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In der Luft lag ein Geschmack von Salz. Achmed rollte ihn im Mund herum und spuckte ihn dann auf den Boden. Sie befanden sich recht weit vom Meer entfernt, und der Wind blies aus Osten, nicht aus Westen, sodass dies nur eines bedeuten konnte.

Ashe befand sich irgendwo in der Nähe.

Die Salzwassertröpfchen schienen noch etwas weiter weg zu sein; er hatte vermutlich ungefähr einen halben Tag Vorsprung vor Rhapsodys Gemahl. Achmed bedeutete Krinsel, sich zu beeilen. Er wollte mit der cymrischen Herrin allein reden, bevor Ashe aufkreuzte und sie völlig ablenkte, wie er es immer getan hatte, seit er sich vor vier Jahren in ihr Leben gedrängt hatte.

Achmed.

Achmed zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. Die Stimme war nun anders, härter, wie er fand, doch als er kurz darüber nachdachte, erkannte er, dass diese Beschreibung nicht ganz stimmte. Wird sie ungeduldig?, fragte er sich, während er seinen Schritt beschleunigte und dem Leuchtfeuer ihrer Aura folgte. Ist sie es leid, Monate oder gar Jahre lang in einer Drachenhöhle eingesperrt zu sein, bis die Schwangerschaft vorbei und ihr Balg geboren ist?

Schließlich kamen er und Krinsel zum Ufer eines schönen Waldsees, der sich gegen eine Bergflanke schmiegte. Das Kristallwasser war vollkommen ruhig; auf seiner Oberfläche spiegelten sich die Bäume, die es umstanden. Zerbrochene Eisstücke flössen träge in der schwachen Strömung, die in einen kleinen Bach mündete. Der Beschreibung zufolge, die Rhapsody ihm vom Nest der Drachin gegeben hatte, musste dies der spiegelnde Teich sein, der aus der Tiefe gespeist wurde. In dem Hain, in dem sich der Teich befand, herrschte Stille, die nur durch ein gelegentliches Zwitschern unterbrochen wurde, das mit jedem Schritt in Richtung der Drachenhöhle schwächer wurde.

Er bedeutete Krinsel, ihm um den stillen See zu folgen. Das einzige Geräusch war nun das Gurgeln des Baches. Inzwischen wurde sein Namenslied lauter. Als er das gegenüberliegende Ufer erreichte, erkannte er, dass das Lied aus der Höhle drang, deren Eingang im steilsten Hang des Berges hinter Bäumen und Felsen verborgen war. Aus dem Mund der Höhle floss ein kleiner Bach, der sich still in das glasige Wasser des spiegelnden Teiches ergoss.

Achmed deutete wortlos auf den Höhleneingang, und Krinsel nickte erneut.

Kein Pfad war sichtbar; es schien Achmed, als seien die Bäume, die vom See bis zum Eingang standen, absichtlich gepflanzt oder zumindest so gebogen worden, dass sie den Weg verbargen und als lebendige Mauer den Ort schützten. Als Rhapsody ihm den lächerlichen Spitznamen Achmed die Schlange gegeben hatte, hatte sie ihn auch mit anderen Namen bedacht: Firbolg, Dhrakier, Erstgeborener, Mörder, unfehlbarer Fährtenleser, Pfadfinder. Diese Worte, ausgesprochen in den reinen Flammen des Feuers im Mittelpunkt der Erde, hatten ihm die ihnen innewohnenden Fähigkeiten verliehen, von denen er einige schon sein ganzes Leben gehabt hatte, andere aber für ihn neu waren. Die Fähigkeit, Wege zu finden, war eine nützliche Ergänzung seiner Gaben, die er nun einsetzte. Plötzlich lag der Weg durch das Baumlabyrinth klar vor ihm.

Er hatte gerade den Pfad betreten, der ihn zum Eingang führte, als die Waldstille plötzlich von einer Stimme zerschmettert wurde, die über den Waldboden rollte und gleichzeitig Sopran, Alt, Tenor und Bass war.

Halt.

Achmed erstarrte unwillkürlich.

Die seltsame Stimme klang sowohl verärgert als auch belustigt.

Man geht nicht uneingeladen in die Höhle eines Drachen, es sei denn, man ist ein großer Narr. Ich schlage vor, du klopfst erst oder kündigst dich wenigstens an.

Die Worte hallten durch den Tunnel hinter dem Höhleneingang. Sie rollten unangenehm über seine empfindliche Haut und unterbrachen die schönen Schwingungen seines Namensliedes, das hier in der Luft getanzt hatte, störten es und bereiteten ihm pochende Kopfschmerzen. Außerdem lag in ihnen eine Macht von elementarem Ursprung, die eindeutig bedrohlich war.

