»Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Grunthor und dir«, sagte Achmed mit einer Spur Hohn in der Stimme. »Ich vertraue auf sein Urteil. Er ist in vieler Hinsicht weiser als ich. Wenn er daher meine Entscheidungen infrage stellt, höre ich ihm zu, weil er und ich dieselben grundsätzlichen Ziele haben, und er ist nie rechthaberisch. Deine moralischen Grundsätze sind zwar beständig, aber dumm, und deine Treue ist schlecht verteilt. Oft widersetzt du dich mir oder meinen Plänen aus Gründen, die niemand einsehen kann, der mit dem Kopf denkt und nicht mit den Körperteilen, die deine Entscheidungen beherrschen.«
Er wartete auf die verletzte Reaktion, die seinen schmerzenden Worten sicherlich folgen würde, doch sie kam nicht. Seine Wortpfeile prallten unbemerkt an ihr ab.
»Unterstützt Grunthor deine Entscheidung, den Lichtfänger wieder aufzubauen?«
Die Augen des Bolg-Königs verengten sich. »Die Zweifel, die er möglicherweise gehabt hat, sind sowohl durch seine Kenntnisse über die Geschichte des Apparats als auch durch das Wissen besänftigt, was auf dem Spiel steht.«
»Lügner«, meinte Rhapsody verächtlich.
Die Luft zwischen ihnen knisterte vor plötzlicher Trockenheit.
»Ich bin mir sicher, dass er dir seine Bedenken mitgeteilt hat. Und das ängstigt mich mehr als alles andere, Achmed. Es überrascht und ärgert mich nicht, wenn du meine Sorgen beiseite wischst, denn wir beide wissen, dass du nichts von ihnen hältst. Du hast dich den Bitten des Meeresmagiers widersetzt, weil du ihn verachtest und ihn für einige Verluste in der Vergangenheit verantwortlich machst. Der König der Nain, des Volkes, das den Lichtfänger und das Bergreich errichtet hat, über das du nun herrschst, hat dir einen Botschafter geschickt, um dich vor der Wiederherstellung dieses Apparats zu warnen, oder? Aus diesem Grund ist er zu dir gekommen, auch wenn du das mir gegenüber nicht zugegeben hast, als du mir beim Winterkarneval von seinem Besuch erzählt hast.« Achmed gab keine Antwort darauf. »All diese Leute, die deine Freunde oder wenigstens deine Verbündeten sind, haben dich gebeten, es nicht zu tun, doch ihre Bitten stoßen auf taube Ohren. Das überrascht mich nicht.
Aber dann sagt dir dein eigener Erz-Archont Grunthor, dein militärischer Oberbefehlshaber, dein bester Freund, der dir seit mehr als einem Jahrtausend mit der bedingungslosen Loyalität eines geborenen Soldaten folgt, um von der Reise durch die Eingeweide der Erde erst gar nicht zu reden, dass er die Klugheit deines Vorhabens anzweifelt, und selbst darauf gibst du nichts? Du solltest dich fragen, wessen Urteil in diesem Fall wirklich beeinträchtigt und wessen Seele von irrationalen Vorstellungen und Zielen besessen ist.« Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und atmete tief durch.
»Ich werde dir verraten, was du hinsichtlich dieser Übersetzung wirklich wissen musst, Achmed. Ich habe dir von Anfang an gesagt, es handelt sich um uralte Überlieferungen, um die Gesetze der Macht, mit denen die Magie beeinflusst werden kann. Es sind die zum Beginn der Zeit gehörenden Karten, die Noten zum Lied der Elemente und die Anweisungen, wie ihre Schwingungen das Gewebe der Welt bilden. Kannst du die Bedeutung dessen erkennen? In diesem Manuskript befinden sich die Schlüssel zur Welt. Jeder Mensch, der noch eine Spur Demut hat, würde bei dem Gedanken erbeben, über diese Überlieferungen zu reden, geschweige denn die Magie anzuwenden, es sei denn, er hat sie jahrelang studiert. Aber deine Überheblichkeit kennt keine Grenzen, und du bist blind dafür, wie gefährlich diese Informationen auch in der Hand eines Menschen mit guten Vorsätzen sein können.« Ihre Augen glühten hell in der Dunkelheit der Höhle.
»Da du in dieser Sache meine Weisheit oder die des Meeresmagiers oder des Nain-Königs oder gar deines besten Freundes nicht annehmen willst, werde ich versuchen, mit Worten zu dir zu sprechen, die du begreifen kannst. Macht kommt nicht aus dem Nichts, Achmed. Sie ist eine elementare Schwingung, die sich aus etwas anderem speist – sie ist eine Übertragung von Lebensessenz. Ob das Gerät, das du gebaut hast und wieder neu errichten willst, zum Heilen oder Verbergen, zur Wahrheitsfindung oder zur Vernichtung dienen soll, es braucht in jedem Fall eine Kraftquelle. Und da du die reine Energie des Lichtspektrums benutzt, dessen Farben wie die Musik im Einklang mit den Schwingungen der Elemente stehen, musst du wissen, woraus du die Kraft ziehst.
