Die widerliche Luft umstrich ihn wieder in Wellen aus verderbter Hitze, und vor sich hörte er Krallen über den Steinboden der Höhle kratzen, gefolgt von einem Platschen, als sich die Bestie aus dem Wasser zog. Achmed umrundete eine Biegung, blieb stehen und sah auf.
Vor ihm türmte sich die Drachin auf. Sie füllte die Höhle vom Boden bis zur Decke aus. Ihr gewaltiger Körper war zwar luftartig, besaß dennoch eine erstaunliche Masse. Die riesige Drachin war in ihrem ätherischen Zustand mindestens hundert Fuß lang, vielleicht sogar länger, und die kupfernen Schuppen auf ihrer Haut glitzerten im warmen Licht der Fackeln, die den Boden der Höhle erhellten und deren Licht sich wie Millionen rot funkelnder Sterne auf den Schuppen brach. Die Augen der Drachin waren wie Prismen, in die senkrechte, schmale silberne Pupillen eingelassen waren, und glühten wie Laternen in der Finsternis. Und in diesen Augen lag ein unmissverständlicher Ausdruck der Verärgerung.
»Reg meine Schöne bloß nicht auf«, warnte die Bestie ihn. Ihre vieltonige Stimme hallte durch die Höhle. Die farbenprächtigen Augen verengten sich, um die Worte zu betonen, die aus der Luft selbst gekommen zu sein schienen.
Achmed nickte knapp. »Wo ist sie?«
Die Drachin betrachtete ihn noch eine Weile misstrauisch, dann drehte sie sich zur Seite und erlaubte ihm, an ihrem durchscheinenden Körper vorbeizugehen und tiefer in die Höhle einzudringen.
Inmitten all der Meeresschätze saß Rhapsody auf einer Hängematte aus Leinwand, die zwischen den Höhlenwänden gespannt war. Achmed verlangsamte seine Schritte, blieb stehen und sah sie eingehend an. Er erkannte sie kaum wieder.
Seit dem Fest hatte sie sich körperlich verändert, doch zunächst fiel es Achmed schwer, diese Veränderung zu benennen. Ihre Gesichtszüge schienen schärfer geworden zu sein und die Sanftheit der Linien verloren zu haben, die das menschliche Blut ihres Vaters ihrem ansonsten lirinischen Antlitz hinzugefügt hatte. Nun wirkte sie kälter, ernster. Die Wärme des elementaren Feuers, das sie bei der Reise durch die Erdmitte in sich aufgenommen hatte, war schwächer geworden, wodurch ihre Haut blasser und wie aus Alabaster wirkte und zumindest weitaus weniger rosig als üblich. Sie schien entrückt; sicherlich hatte sie ihn kommen gehört, aber sie schenkte ihm nicht einmal einen Blick. Es war etwas beinahe Drachenhaftes an ihr. Achmed schluckte wütend; bei ihrem Anblick stieg ihm die Galle hoch.
»Trägst du dieses Kind aus, oder trägt es dich aus?«, fragte er.
Rhapsody drehte sich um und sah ihn an. Achmed schnürte es die Kehle zusammen. Ihre klaren grünen Augen, die im Fackelschein wie Smaragde waren, hatten dieselben senkrechten Pupillen wie die ihres Mannes und die der Drachin.
»Beides«, sagte sie. In ihrer Stimme hallte etwas wider, das an die Vielstimmigkeit eines Drachen erinnerte, auch wenn es noch nicht so deutlich hervortrat. »Sei auch du mir gegrüßt.«
Achmed atmete gemessen und bemühte sich, das in ihm aufsteigende Gefühl der Pein zu unterdrücken.
Rhapsody glitt aus der Hängematte und kam ihm entgegen, Sie nickte Elynsynos zu, die noch einen bösen Blick auf Achmed warf und sich dann durch einen Berg aus glitzernden Silbermünzen tiefer in den Berg zurückzog.
»Es war zu erwarten, dass die Mischung so mächtigen Blutes einen Einfluss auf Mutter und Kind haben würde«, sagte Rhapsody ruhig, doch sie war eindeutig über Achmeds Reaktion verwirrt. »Es ist vorübergehend.«
»Hat Ashe dich schon so gesehen?«, wollte Achmed wissen.
Rhapsody runzelte die Stirn. »Ja. Hast du Krinsel mitgebracht, wie ich es dir befohlen habe?«
»Sie wartet draußen. Hast du die Übersetzung beendet?«
»Ja«, sagte Rhapsody.
