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Faron rollte sich noch etwas enger zusammen und wünschte das Ende herbei.

Die Sonne brannte auf seinen Nacken.

Und mitten in den Qualen spürte er eine weitere Quelle der Schmerzen.

Benommen versuchte sich Faron auf die scharfen Kanten zu konzentrieren, die ihm zwischen den arthritischen Fingern ins Fleisch und in die herabhängenden Bauchfalten schnitten.

Mit letzter Kraft streckte Faron einen Ellbogen aus und brachte die weichen Knochen, die gewöhnlich der Unterarm gewesen wären, nahe an die fischartigen Augen in seinem Gesicht.

Er öffnete die Augen zu kleinen Schlitzen, um sie vor dem Sonnenlicht zu schützen.

Der schrecklich missgestaltete Mund mit den in der Mitte geschlossenen Lippen, die an den Mundwinkeln aufklafften, kräuselte sich leicht zum Schatten eines Grinsens.

Die Schuppen waren noch da. Eine steckte im Fleisch zwischen seinen Fingern, die anderen hatten sich in die Falten über seinem Bauch gegraben, wo sie versteckt worden waren.

Faron öffnete die ersten beiden Finger der Hand vor seinen Augen gerade so weit, dass er sehen konnte, was sie hielten.

Die Sonne glitzerte in dem unregelmäßigen grünen Oval und bündelte sich in ihm, sodass der Mittelpunkt wie das Licht in einer Schneise aufleuchtete, während die ausgefransten Ränder der Schuppe kalt und dunkel wie das Innerste des Waldes blieben.

Das versagende Herz der Kreatur tat einen Satz. Faron spähte in die Schuppe und kämpfte dabei gegen die stechenden Strahlen der Sonne an.

Dann drehte er die Schuppe sacht, damit das Licht in Kräuselungen über die leicht eingekerbte Oberfläche lief. Auf der Schuppe bildete sich ein hauchdünner Überzug. Ihre Oberfläche leuchtete vielfarbig wie ein Nebelschleier, hinter dem ein kühler und üppiger Wald zu locken schien. Als das Geschöpf sicher war, welche Schuppe es in der Hand hielt, lächelte es.

Es war die Todesschuppe.

Seit sich die Kreatur das Lesen der Schuppen beigebracht hatte, wusste sie, wie sie die Zukunft aus ihnen erkennen konnte. Früher war Faron oft verwirrt gewesen, wenn er in der kühlen, köstlichen Dunkelheit seines sicheren Hafens die Schuppen für seinen Vater hatte lesen müssen. Die Bilder, die er in ihnen gesehen hatte, hatten ihn verblüfft.

Zum Glück war die Todesschuppe leicht zu verstehen.

Faron hielt die Schuppe schräg und spähte in sie hinein.

Die Welt um die Schuppe herum zerschmolz und wurde von Dunkelheit ersetzt.

Das Leben, wie Faron es kannte, war nun begrenzt auf das kleine Oval zwischen den ausgefransten Rändern der Schuppe.

In einem Rahmen vollkommener Schwärze summte die Wahrsageschuppe vor Kraft und wirkte wie die dunkelgrüne Iris eines gewaltigen Auges.

In ihrem Mittelpunkt erkannte Faron den Wald mit der sonnenlosen Lichtung darin, welche die Todesschuppe immer zeigte. An diesem Ort sang kein Vogel; es herrschte eine Stille, die nicht einmal vom Atem des Windes durchbrochen wurde.

Faron wartete. Er bemerkte weder die Schlaglöcher der Straße noch die heftige Sonne auf seiner Haut. Nach einigen Augenblicken bildete sich in der Lichtung eine durchscheinende Gestalt, wie aus dem Nebel selbst geformt. Es war die Gestalt eines blassen Mannes, gekleidet in Roben aus Grün, die mit dem Wald hinter ihm verschmolzen. Seine Augen, schwarz und verzehrend wie die Leere selbst, wurden von dichten, mächtigen Brauen gekrönt, die als Einziges fest und greifbar zu sein schienen und hoch zum schneeweißen Haar führten. Es handelte sich um Yl Angaulor, den Fürsten Rowan, den die Menschen die rechte Hand der Sterblichkeit nannten.

Er war die friedvolle Verkörperung des Todes.

Trotz seines ernsten Aussehens hatte Faron Yl Angaulor nie gefürchtet. Das Geschöpf beobachtete gebannt, wie Fürst Rowan langsam den umwölkten Kopf schüttelte und dann in dem Nebel verschwand, aus dem er gekommen war.

