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»Wenn du hier bleibst, bringst du Elynsynos in Gefahr«, sagte Achmed harsch und griff nach ihrem Arm.

»Komm.«

Rhapsody gab Meridion Krinsel und zog sich die Stiefel an. Sie war ganz weiß im Gesicht, und ihre Arme zitterten unter der Schwäche, welche die Geburt nach sich gezogen hatte.

»Anwyn kann doch nicht ihre Mutter töten – selbst dann nicht, wenn sie außer sich ist«, sagte sie und band rasch die Schnürriemen. »Ist das nicht ein uranfängliches Gesetz, Elynsynos? Drachen können einander nicht töten, denn dann würden Welten zusammenstoßen, oder?«

Anwyn ist keine reine Drachin, rief ihr Elynsynos in Erinnerung. Wenn sie es nicht will, ist sie nicht an das alte Gesetz gebunden. Ich kann nicht vorhersehen, was sie tun wird.

Rhapsodys Gesicht nahm einen Ausdruck grimmiger Entschlossenheit an.

»In Ordnung«, sagte sie ernst. »Ich gehe. Achmed, Krinsel, ihr verlasst diesen Ort jetzt. Geht nach Westen zum Meer und versteckt euch dort. Ihr müsst so weit von hier und von mir fortgehen wie möglich.«

Elynsynos schüttelte den Kopf.

Bolg-König, nimm deine und meine Freundin mit, sagte sie traurig. Rette das Kind. Es ist wichtiger, als ihr alle ahnt. Bring Rhapsody in Sicherheit. Llauron und ich werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Anwyn abzulenken, aber ihr müsst jetzt gehen.

Achmed nickte und ergriff Rhapsodys Arm. »Begib dich nach Westen«, befahl er Krinsel. Sie nickte, übergab das Kind an seine Mutter und eilte den Tunnel entlang. »Kannst du gehen?«, fragte er Rhapsody, die ebenfalls nickte, auch wenn ihr Gesicht aschfahl war. »In Ordnung, dann komm mit mir. Wir haben so etwas schon einmal gemacht.«

Gemeinsam rannten sie durch den Tunnel nach draußen. Elynsynos sah ihnen nach und verschwand schließlich im Äther.

Sie eilten durch den Wald. Rhapsody folgte Achmed blind, der zurück zum Tar’afel lief. Er erinnerte sich an etwas, das Llauron den dreien vor langer Zeit über Elynsynos und den Entdecker Merithyn gesagt hatte. Wenn Merithyn Elynsynos nicht so sehr geliebt hätte, wäre ihr klar gewesen, was mit ihm geschehen war.

Er hatte ihr Crynellas Kerze gegeben, sein Notsignal. Es war ein kleiner, aber mächtiger Gegenstand, denn er enthielt eine Mischung aus zwei entgegengesetzten Elementen: Feuer und Wasser. Wenn Merithyn ihn bei sich gehabt hätte, als sein Schiff sank, hätte sie ihn gesehen und ihn möglicherweise sogar retten können. Aber er hatte Crynellas Kerze als Trost und als Zeichen seiner Ergebenheit bei Elynsynos zurückgelassen. So verhält es sich leider nun einmal oft mit guten Vorsätzen.

Vielleicht schränkte das Wasser den Drachensinn ein, dachte er. Schließlich wusste er, dass dieses Element seine eigene Fähigkeit, Herzschlägen nachzuspüren, minderte. Wenn ich Rhapsody in den Fluss bekomme, können wir uns vielleicht vor ihrem inneren Auge verstecken.

Noch während er darüber nachdachte, sagte ihm sein sechster Sinn, dass er sich etwas vormachte.

Aus der Ferne hörte er das Brechen von Bäumen und das Aufreißen der Erde, als zwei Drachen versuchten, ihre rasende Verwandte abzulenken. Sie bewegten die Erde, öffneten Abgründe, lenkten Ströme um, warfen ihr große Äste in den Weg, und sie übten ihre elementare Macht über die Erde aus. Jede ihrer Handlungen wurde gefolgt von einem wütenden Gekreisch und einem hörbaren Flammenausbruch. Der Boden unter ihren Füßen erzitterte. Achmed warf Rhapsody einen raschen Blick zu. Sie hielt seine behandschuhte Hand in festem Griff; ihr Gesicht war blutleer, hatte aber einen entschlossenen Ausdruck, während sie über abgestorbene Äste und verfaulende Stümpfe kletterte, sich unter Bogen aus dornigen Beerenbüschen duckte und Lichtungen umrundete, wobei sie heftig keuchte.

Im Wind, der durch den Wald peitschte, hörten sie die kreischende, heulende, brüllende Stimme der Drachin.