Es handelt sich hier um uranfängliche Magie, die von der Geburt der Welt übrig geblieben ist. Diese Magie ist eine auf dem Feuer basierende Kraft aus dem Herzen der Erde, aus demselben elementaren Inferno, durch das du, Grunthor und ich gegangen sind, um hierher zu kommen. Die Magie, welche auf das Wasser gegründet ist, zieht ihre Kraft aus der Quelle des Lebendigen Meeres, dem Ort, an dem dieses Element geboren wurde. Die Luftmagie kommt aus dem Schloss der verknoteten Stürme, die Äthermagie von dem Stern Seren und den Bruchstücken der anderen Sterne, die auf die Erde gefallen und hier immer noch lebendig sind. Doch die meiste Magie des Lichtfängers oder der Lichtschmiede, wie die Nain ihn genannt haben, stammt aus der Erde, da in ihr als dem letztgeborenen Element die Spuren aller anderen zu finden sind.«
Rhapsodys Worte wurden gleichmäßiger, als sie bemerkte, dass der Bolg-König allmählich verstand. Damit dieser Augenblick nicht ungenutzt vorüberging, beugte sie sich vor und flüsterte die letzten Worte, die wie ein tödlicher Streich waren.
»Der Apparat, den du gebaut hast und wieder bauen willst, zieht seine Kraft aus der Erde selbst, Achmed, und mehr noch: Er nagt ihren ältesten Teil an, der schlafend in ihr liegt, seit die Welt erschaffen wurde. Seine Macht trägt den Makel des Feuers, denn er ist verseucht von den F’dor. Diese Maschine, die du als schützendes Bollwerk für das Erdenkind ansiehst, zieht Kraft aus ebendem Gewürm, das nun schlafend im Bauch der Erde liegt. Sie ist Teil dieses Bauchs, ein großer Teil sogar. Du hast dieses Gewürm mit eigenen Augen gesehen.
Jedes Mal, wenn du den Lichtfänger benutzt, gehst du die Gefahr ein, es aufzuwecken.«
33
Für lange Zeit war das einzige Geräusch in der Höhle das Gurgeln des Wassers, das aus der unterirdischen Lagune in den stillen See jenseits des Berges strömte. Die beiden alten Freunde schauten einander an. Keiner sprach, ihr Atem ging im Gleichklang. Schließlich brach Achmed das Schweigen.
»Gib mir die Übersetzung.«
Rhapsody kniff die Augen zusammen. »Hast du nichts von dem verstanden, was ich dir gesagt habe?«
»Jedes Wort. Gib sie mir trotzdem.«
Die Herrin der Cymrer legte wütend die Hand auf ihren geschwollenen Bauch.
»Ich will, dass du jetzt gehst, Achmed«, sagte sie.
»Mit Vergnügen, sobald du mir die Übersetzung gibst. Ich habe gelernt, mit Reptilien geduldig zu sein. Treib es also nicht zu weit.«
Rhapsody wandte sich verärgert ab. »Und was dann? Willst mich dann töten? Wenn dich das davon abhält, diese Maschine zu vollenden und einzusetzen, nur zu. Ich habe dir schon gesagt, dass es mir das wert ist.« Der Bolg-König seufzte. »Wer ist jetzt der Narr? Zuerst will ich dir noch einmal sagen: Der Lichtfänger wird gebaut, und er wird benutzt werden, ob mit oder ohne Übersetzung. Das kannst du nicht verhindern. Ich suche in dem Text nach etwas, mit dem ich den andauernden Wechsel von Versuch und Fehlschlag vermeiden kann. Dabei könntest du hilfreich sein, doch du bleibst lieber blind. Vielleicht liegt das an deinen verkleinerten Augen, weil du den Balg deines Mannes austrägst.
Wann habe ich zum letzten Mal jemanden getötet, ohne dass es sich um Selbstverteidigung oder um deine Verteidigung gehandelt hat, meine Liebe? Da verlasse ich mein Königreich und reise durch einen ganzen Kontinent, um deinen Hintern aus dem Meer zu ziehen und vor dem Zugriff durch einen verlotterten Verrückten zu bewahren, und du klagst mich an, ich wolle dich töten? Das ist nicht nur lächerlich, das ist schon beleidigend. Nur weil ich weiß, wie man schnell und leicht tötet, bedeutet das nicht, dass ich es unablässig oder ohne Grund tue. Es gibt eine ganze Menge Leute, die dich liebend gern tot sähen – und viele davon sind mit dir verwandt. Behandle mich nicht wie ein Kind. Uranfängliche Magie? Natürlich handelt es sich um uranfängliche Magie! Wir gehen mit Kräften um, die aus dem ersten Zeitalter herrühren. Keine Kraftquelle, die später entstanden ist, kann gegen diese Kräfte etwas ausrichten.«