Die Todesschuppe wurde dunkel.

Faron schloss die Augen, als die Hitze des Tages zurückkehrte.

Nicht für mich, dachte das Geschöpf in seinem Halbbewusstsein. Ich sterbe jetzt nicht.

Eine einzelne ätzende Träne quoll unter dem stark geäderten Augenlid hervor und brannte, als sie niederfiel. Der Schnee dämpfte das Licht der Sonne, die über dem Rand der Welt hing und innehielt, als überlege sie sich noch, ob sie untergehen solle.

Mit letzter Kraft zog sich die Bestie aus dem Abgrund hoch und über die eisbedeckten Bollwerke, welche die Berge in weiten, gefrorenen Ringen überzogen. Auf dem flachen, kalten Boden außerhalb der Mauern ruhte sie aus.

Das Wort, das sie angetrieben, das den Schlaf zerstreut hatte, der an den Rändern ihres Bewusstseins lauerte, und um dessentwillen sie die Taubheit ihrer Glieder bekämpft hatte, hallte immer lauter in ihrem Kopf wider. Heimat.

Müde neigte sie ihr Haupt; das dreikammerige Herz schlug laut.

Über ihr in der schneegeschwängerten Luft reichte ein Schloss bis in die Wolken. Es war aus Marmor erbaut und seit langer Zeit mit einer so dicken Eisschicht bedeckt, dass es den Eindruck erweckte, als sei es aus Eis geformt. Die drei Türme erhoben sich in stolzer Pracht unangefochten bis zum Winterhimmel.

Heimat. Heimat. Heimat.

Die Drachin öffnete langsam die Augen. Die senkrechten Pupillen, welche die brennend blaue Iris kerbten, zogen sich im letzten Licht der späten Nachmittagssonne zusammen und tranken förmlich den Anblick der riesigen Festung. Mit diesem Bild kam die Erinnerung zurück.

In den dunklen Ecken ihres umwölkten Verstandes lagerten die einzelnen Teile dieser Erinnerung ohne einen Zusammenhang. Nun aber schienen sie langsam aufeinander zuzukriechen und ein klareres Bild zu ergeben. Die erste Erinnerung, die zurückkehrte, war sehr alt. Es war der Anblick des Schlosses, wie sie es zum ersten Mal nach ihrer Verbannung gesehen hatte. Sie hatte den Eindruck, einmal eine Königin oder wenigstens eine wichtige Frau gewesen zu sein, denn obwohl sie von jemandem, an dessen Gesicht sie sich noch nicht klar entsinnen konnte, zum Rand der eisigen Abhänge geführt und dort für alle Zeit allein gelassen worden war, war sie aufrecht und erhobenen Hauptes geblieben.

Als die Drachin hoch zu den himmelwärts strebenden Türmen schaute, deren Fenster so dick mit Eis überzogen waren, dass das Sonnenlicht nie wieder durch sie dringen würde, kehrten weitere Bilder zurück. Sie erinnerte sich nun an die einsamen Jahre in den höhlenartigen Hallen hinter den Toren, an die Stille in ihrem marmornen Gefängnis, die nur von den Echos ihrer eigenen Schritte und dem Knistern der Feuer durchbrochen wurde, welche in den gewaltigen Kaminen brannten. Jedes Jahrhundert, jedes Jahr, jeder Tag, ja sogar jede Stunde kehrten allmählich zurück. Ihr Drachenblut geriet mit jedem Herzschlag in größere Aufruhr, als sie sich an die winzigsten Einzelheiten erinnerte, wie es nur einem Drachen möglich war, und es quälte sie so, wie es nur einen Drachen quälen konnte.

Sie haben mich an diesen Ort verbannt, dachte sie verbittert. Nun brannte eine Wut in ihrem Blut, an deren Ursprung sie sich noch nicht erinnern konnte. Sie haben mich allein in den kalten Bergen zurückgelassen, mit nichts als meinen Erinnerungen. Und nun hat mir jemand sogar diese genommen.

Bei diesem Gedanken formte sich ein weiteres Bild in ihrem Kopf. Es war ein Gesicht, das Gesicht einer Frau, das sie jedoch noch nicht vollständig erkennen konnte. Einer Frau mit goldenen Haaren und smaragdgrünen Augen; alles andere war noch undeutlich.