Er warf einen Blick zurück zu der Bolg-Hebamme, die so gelassen wie immer wirkte, deren Augen jedoch vor Angst funkelten.

»Du kannst hier warten«, sagte er. Die Frau nickte schwach und mit deutlich erkennbarer Erleichterung, obwohl sich ihr Gesichtsausdruck nicht veränderte.

Achmed begab sich zum Höhleneingang. An der äußeren Wand erkannte er einige eingekratzte Runen, die durch eine Schicht aus Frost und Flechten halb verdeckt waren. Als er genauer hinsah, erkannte er sie und atmete tief durch. Die Worte stammten aus der alten Schiffersprache, die aus dem Altcymrischen und allen anderen bekannten Sprachen der Welt vor zwei Jahrtausenden zusammengesetzt worden war.

Cyme we inne frið,

fram the grip of deaþ to lif

inne ðis smylte land

Unter der Ironie dieser Worte prickelte seine Haut. Dies war der Geburtsort des cymrischen Volkes – der Ort, wo der Eroberer Merithyn die Worte eingeritzt hatte, die ihm von seinem König übermittelt worden waren und mit denen er jeden in der neuen Welt grüßen sollte.

Wir kommen in friedlicher Absicht, den Klauen des Todes entronnen, um in diesem schönen Land zu leben. Die Drachin, die auf dem Grund dieser Höhle lebte, war von dem Eroberer verzaubert gewesen und hatte sich in ihn verliebt. Sie hatte ihn eingeladen, in seine Heimat zurückzukehren und sein dem Untergang geweihtes Volk in die Sicherheit und den Schutz ihres Landes zu verbringen. Und dieser Verrückte hatte es getan und alle Arten von selbstsüchtigen, verdorbenen Menschen mitgebracht, die dabei so etwas wie Unsterblichkeit oder zumindest extreme Langlebigkeit erlangt hatten. Obwohl Merithyn bei der Rückreise auf See gestorben war, hatten die Cymrer, wie die Flüchtlinge aus Serendair genannt wurden, das Drachenland und die Länder dahinter erobert. Sie hatten unangefochten geherrscht und die eingeborenen Völker unterworfen, welche Eroberern mit solch unirdischen Kräften und Lebensspannen nichts entgegenzusetzen gehabt hatten. Doch dann hatten sie alles in ihrem großen, dummen Krieg vernichtet. Und hier hatte alles begonnen.

Als der daran dachte, bekam er Zahnschmerzen.

»Rhapsody!«, rief er ungeduldig in die Höhlenöffnung.

Das Namenslied brach sofort ab und riss das angenehme Gefühl aus seiner Haut, sodass sie leicht summte und stach.

Für einen Augenblick herrschte Stille. Dann sprach die vieltonige Stimme wieder, in der nun deutliches Missfallen lag und die Belustigung ersetzte, die vorher noch in ihr zu spüren gewesen war.

Du kannst eintreten, Bolg-König, aber vergiss deine Manieren nicht.

»Hurra«, murmelte Achmed. Er bedeutete Krinsel, sie solle vor der Höhle ein Lager aufschlagen; dann betrat er den dunklen Tunnel.

Einige Fuß hinter der Öffnung weitete sich die Höhle und erstreckte sich als gewaltiger, dunkler Tunnel in den Berg, der weiter hinten in pulsierendem Licht erglühte. Im Eingang hatten sternartige Flechten die Wände bedeckt und erstreckten sich bis ans Tageslicht, doch im Innern des Tunnels dünnten sie aus und verschwanden schließlich.

Die Wände verzweigten sich, während der Weg nach unten führte. Achmed hörte von weiter hinten ein Tröpfeln herdringen und bemerkte den eindeutigen Gestank von Schwefel aus den Tiefen des Schachtes. Der Hauch der Drachin, dachte er. Der beißende Geruch reizte seine Atemwege. Er kniff in der Dunkelheit die Augen zusammen und folgte dem Leuchten.

Nun watete er durch einen seichten Strom, der immer tiefer wurde, je weiter Achmed kam. Vor einigen Jahren hatte ihm Rhapsody die Höhle beschrieben und gesagt, die Drachin lebe am Ufer eines unterirdisehen Sees. Dampf stieg aus dem Wasser auf, als er es durchquerte.

Während seiner Reise durch den Tunnel verlor er jedes Zeitgefühl, wie damals, als er, Grunthor und Rhapsody entlang der Wurzel gewandert waren. Dieses Gefühl überraschte ihn; er war erstaunt, dass Rhapsody überhaupt in dieser Höhle leben konnte, denn sie erinnerte stark an den Bauch der Erde. Da sie eine Lirin und ein Kind des Himmels war, litt sie, wann immer sie sich nicht im Freien befand. Die Reise entlang der Axis Mundi war eine Qual für sie gewesen. Und sie hatte monatelang in der Erde gesteckt.