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»Nimm diese Männer in deine Obhut, Gregor«, sagte er. »Ich gewähre ihnen hier Asyl. Bring sie im Priorat unter, aber nenne niemandem gegenüber ihre Namen. Morgen werden wir eine Umbenennungs-Zeremonie veranstalten, damit man sie nicht mehr aufspüren kann.« Er richtete seine durchdringenden blauen Augen auf die Priester aus Sorbold.

»Welche Wege ihr auch in eurem bisherigen Leben gewandelt sein mögt, welche Andrücke ihr im Sand zwischen diesem Ort und jenem hinterlassen habt, von dem ihr gekommen seid, nun wird alles ausgelöscht. Talquist ist ein Ungeheuer; das weiß ich schon länger als ein ganzes Leben. Ich befehle dies nicht nur zu eurer eigenen Sicherheit. Euer Leben ist zweitrangig. Denn wenn er erfährt, dass ihr hier seid, gerät die heilige Stadt selbst in Gefahr, seinen Zorn zu spüren.«

Lasarys erbebte, genau wie Gregor.

»Er wird doch wohl nicht Sepulvarta angreifen?«, fragte der Hauptpriester von Lianta’ar. Seine barsche Stimme hatte jeden Schneid verloren und klang wie die eines verängstigten Kindes. Eine solche Schändung war unvorstellbar.

Die Stimme des Patriarchen wurde hart und bekam einen drohenden, beinahe öligen Unterton.

»Ich kann dir versichern, Gregor, dass er es nicht nur will, sondern sogar schon plant. Die Anwesenheit dieser Männer ist nicht der Grund dafür, sondern unsere Lage zwischen Sorbold und Roland. Er wird auf dem Weg zum inneren Kontinent nur kurz hier anhalten und seine Füße an der Matte von Sepulvarta abwischen.«

»Aber ...«, keuchte Gregor. »Euer Gnaden, das ist... das ist unvorstellbar. Eine heilige Stadt anzugreifen und zu zerstören ...«

»Man erachtet etwas nur dann für heilig, wenn man um seine Seele fürchtet«, erklärte der Patriarch. »Talquist aber hat keine Seele. Bevor er fertig ist, liegt die Welt in Stücke gerissen da. Und wir werden die Ersten sein, die er unter seinen Stiefeln zertritt. Es ist schon viel zu spät, um ihn aufzuhalten.«

Die Priester konnten sich nicht mehr bewegen, als der Patriarch die Tür öffnete und die Kapelle verließ. Er nahm alle Wärme, die in dem Raum gewesen war, mit sich.

Constantin wartete unbemerkt, bis die letzte der Türen in der Basilika von Lianta’ar zur Nacht verschlossen und verriegelt war, bevor er sich aus der Sakristei schlich und langsam zu der Erhebung aus kreisförmigen Stufen ging, die zum Altar führten.

Das Licht des Sterns schien durch die Fenster in der Decke der Basilika und badete den Altar und den größten Teil des inneren Heiligtums in silbernem Licht. Constantin hatte das traumgleiche Gefühl, als ob er einem Schaft aus Mondlicht in den Himmel folgte.

Dieser heilige Ort, diese Zitadelle eines toten Sterns, der in einem anderen Zeitalter herabgefallen war, war einer der wenigen Plätze auf der Welt, an denen er je Frieden verspürt hatte. Etwas an dem ätherischen Glimmen erinnerte ihn an einen anderen Ort, an ein Reich zwischen den Welten, zwischen Leben und Tod, wo sein altes Leben geendet und sein neues begonnen hatte.

Er war das Kind einer unbekannten cymrischen Mutter, an deren Gesicht er sich noch erinnern konnte, auch wenn sie nur einen Atemzug lang zusammen gewesen waren, und eines Dämons, und sein früheres Dasein war von geliebter Gewalt und kunstvollem Blutvergießen geprägt. Constantin war in der Zeitrechnung der materiellen Welt noch vor wenigen Jahren Gladiator in den Arenen von Sorbold gewesen, eine gnadenlose Tötungsmaschine, bis er gerettet und in das Reich gebracht worden war, an das er sich nun erinnerte, an einen Ort der Träume, der als die Herrschaft des Fürsten und der Fürstin Rowan bekannt war, ein Ort hinter dem Schleier des Hoen, was auf Altcymrisch Freude bedeutete. Diese Wesen, eine Verkörperung heilender Träume und friedvollen Todes, hatten ihn viel gelehrt. In ihrem Reich war die Zeit der materiellen Welt nur ein Augenblick. Er war nur wenige Monate fort gewesen und doch um eine ganze Lebensspanne gealtert. Er war weise geworden, hatte gelernt und erkannt, dass die Schande seiner Geburt kein Makel, sondern ein Ehrenzeichen war. Er hatte sich gerade damit angefreundet, als die Waage ihn auserwählt und zum Patriarchen gemacht hatte.

