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Es war schon mehr als einen Monat her, dass er Elynsynos’ Höhle besucht, seine Frau in den Armen gehalten und seinem Kind unter dem wohlwollenden Blick der fürsorglichen Drachin etwas vorgesungen hatte. Obwohl er sie so sehr vermisste, wie ein Drache den Verlust seines Schatzes vermisste, war er doch zu der Erkenntnis gelangt, dass Rhapsodys Besuch bei der Drachin eine kluge Entscheidung gewesen war. Unter Elynsynos’ magischer und freundlicher Pflege wirkte sie so gesund und im Gleichgewicht wie schon lange nicht mehr. Leise wurde die Tür zur Bibliothek geöffnet. Wenn er aufgrund seiner Natur nicht alles bemerken würde, was in einem Umkreis von fünf Meilen vor sich ging, hätte er Portia nicht eintreten gehört. Er musste widerstrebend eingestehen, dass Tristan Recht gehabt hatte, was ihren Wert und den der übrigen Diener anging, die er Ashe und Rhapsody zur Verfügung gestellt hatte. Die beiden anderen Frauen sahen ihrem vollen Einsatz noch entgegen, doch Portia war rasch zu einem wichtigen Mitglied des Haushalts geworden. Sie war ruhig und bescheiden und störte nie, wenn sie einen Raum betrat oder eine Botschaft überbrachte. Oft ging sie, ohne auch nur die geringste Spur zurückzulassen.

Nun hüstelte sie leise. Ashe hatte gelernt, dass dies ein unaufdringliches Zeichen für das aufgetragene Mittagessen war, das allmählich kalt zu werden drohte. Dann ergriff sie wieder die Türklinke.

Gerade als Portia sie herunterdrückte, erhaschte der Drache in Ashes Blut einen flüchtigen Geruch in der Luft, eine Spur von Zimt mit einem Tropfen Vanille, gemischt mit dem berauschenden Duft von Waldblumen.

Dieser Geruch grub sich ihm ins Gehirn und in so tiefe Erinnerungsschichten, dass er nicht einmal sein Bewusstsein bemühen musste.

Es war Rhapsodys Duft.

Er schüttelte ganz leicht den Kopf, und der Duft verschwand. Aus den Augenwinkeln sah er etwas Goldenes aufblitzen, wie die fallende Bewegung von Haar. Er schaute rasch auf und sah Portias hohe, dunkle Gestalt über die Schwelle treten.

Nirgendwo eine Spur goldener Haare.

Er fuhr sich mit der Hand durch das metallisch-rote Haar, und als die Dienerin gerade die Tür hinter sich schließen wollte, rief er: »Portia?«

Das Stubenmädchen drehte sich um; ihre dunklen Augen standen vor Überraschung weit offen.

»Ja, Herr?«

Als sie ihn verwirrt anstarrte, vergaß Ashe all seine Fragen und war sprachlos. Er machte eine unbeholfene Handbewegung und versuchte eine Frage zu formulieren, die nicht völlig unsinnig klang, doch ihm fehlten die Worte.

Wie wollte er ihr erklären, dass ihre Gegenwart ihn plötzlich und flüchtig auf eine primitive, sinnliche Art an seine Frau erinnert hatte ...?

Er lächelte schräg, schüttelte den Kopf und rieb sich den Nacken.

»Tut mir Leid«, sagte er. »Ich ... ich weiß nicht mehr, was ich dich fragen wollte.«

Portia machte einen Knicks.

»Schellt nach mir, wenn Ihr Euch erinnert, Herr«, sagte sie freundlich. »Guten Abend.«

Während der nächsten Tage geschah es mehrfach.

Zuerst vermutete Ashe eine Gaunerei; seine Herkunft und Natur erlaubten ihm kein einfaches Vertrauen, und so beobachtete er Portia eingehend. Er merkte sich mit seinem angeborenen Drachensinn ihre Bewegungen, behielt sie auch aus den Augenwinkeln im Blick und bekam immer mit, wenn sie das Zimmer verließ.

Nachher verspürte er jedes Mal den Stachel der Scham.

Die menschliche Seite seiner Natur hatte ihm den Gleichmut und die Gelassenheit seines Vaters verschafft, und nach etwa einer Woche der Beobachtung suchte er nach anderen Erklärungen für seine Gefühle. Die neue Dienerin war verschwiegen, bescheiden und zurückgezogen. Sie stand früh auf, hielt ihr Quartier sauber, arbeitete hart, kam sofort, wenn sie gerufen wurde, mied Treffen mit anderen Bediensteten nach der Arbeitszeit und wies die Gunstbezeugungen eines jungen Mannes zurück, der Vorräte aus der Käserei in Avonderre geliefert hatte. Sie war groß, breitschultrig und dunkel, hatte tiefbraune Augen und einen olivfarbenen Teint, war also äußerlich das genaue Gegenteil von Rhapsody mit ihrer zarten lirinischen Gestalt, der rosigen Haut, dem blonden Haar und den grünen Augen. Ihr Verhalten schien über jeden Tadel erhaben. Da Ashe keine Gedanken lesen und den anderen Menschen nicht ins Herz schauen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als anzunehmen, dass sie für seine seltsamen Neigungen keine Verantwortung trug.

