Ashe saß wieder vor dem Feuer und wärmte sich an den Flammen sowie an den Gedanken an seine Frau, als die Dienstmagd den Raum betrat und ihm das Abendessen auf einem Tablett brachte. Sie stellte es auf den Tisch vor ihm, hob die Abdeckung vom Teller, drehte sich um und wollte gehen. Ashe erhaschte den Duft von Gewürzen, von Vanille und eine schwache Spur von Sommerblumen in den Falten ihrer raschelnden Röcke. Anstatt ihn zu verlassen, trat sie langsam hinter ihn. Die Hitze ihres Körpers war weitaus größer als die des Feuers in seinem Rücken. Mit unendlich leichter Geste legte sie ihm die Hände auf die Schultern und fuhr dann über seinen Kragen, als wollte sie ihn glätten. Ihre Hände umspannten sanft die schweren Muskeln an seiner Schulter, die Daumen drückten zart gegen die festen Sehnen um seinen Hals, während sie ihm die Verspannungen wegmassierte. So wie Rhapsody es immer getan hatte.
Sie hatte Magie in ihren Händen – Magie, die seine Anspannung löste und Wärme bis in die verborgensten Stellen schickte. Ashe schloss gegen seinen Willen die Augen und gab sich einige Herzschläge lang den segensreichen Berührungen ihrer Hände hin.
Dann wurde ihm angesichts dessen, was da mit ihm geschah, kalt vor Wut.
Zorn quoll in seinem Bauch auf, Ärger über die Freiheiten, die sich diese Dienerin mit ihm erlaubte. Doch noch mehr zürnte er sich selbst, weil er ihr diese Freiheiten gestattete.
Und sie genoss.
Er versuchte zu verhindern, dass sein schwelender Zorn sich allzu rasch entzündete, und erinnerte sich daran, dass es in anderen Festungen und Schlössern für die Dienerschaft üblich war, sich auch um die körperlichen und sexuellen Bedürfnisse ihrer Herrschaft zu kümmern. Zu seiner Jugendzeit hatte sein Vater, ein ehrsamer Mann, den Ashes Geburt zum Witwer gemacht hatte, ein Gefolge von Huren gehabt, von denen jede die Erlaubnis besessen hatte, die Geheimtür zu Llaurons Büro zu öffnen. Also hielt er sich so ruhig wie möglich, obwohl er das Verlangen verspürte, das Mädchen durch den Raum zu schleudern.
Er biss die Zähne zusammen und sagte dann mit so ruhiger Stimme wie möglich:
»Portia, du hast wirklich wundervolle Hände. Weich wie Milch und so sanft. Es wäre eine Schande, wenn ich sie dir abschlagen müsste, was ich tun werde, wenn du sie nicht sofort von mir nimmst.«
Von der Tür kam ein entsetztes Keuchen. Ashe wirbelte auf seinem Stuhl herum.
Das Dienstmädchen stand auf der Schwelle und hatte den Deckel des Tabletts noch in der Hand. Sie zitterte verwirrt, und Tränen standen in ihren großen, braunen Augen.
Ashe warf wilde Blicke durch den Raum. Sein Mahl stand unberührt auf dem Tisch vor ihm. Der Flor des Seidenteppichs zeigte zwei Paar Fußabdrücke, und seine Drachensinne erkannten die fehlende Hitze in ihnen. Das bedeutete, dass sie nicht im Raum verweilt hatte, sondern sofort zur Tür gegangen war.
Sein Magen krampfte sich zusammen.
»Vergib mir«, stammelte er. »Ich ... ich dachte ...«
Die junge Frau brach in Tränen aus.
Ashe schob das Tablett fort und stand auf. Portia erstarrte; ihr Körper war steif vor Entsetzen.
»Ich möchte mich noch einmal entschuldigen«, sagte der Herr der Cymrer unbeholfen. »Du kannst gehen.«
Portia machte einen raschen Knicks, huschte durch die Tür und schloss sie hinter sich. Sie wartete, bis sie den weiten Weg zu ihrem Schlafzimmer zurückgelegt hatte, dann warf sie sich auf das Bett und zog das Laken über ihr Gesicht, bevor sie sich das Vergnügen eines Grinsens erlaubte.
Inzwischen dachte der Herr der Cymrer schon nicht mehr an sie und achtete auf nichts, was ihm sein Drachensinn über sie erzählen wollte. Er war die Treppe hoch gelaufen, hatte immer zwei Stufen gleichzeitig genommen und oben die Vorräte für seine Reise zum stillen See im Gwynwald zusammengesucht.
Er wartete mit der Abreise nicht einmal bis zum Morgen.
32
Die Drachenhöhle
Die Stille des Waldes wurde hin und wieder durch das Gezwitscher der Wintervögel unterbrochen.
