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Sie sang weiter, bis die Schmerzen zu groß wurden. Nun stöhnte sie unter den Krämpfen der Geburt auf; ihr Lied wurde zur Geschichte der Schmerzen, die sie wie jede Mutter über sich ergehen ließ, um das Leben aus ihrem Körper zu gebären.

Elynsynos redete ein letztes Mal mit Krinsel. Als die Bolg-Frau bestätigte, dass sie bereit war, hob die Drachin in serenischer Gestalt die Hände in einer bittenden Geste und griff von oben in Rhapsodys Körper. Ihre Hände durchdrangen das Fleisch, als ob es nur aus Nebel und Sternenlicht bestünde.

Rhapsody jammerte laut auf; ihr Lied schwankte, während Krinsel ihre Hand drückte, doch es wurde wieder stärker, als Elynsynos die Hände fortzog, dabei ein winziges glühendes Licht aus ihrem Körper holte und es emporhielt.

»Benenne es, meine Schöne, damit es Gestalt annehmen kann«, sagte die leuchtende Frau und lächelte in der Dunkelheit der Höhle heller als die Sonne.

Rhapsody griff nach Ashes Hand. Als sich ihre Finger ineinander schlangen, flüsterte sie den Namenspsalm. Willkommen, Meridion, Kind der Zeit.

Einen Augenblick lang blieb nichts in ihren Händen als das glühende Licht. Dann bildete sich langsam ein Umriss, ein winziger Kopf, noch kleinere, in die Höhe gestreckte Hände, die nun hin und her pendelten. Ein leises Jammern wurde zu einem lauten Rufen, und plötzlich war die Höhle erfüllt von der gewöhnlichen, menschlichen Musik eines schreienden Kindes.

Krinsel brachte den Geburtsvorgang zu Ende, als Rhapsodys Kopf auf den Höhlenboden sackte; sie war vollkommen erschöpft. Elynsynos glitt hinüber zu Ashe, der das Geschehen noch immer wie gebannt verfolgte, und legte ihm sanft das Kind in die Arme.

Er starrte hinunter auf das kreischende Kind; in seinen senkrecht geschlitzten Pupillen schillerte tiefe Freude. Winzige blaue Augen schauten zu ihm auf. Er lächelte seine Urgroßmutter an.

»Jetzt verstehe ich so viel wie nie zuvor«, sagte er zu ihr.

Elynsynos hielt den Kopf schief, wie sie es auch in Drachengestalt zu tun pflegte.

»Was verstehst du?«

Ashe sah wieder seinen Sohn an; er konnte die Augen nicht von ihm lassen. Er beugte sich vor und küsste Rhapsodys Stirn, dann wandte er sich widerwillig ab und begegnete dem Blick der Drachin.

»Warum Merithyn sein Herz an dich verlor, als er dich sah«, sagte er nur. »Du bist wirklich wunderschön, Urgroßmutter.«

Die glühende Frau lächelte breit, verschwand und wurde einen Herzschlag später durch die ätherische Gestalt der Drachin ersetzt.

»Vielen Dank«, sagte sie, als Krinsel andeutete, dass die Geburt nun überstanden sei.

Während sie dastanden und dieses Wunder in sich aufnahmen, hallte in der Höhle die Elegie des untergegangenen Sterns wider, der Psalm eines neuen Namens und das Lied des beginnenden Lebens.

In der einzigen dunklen Ecke der Höhle hockte Achmed still und beobachtete.

39

In der roten Lehmwüste Yarims, außerhalb der Stadt Yarim Paar, stand Manwyn, die Seherin, im bitterkalten Winterwind.

Während sie auf die Ankunft ihrer Schwester wartete, die unmittelbar bevorstand, vertrieb sie sich die Zeit mit einem sanften Lied, wobei sie geistesabwesend an den zerzausten Locken ihres feuerroten Haars drehte, das an den Schläfen von grauen Strähnen durchsetzt war. In der anderen Hand hielt sie einen matten Sextanten, ein Überbleibsel aus der alten Welt, das die Cymrer der Ersten Flotte ihrer Mutter zur Erinnerung an ihren Entdecker-Vater geschenkt hatten, der damit die ganze Welt bereist hatte. Doch sie hatte keine Vorstellung von seiner Geschichte und wusste nur, dass der Apparat ihr beim Blick in die Zukunft half.

Aus der Ferne hätte man sie für eine hübsche, wenn auch schmutzige Frau halten können. Sie war groß und schlank, hatte ein schön geschnittenes Gesicht und lange, schmale Hände. Außerdem hatte sie ein königliches Benehmen wie alle drei Töchter von Elynsynos. Doch wenn man näher hinschaute, entdeckte man eine körperliche Eigenheit, die sie von gewöhnlichen hübschen Frauen unterschied. Ein Blick in ihre Augen zeigte dem Betrachter nur das eigene Bild, denn die Augen waren silberne Spiegel und die Iris wie ein winziges Stundenglas geformt, das man auf dem Rücken einer schwarzen Witwe findet.