Als er Portia nicht mehr verdächtigte, fragte er sich beinahe traurig, warum er Züge seiner Frau in einer Bediensteten sah. Sicherlich vermisste er sie. Er vermisste sie immer, wenn sie nicht bei ihm war, und war beinahe wahnsinnig geworden, als sie im letzten Sommer von einem alten Feind entführt und in einer Höhle am Meer versteckt worden war. Eigentlich hatte er die Gewalt über das Wasser, doch er hatte nicht verhindern können, dass sie gegen die Höhlenwände geschleudert und vor seinen Sinnen verborgen worden war. Diese Entführung hatte wilden Zorn und eine Verzweiflung in ihm entfesselt, die unangenehm nahe an den Wahnsinn des Drachenblutes herangekommen war, den er bei einigen seiner Verwandten bereits hatte feststellen müssen. Bestenfalls bin ich verwirrt, schlimmstenfalls werde ich verrückt, dachte er düster und löschte die Tinte auf dem neuen Entwurf des Hafengesetzes, den er gerade schrieb. Wenn sie es wüsste, würde sie nach Hause kommen.

Dieser Gedanke entzündete in seiner zweiten Natur ein Verlangen, das er erst nach einiger Zeit bezwingen konnte. Beinahe genauso stark, wie der Mann in ihm nach ihrer Gesellschaft verlangte, sehnte sich auch der Drache in ihm nach ihr, aber aus anderen Gründen. Rhapsody hatte juwelenähnliche Qualitäten – ihre Augen waren klare Smaragde, ihr Haar wie goldenes Flachs –, die ihr sowohl durch die Natur als auch durch ihre lebensverändernden Erfahrungen beim Gang durch das Feuer im Mittelpunkt der Erde zuteil geworden waren. Es war, als sei ihr jeder körperliche Makel ausgebrannt worden, und Vollkommenheit war etwas, das die Habsucht in der Natur eines jeden Drachen anstachelte.

Zum Glück waren es gerade die Makel, die der Mann in ihm schätzte: die Halsstarrigkeit, die gelegentliche Unfähigkeit, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, die wilde Wut, die sich manchmal zu nichtigen Anlässen zeigte – all diese Elemente genoss er an seiner Frau, und so blieb die Zweiheit seiner Natur im Gleichgewicht, auch wenn beide Seiten oft im Streit miteinander lagen.

Doch nun, da sich die körperlichen Eigenschaften seiner Frau ohne Grund manifestierten, schien dies einen tieferen Grund zu haben. Als Ashe darüber nachdachte, wurde ihm kalt.

Es könnte ein Anzeichen dafür sein, dass der Drache in ihm allmählich die Oberhand gewann.

Sein Verlangen nach ihrer Rückkehr wurde immer stärker. Er kämpfte dagegen an, indem er leise vor sich hinsang und sich sagte, dass sie in der Höhle der Drachin glücklicher und auch sicherer war als in Haguefort; doch diese Methode war nur kurze Zeit erfolgreich. Dann sah er Portia vorübergehen, wie sie Leintücher oder ein Tablett in die Küche trug; sie verneigte sich oder lächelte ihn an und verschwand, nicht ohne ein Aufblitzen goldenen Haars und rosiger Wangen oder den Geruch von Seife und Vanille zurückzulassen. Er träumte unablässig von seiner Frau; es waren fiebrige Träume, die ihn weckten. Entweder schwitzte er vor unerfüllter Leidenschaft, oder er fror vor Angst. In einigen Nächten kam sie im Traum zu ihm, zog die Laken beiseite und schmiegte sich in seine Arme. Aus diesen Träumen erwachte er mit einem Gefühl der Verlorenheit und Krankheit, und in seinem Kopf pochte es, als würde er gleich platzen.

Nach einem der schlimmsten Albträume hatte Portia sein Zimmer betreten, wie sie es oft tat, und ein reines Becken sowie frisches, warmes Wasser für die Morgenrasur bereitgestellt. Sie verneigte sich und verschwand und hinterließ in Ashes Verstand ein so starkes Bild von Rhapsody, dass er sich die Laken über den Kopf zog und so laut heulte, dass er die Katze in der Zimmerecke zu Tode erschreckte.

Der letzte Schlag gegen seinen Seelenfrieden wurde in einer besonders kalten Nacht geführt.