runen, die ich nicht lesen kann. Er hat sie zusammen mit mir in der Hoffnung untersucht, dass in den Tiefen unserer heiligen Schriften oder in den Praktiken unseres Glaubens ein Hinweis auf diesen Gegenstand existiere. Als er erkannte, dass seine Studien nichts brachten, verließ er den Tempel und kehrte erst Jahrzehnte später zurück, um als Herrscher bestätigt zu werden.«

Der Patriarch machte ein noch gespannteres Gesicht.

»Ich hatte geglaubt; Talquist sei nur widerstrebend Herrscher geworden und die Waage habe ihn als Kaufmann dem Heer und der Adelsschicht vorgezogen. Sie erwählte ihn vor einer großen Menge von Zeugen, zu denen sowohl Sorbolder als auch auf Staatsbesuch weilende ausländische Herrscher gehörten.«

Der Hauptpriester schluckte schwer.

»So sollte es erscheinen, Euer Gnaden«, sagte er nervös, »weil Talquist es so wollte. Er war nur wenige Tage vor dem Tod der Kaiserwitwe und des Kronprinzen nach Terreanfor zurückgekehrt und wollte ein kleines Stück Lebendiges Gestein aus der Basilika haben.« Er zuckte zusammen, als er das Entsetzen im Gesicht des Patriarchen sah. »Er drohte mir, wenn ich nicht ein solch kleines Stück Stein aberntete, so werde er die ganze Basilika einnehmen und sie ohne Rücksicht auf ihre Bedürfnisse ausbeuten. Als er mein Lehrling war, hatte er die Basilika eingehend untersucht und wusste daher, dass es einen geheimen Eingang gibt. Wenn er die Basilika besetzen wollte, könnten seine Wachen ein Heer lange genug fern halten, bis er sie ganz zerstört hätte.« Lasarys’ Mund wurde plötzlich trocken; es war eine Anklage gegen sein Schweigen und die Schuld in seinem Herzen, die aus dunkleren Gründen herrührte, welche er bei seiner Erklärung nicht anführte.

»Also habe ich zugestimmt, obwohl es mir das Herz gebrochen hat. Ich fand einen Ort, wo der Stein nicht die Gestalt von Pflanzen oder Tieren angenommen hatte, und nach einem Gebet um Vergebung habe ich ihn geerntet und Talquist gegeben.«

»Was hat er damit gemacht?«, fragte der Patriarch. Seine Stimme war plötzlich sanft geworden.

»Ich vermute, er hat ihn benutzt, um das Wiegen zu beeinflussen. Ich war nicht dabei, als er es getan hat«, sagte Lasarys traurig. »Aber das war nicht die größte Häresie, Euer Gnaden.«

Der Patriarch riss die Augen noch weiter auf, schwieg aber.

Lasarys warf einen Blick über die Schulter auf die beiden jungen Priester. Die Männer waren so weiß wie Milch; ihre Gesichter wirkten versteinert.

»Sobald er als Herrscher eingesetzt war, gab er mir den Befehl, die Diener sollten eine der riesigen Krieger-Steinstatuen aus der Basilika ernten.«

»Aus dem Zeremonialgewölbe?«

»Ja. Er bestand darauf, dass es eine ganze Statue sein müsse, die am Fuß abzuschneiden und auf den Platz der Waage in Jierna Tal zu bringen sei. Dieses Opfer hat den Geist der Basilika ganz schrecklich verletzt. Ich habe ihr Leiden gespürt, als die Statue ...« Der Priester brach überwältigt zusammen und weinte.

»Erzähl mir auch den Rest«, befahl der Patriarch.