Achmed hielt nur so lange an, wie nötig war, um die Bolg-Hebamme Krinsel vor einer Wurzel zu warnen, bevor er selbst über einen verrotteten Baumstamm sprang. Er wartete, bis die Frau genickt und diese natürliche Falle umrundet hatte; dann drehte er sich wieder um und lief tiefer in den Wald hinein.
Sie waren einige Zeit lang einem Nebenfluss des Tar’afel gefolgt, denn sie wussten, dass dieser Bach sich schließlich in einen stillen See nahe der Drachenhöhle ergoss. Achmed lauschte angestrengt und beachtete die glitzernden weißen Bäume nicht, von deren Zweigen in der warmen Morgensonne der Schnee tropfte.
Er folgte einem Laut, der sowohl in seinen Ohren als auch in seinem Blut widerhallte. Es war das Namenslied, mit dem Rhapsody ihn rief. Es schwang durch seine Seele und gegen sein Trommelfell, durch das empfindliche Netz der Adern und Nerven, die sein Hautgewebe bildeten, bis in die Fingerspitzen hinein.
Achmed die Schlange, komm zu mir.
Es war einerseits ein willkommenes, andererseits ein schreckliches Gefühl, auf diese Weise von einem Benenner gerufen zu werden. Während sich die Melodie aus der Ferne in völligem Gleichklang mit seinem Gehirn und den Schwingungen befand, die er beim Atemholen ausstieß, lag dennoch etwas zutiefst Verwirrendes darin, seinen Namen im Wind zu hören, auch wenn keine andere lebende Seele ihn hören konnte. Achmed war sein ganzes Leben lang ein einsames und verschlossenes Geschöpf gewesen.
Manche Gewohnheiten waren schwer auszumerzen und manche natürlichen Antriebe beinahe unmöglich zu überwinden.
Achmed, komm zu mir.
Der Winter war für die Dauer eines Mondes verblasst, wie immer auf dem Kontinent in der Mitte der Tauperiode. Der Boden um die Stämme der Bäume war sichtbar; totes oder neu sprießendes Gras in Blassgrün und Gold trocknete im Morgenwind. Die während des Winters meist harte und gefrorene Schneedecke war zu einer dünnen, wässerigen Schicht geworden, und die Luft war warm, trug aber noch nicht den Duft des Frühlings in sich, weil dieses Tauwetter falsch war. In wenigen Wochen würde die Kälte mit Macht zurückkehren und alle frühen Sprosse ersticken, die anlässlich der grausamen Einladung der Erde während der Tauperiode hervorgekommen waren. Bis zum Wechsel der Jahreszeit würden sie unter einem kräftigen Tuch aus hartem, weißem Eis begraben sein.
Er musste zugeben, dass es angenehm war, Rhapsodys Stimme wieder zu hören. Sie war nun schon seit so vielen Jahren weg von Ylorc, dass er sich beinahe daran gewöhnt hatte, nicht mehr die morgendlichen Botschaften zu hören, die sie täglich durch die Echokammer des Felsrings gerufen hatte, der sich über ihrem unterirdischen Heim in der Grotte von Elysian erhob, einem unterirdischen See auf den Ländereien Achmeds.
Auch wenn Rhapsody es gemocht hatte, allein zu leben, nachdem sie, Grunthor und Achmed nach Ylorc gekommen waren, und lieber Abstand zu den Firbolg gehalten hatte, die sie als Nahrungsquelle angesehen und hungrig beobachtet hatten, war sie doch in täglicher Verbindung mit ihren Freunden geblieben. Als sie Ashe geheiratet hatte und nach Navarne gezogen war, hatte Achmed zu seinem Entsetzen festgestellt, dass er ihre lirinischen Morgenlieder und Abendgesänge vermisste. Es waren die Liebeslieder ihres Volkes an den Himmel und die Sterne, unter denen sie geboren worden waren. Diese Zeremonien hatte sie während der ganzen Zeit eingehalten, in der er mit ihr zusammen gewesen war. Sie hatte sogar ihre Gebete gesungen, als sie durch die Erde entlang der Axis Mundi gereist und so weit wie möglich von den Sternen entfernt gewesen waren. Daher hatten sie sich in sein Hirn eingegraben, und es war ihm inzwischen unangenehmer, sie zu missen, als sie andauernd mit anhören zu müssen.
Daher war es in gewisser Weise tröstlich für ihn, ihre Stimme nun wieder zu vernehmen, die in den Tiefen seines Bewusstseins seinen Namen sang. Es war beinahe genauso tröstlich wie beunruhigend.
Er atmete tief ein. Die Waldluft kreiste durch seine Nüstern. Dann zog er eine Grimasse.