»Wo ist sie?«, fragte Achmed. Seine Nackenhaare sträubten sich wegen der aufgeladenen Luft in der Höhle und der verwirrenden Veränderung, die mit Rhapsody vorgegangen war.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist unwichtig«, sagte sie. »Ich werde sie dir nicht geben, Achmed.«
Plötzlich schien die Luft in der feuchten Höhle auf einen Schlag staubtrocken zu werden. Die beiden Freunde starrten einander durchdringend an. Als Achmed schließlich sprach, war seine Stimme zwar ruhig, aber sie hatte einen tödlichen Unterton.
»Ich glaube, ich habe dich falsch verstanden.«
»Das hast du nicht«, sagte Rhapsody offen. »Du kannst diese Überlieferungen nicht bekommen, Achmed – sie dürfen niemals verwendet werden. Nicht jetzt und nicht später. Aus keinem Grund. Du musst deine Pläne aufgeben, den Lichtfänger neu zu bauen, und einen anderen Weg finden, um die Sicherheit Ylorcs und des Erdenkindes zu garantieren. Der Lichtfänger würde alles nur noch schlimmer machen.«
Die Pupillen in Achmeds unterschiedlichen Augen zogen sich zusammen, als tränke er blendendes Licht. Er atmete gemessener, flacher, aber ansonsten deutete nichts die aufschießende Wut in ihm an. Beide wussten, was nun kam. Schließlich sagte er:
»Seit ich dich kenne, Rhapsody, hast du mir viele Gründe und noch mehr Gelegenheiten gegeben, dich zu töten. Du tust es immer so unbekümmert, dass dir jedes Mal die schiere Unwissenheit das Leben rettet, weil es schwer ist, die Existenz von jemandem zu beenden, der so offensichtlich nichts begreift.« Seine Augen verengten sich sichtbar. »Diesmal aber bist du dir so wenig des dünnen Eises bewusst, auf dem du dich befindest, dass es mir wahrhaft den Atem raubt.«
Rhapsody stieß die Luft aus, blinzelte aber nicht einmal. »Tu, was du tun zu müssen glaubst, Achmed«, sagte sie gelassen, doch mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme. »Wenn mein Tod der Preis ist, den du für dein dummes Unternehmen zahlen musst, dann war es meine Weigerung wert.«
Achmed zuckte zusammen. Sie benutzte das Wahrsprechen des Benenners. In ihrer Stimme lagen weder Sarkasmus noch Scherz.
»Warum?«, spuckte er aus. »Sag mir, was dich so beunruhigt, dass du dafür unsere Freundschaft aufs Spiel setzt, ja sogar opfern willst, und dein eigenes Leben dazu, wo du doch weißt, wie sehr ich diese Informationen brauche. Hast du den Verstand verloren oder die Beziehung zum Erdenkind und dessen Sicherheit?«
»Weder noch.« Die Pupillen in Rhapsodys Augen vergrößerten sich, wie Achmeds es getan hatten, und spiegelten die Bemühungen wider, mit denen er seine Wut zu unterdrücken versuchte. »Ich habe mein Gelöbnis nicht vergessen, das Erdenkind und das ganze Volk zu schützen, in dessen Verantwortung ich stehe. Genau deshalb muss ich meinem liebsten Freund das verweigern, was er entgegen aller Vernunft haben möchte. Egal, wie hoch der Preis dafür ist, ich will ihn bezahlen, weil ich im Gegensatz zu dir genau weiß, was hier auf dem Spiel steht.«
»Ich weiß durchaus, was auf dem Spiel steht«, sagte Achmed sanft, wobei die Drohung aus jedem seiner Worte tropfte. »Es steht das Leben und das Nachleben auf dem Spiel. Wenn die F’dor das Erdenkind finden, werden sie ihm eine Rippe aus Lebendigem Gestein aus der Brust reißen und damit die Gruft der Unterwelt aufschließen, in der der Rest ihrer Art eingekerkert ist. Sind diese Dämonen erst losgelassen, werden sie alles Leben auf der Erde vernichten, denn danach gieren sie; doch da ihre Existenz nicht auf die materielle Welt beschränkt ist, werden sie, genährt mit der Macht dieser Vernichtung, auch das Leben zerstören, das hinter diesem liegt. Selbst ich, gottloser Mann, der ich bin, empfinde das als ein Schicksal, das ich verhindern muss, solange noch Atem in mir ist. Es erstaunt mich vollkommen, wieso du nicht erkennen kannst, dass du mir helfen musst, wo du dich doch als Retterin der Welt siehst und dich um jeden Taugenichts, jedes Kind und jedes Getier kümmerst.«
Sie atmete tief durch und schaute dann hinüber zu der Wand aus Silber, hinter der die Drachin verschwunden war.
»Schon seit unglaublich langer Zeit besitzt du Grunthors Treue, die ohne Grenzen ist und bis in den Tod und darüber hinaus reicht. Dennoch hat es Zeiten während eurer Freundschaft gegeben, in denen er sich dir widersetzt hat, oder etwa nicht?«