»Die Statue, die wegen ihrer Masse an elementarer Erde ausgewählt worden war, wurde auf eine der Waagschalen gelegt. Eine bemitleidenswerte Kreatur, die aussah, als bestehe sie teils aus menschlichem Fleisch und teils aus blasser Qualle, wurde auf die andere Schale gesetzt. Mithilfe des violetten Gegenstandes entstand ein schrecklicher Lichtblitz, und das Geschöpf löste sich auf. Dann erhob sich die Statue aus Lebendigem Gestein. Das war der furchtbarste Anblick, den ich je erlebt habe.«

»Wo ist sie jetzt?«, fragte Constantin. Seine Stimme war ruhig, doch die Hand mit dem Ring zitterte nun. Lasarys schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Euer Gnaden. Die Statue war zu unbeholfenem Gehen in der Lage. Sie stolperte auf die Wüste zu und zerstörte alles, was ihr im Weg stand. Sie riss sich das Schwert aus der Hand, das ein Teil der ursprünglichen Statue gewesen war, und es zerbröckelte zu trockenem Staub, was vielleicht auch mit der Statue selbst geschehen ist. Wir haben kein Zeichen von ihr mehr gesehen, als wir in die Wüste gegangen sind, um zu Euch zu gelangen.

Talquist hatte seinen Truppen befohlen, alle Priester zu töten, die Zeugen seines Verrats geworden waren. Das Feuer, von dem Ihr gehört habt, ist absichtlich gelegt worden. Dann hat er die Soldaten, die ihm bei diesem furchtbaren Unternehmen geholfen haben, ebenfalls töten lassen – außer dem Hauptmann der Wache, dem er vertraut. Wenn wir uns nicht versteckt hätten, wären wir zweifellos auch tot.

Wir sind so rasch wie möglich zu Euch gekommen, haben hier unseren Segner und dessen Weisheit gesucht, doch Eure Wachen sagten uns, er sei schon nach Sorbold zurückgekehrt.«

Der Patriarch nickte. »Als er die Nachricht von Talquists Boten überbracht bekam, hat er seine Gebete gesprochen und ist sofort nach Jierna’sid zurückgekehrt. Er sollte heute oder spätestens morgen dort eintreffen.«

Verzweiflung kroch in Lasarys’ Augen. »Er läuft in eine Falle. Wir können ihn jetzt nicht mehr aufhalten, und da er sich bereits innerhalb der Grenzen Sorbolds befindet, würde jede Nachricht, die wir ihm schicken, von Talquist abgefangen.« Schweiß strömte ihm über die Stirn. »Ich fürchte, er ist ein toter Mann.«

Constantin schüttelte den Kopf. »Heute Morgen jedenfalls noch nicht«, sagte er, wandte sich von den Priestern ab und betrachtete den Altar, über dem der silberne Stern hing. »Ich habe die Gebete gespürt, die er im Auftrag seiner Kongregation dargebracht hat. Sorbold ist eine riesige Nation mit vielen Gläubigen. Wenn er seinen Platz in der Gebetskette nicht mehr einnehmen könnte, wäre das sofort bemerkt worden.«

»Es ist nur eine Frage der Zeit, Euer Gnaden«, meinte der Hauptpriester traurig. »Talquist mag besessen sein, aber er ist auch berechnend. Der Gegenstand, den er an der Skelettküste gefunden hat, verschafft ihm nicht nur das Gefühl der Macht, sondern auch das der Unverwundbarkeit. Er hat Pläne, große und dunkle Pläne, die mein Begreifen übersteigen, und deswegen spielt er den widerstrebenden Kaufmann, der von der Waage zur Führerschaft berufen wurde. Ich schwöre Euch, dass er diesen Vorsatz schon vor Jahren gefasst hatte.«

Der Patriarch wandte sich weder Lasarys zu, noch erwiderte er dessen Blick.

»Damit hast du Recht«, sagte er mit einer Stimme, die wie aus weiter Ferne klang. Er stand still und nachdenklich da und hielt den Blick auf den silbernen Stern über dem Altar gerichtet. Schließlich wandte er sich an den Hauptpriester von Lianta’ar.