Wie ihre anderen Schwestern war auch sie verrückt. Sie war mit der Gabe verflucht, fast ausschließlich in die Zukunft sehen zu können, und besaß den Ruf, ein wertvolles Orakel zu sein. Dieser Ruf war jedoch unverdient, denn ihre Vorhersagen waren zwar oft genau und entsprachen immer der Wahrheit, aber sie enthielten regelmäßig ein Körnchen ihres eigenen Wahnsinns.

Und manchmal mehr als nur ein Körnchen.

Sie hatte Anwyns Ankunft vorhergesehen, erinnerte sich aber nicht daran, wie sie in die Nacht hinausgegangen war, um ihre Schwester zu treffen. Die Vergangenheit war das Reich ihrer Schwester, über das Manwyn nicht die geringste Macht besaß. Daher wartete sie verwirrt und verblüfft und mehr als nur ein wenig ängstlich, denn sie hatte ihre jüngere Schwester schon immer gefürchtet. Manwyn war die Erstgeborene; ihr waren Rhonwyn und schließlich Anwyn gefolgt, doch die Schwestern der Gegenwart und der Zukunft hatten rasch gelernt, dass nicht das Kommende oder die Gegenwart, in der sich der Keim der Zukunft öffnete, wichtig waren, sondern die Vergangenheit, die Macht über die Geschichte hatte. Da keine von ihnen die Zeit überblicken konnte, sondern sich nur von Augenblick zu Augenblick oder von einer Prophezeiung zur nächsten bewegen konnte, die gleich darauf schon wieder aus ihrem Gedächtnis getilgt waren, war jene Schwester die beherrschende, welche eine Vorstellung von Zeit hatte.

Einen Steinwurf entfernt spaltete sich die Erde, und die Drachin erschien; heftiges Licht brannte in ihren sengenden blauen Augen. Sie war böse zugerichtet, die Haut war zerrissen und stank noch, doch selbst ein verrücktes Orakel wusste, dass man dem Willen eines Drachen entsprechen musste, besonders wenn er von so weit her kam.

Gut abgepasst, Schwester. Die Stimme der Bestie war sanft und hatte einen Unterton von Verzweiflung. Manwyn zuckte die Schultern. »Du wirst sie finden«, sagte sie zerstreut, beachtete nicht die gezwungene Freundlichkeit ihrer Schwester und kam sofort zu der Frage, von der sie wusste, dass sie gestellt werden würde.

»Aber möglicherweise wirst du es nicht wollen.«

Die Augen der Bestie verengten sich zu glühenden, azurfarbenen Schlitzen. Sie kam ganz aus dem Boden hervor; ihre gewaltige Gestalt machte die Schwester in der leeren Wüste zur Zwergin. Manwyn zog die dünne Seide ihres zerrissenen Kleides enger um die Schultern.

Was willst du damit sagen? Die aus Wind gewebte Stimme der Drachin enthielt mehr als nur eine Spur von Bedrohlichkeit.

Manwyn blinzelte. Was sie soeben gesagt hatte, war schon wieder aus ihrem Gedächtnis verschwunden.

Wolken wütenden Rauchs drangen aus den Nüstern der Drachin.

Sag mir, wo die Frau, die ich suche, in naher Zukunft sein wird, beharrte die Drachenstimme im Wind. Zu einer Zeit, wenn ich in der Lage bin, sie zu treffen, nicht weiter in der Zukunft als bis zur nächsten Mondphase. Ich will, dass es bald ist, aber ich brauche Zeit für die Reise.

Diese Anfrage war so formuliert, dass Manwyn sie verstehen konnte. Die Wolken in ihren silbernen Augen verzogen sich; sie hob den alten Sextanten und spähte durch ihn in den Nachthimmel.

»Heute in vier Tagen wird sie im Nest unserer Mutter sein.«

Das Herz der Drachin brannte bei diesen Worten, und Hass stieg in ihr auf, dessen Ursprung sie nicht kannte. Und wo ist das Nest?

Manwyn senkte den Sextanten und dachte über ihre Antwort nach.

»Tief im Gwynwald, an der Westküste hinter dem Tarafel.«

Heiße Flammen schössen aus dem Mund der Drachin, und die Luft erzitterte vor ihrer Wut.

Das Meer liegt tausend Meilen im Westen! In dieser Zeit kann ich niemals durch die Erde bis dorthin gelangen! Spiel nicht mit mir, Manwyn. Ob Schwester oder nicht, ich werde dich zu rauchender Asche verbrennen ...