Die Ironie seiner Lebensgeschichte wühlte nun in seinen Eingeweiden. Er dachte an die Worte, die er zu dem cymrischen Herrscher und dem König der Firbolg gesprochen hatte, als er von Talquists Einsetzung als Herrscher erfahren hatte.

Ihr hättet mir keine schlechteren Nachrichten bringen können.

Warum?, hatte der König der Bolg wissen wollen. Sagt uns, warum.

Seine Antwort hallte in den dunkelsten Abgründen seiner Erinnerung wider.

»Kaufmann« ist eine sehr freundliche Umschreibung für das, was Talquist ist. Er ist ein Sklavenhändler der grausamsten Sorte und der geheime Anführer einer Flotte von Piratenschiffen, die mit menschlicher Beute handeln. Die Kräftigen verkaufen sie an die Minen oder, schlimmer noch, an die Arenen, und den Rest benutzen sie als Rohmaterial für andere Güter. Aus dem Fleisch der Alten machen sie Kerzen und Knochenmehl aus den sehr Jungen. Tausende sind in den Arenen von Sorbold getötet worden. Ich kann nicht einmal abschätzen, wie viele weitere den Tod in den Minen und Salzpfannen oder auf dem Meeresgrund gefunden haben. Er ist ein Ungeheuer mit dem Lächeln eines

Ehrenmannes und dem Anschein des Normalen, aber er ist und bleibt ein Ungeheuer.

Die Waage hat ihn aber bestätigt, hatte der Herrscher der Cymrer gesagt. Ich habe es selbst gesehen. Als Constantin die oberste Stufe erreicht hatte, dachte er an die Ungläubigkeit in den Augen des Bolg-Königs, eines Mannes, in dessen früherem Leben es zweifellos ähnliche Erfahrungen wie in seinem eigenen gegeben hatte. Warum habt Ihr vor Eurer Abreise nichts gesagt?, hatte König Achmed wissen wollen. Wenn Ihr wusstet, dass dies ein möglicher Ausgang des Auswahlverfahrens war, hättet Ihr doch dazwischentreten können. Die Bänder aus Platin, die den Altar einfassten, glitzerten hell. Die Antwort hallte in seinem Kopf wider und verschaffte ihm Übelkeit.

Es steht mir nicht zu, die Waage in Verruf zu bringen. Ich habe ihr meine Position zu verdanken. Wie könnte ich ihre Weisheit infrage stellen, ohne dabei einen inneren Widerspruch heraufzubeschwören? Und wenn ich meine Vergangenheit in der Arena zugeben würde, stünde das Reich der Rowans plötzlich im Mittelpunkt des Interesses, was ihnen gar nicht willkommen wäre. Und schließlich war er nicht der einzige Mann im Rennen, der Blut an den Händen hatte. Wenn ich jeden herabsetzen wollte, den ich des Kaiserthrons für unwürdig erachte, würde Sorbold weiterhin ein führerloser Staat bleiben.

Ich bin ein Feigling, dachte er nun. Ich wollte mir nicht vorstellen, was geschehen würde, obwohl ich es wusste. Er verneigte sich vor dem Steintisch und kniete nieder. Die Einfachheit des Steins und die Reinheit des Platins führten dazu, dass die durch diesen Altar ihm dargebrachten Gebete ungehindert in seine Gedanken einfließen und durch den Turm bis vor die Füße des Schöpfers dringen konnten. Diese Einfachheit, diese Reinheit ließen die Gedanken nun in seinem Kopf erklingen.

In der Stille erinnerte er sich an die letzten Worte, die er zu dem Bolg-König gesprochen hatte.

Ich bete darum, dass auch Talquist einen Herzenswandel erfahren wird, so wie es mir hinter dem Schleier des Hoen erging. Vielleicht ist die Tatsache, dass er nicht sofort zum Kaiser gekrönt werden wollte, schon ein Anzeichen dafür.

Achmeds Blick hatte sich mit dem seinen gekreuzt und ihm gezeigt, dass sie beide das Gleiche glaubten. Das bezweifle ich. Nach meiner Erfahrung werden Männer, die nach Blut und Macht dürsten, nur noch durstiger, wenn sie das bekommen, was sie haben wollen. Ihr seid die einzige Ausnahme von dieser Regel. Constantins Hände zitterten, als er den Altar berührte.