Rhapsody! Rhapsody, du kannst dich vor mir nicht verstecken!

Der Wind umheulte sie in der einsetzenden Dämmerung; Schnee tanzte auf den Böen, die eisiges Wasser aus dem Fluss mitbrachten und in Haut und Augen stachen. Aus dem Bündel in Rhapsodys Armen drang kein Laut. Achmed fragte sich dumpf, ob das Kind überhaupt noch lebte.

Mit jedem Schritt kam das Feuer näher.

Als ihm die Hitze schon über den Rücken leckte, spürte er Rhapsodys Griff lockerer werden; dann rutschte ihre Hand aus der seinen.

Er drehte sich um und sah, wie sie sich vorbeugte und sich das Kind gegen den Bauch drückte. So bleich hatte er sie noch nie gesehen. Mit letzter Kraft reckte sie die Arme und hielt ihm das Bündel entgegen.

»Bitte«, flüsterte sie. »Bitte ... nimm ihn, Achmed. Ich ... bin es, hinter der sie her ist.« Ihre Stimme schwankte vor Erschöpfung und Schwäche. »Nimm ihn.«

Achmed zögerte, dann hing er sich die Cwellan über die Schulter und nahm ihr das Bündel ab. Er steckte es sich unter den Arm und ergriff wieder ihre Hand. Das Kind schwieg weiterhin und rührte sich nicht.

»Ich werde ihn tragen, aber du musst mit mir kommen«, beharrte er und zerrte sie über einen verfaulenden Baumstumpf. Als sie stolperte, fing er sie auf. »Ohne dich wird dein Kind sowieso sterben. Ich kann es schließlich nicht säugen. Komm endlich.«

Gemeinsam kämpften sie sich an undurchdringliehen Brombeerhecken entlang und über halb zugefrorene Flüsse, bis sie aus der Ferne den Fluss hörten.

»Komm, Rhapsody, es ist nicht mehr sehr weit«, drängte Achmed, als er spürte, wie sich der Griff ihrer Finger wieder lockerte.

Die Erde unter ihren Füßen riss in langen, dünnen Spalten auf. Das Brüllen der Drachin war verstummt; nun kamen die einzigen Geräusche von der sich widersetzenden, aufschreienden Natur.

»Lass mich ... allein zurück«, keuchte Rhapsody. »Mein ... Schwert... wird mich ... vor den Flammen ... schützen

...«

»Aber nicht vor der Säure und auch nicht vor den Krallen«, murmelte Achmed und zerrte heftiger an ihrem Arm.

»Komm weiter.«

Sie überquerten die letzte Wiese, rannten die Böschung entlang und sahen den Tar’afel, als sich plötzlich das Ufer mit einem großen Zittern auftat und einen gähnenden Spalt bildete. Die rasende Drachin sprang in all ihrer festen Körperlichkeit daraus hervor. Hass, dunkler als die Feuer der Unterwelt, loderte in ihren glühenden Augen. Kurz verzerrte sich ihr Gesicht in einer Wut, die so scheußlich war, dass in diesem Augenblick jede Luftbewegung in ihrer Nähe erstarb.

Achmeds Reflexe spannten sich zum Angriff.

Ohne Vorwarnung drückte Rhapsody von hinten mit all ihrer Kraft gegen ihn, stieß ihn und das Kind von sich und geriet in das Blickfeld der Drachin.

Zitternd zog sie die Tagessternfanfare, das elementare Schwert des Feuers und des Äthers. Die leuchtende Klinge bebte für den Bruchteil einer Sekunde in ihrer Hand und beruhigte sich, als Rhapsody sich zu voller Größe aufrichtete. Auch in ihren Augen brannte die Wut.

»Richte deinen Zorn auf mich, Anwyn, du Feigling«, sagte sie mit der befehlenden Stimme einer Benennerin. Die Nüstern der Bestie blähten sich. Sie erhob sich, spreizte die zerrissenen Flügel und verdunkelte mit ihnen das Licht der Sonne. Die Luft knisterte und zischte vor Bosheit.

Sie atmete tief durch.

Achmed feuerte.

Drei hauchdünne Scheiben, geschmiedet aus blauschwarzem Rysin-Stahl, drangen in den Unterleib der Drachin, als sie sich aufbäumte; jede wurde von der folgenden noch tiefer in das Fleisch getrieben.

Der Rückstoß brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er stolperte, ließ die Cwellan fallen und griff nach dem Bündel unter seinem Arm.

Die Drachin schrie vor Schmerz und Wut auf. Die Hitze ihres sengenden Blutes führte dazu, dass sich die Scheiben ausdehnten und das Fleisch an Brust und Bauch zerrissen. Das Atemfeuer ihres ersten Angriffs reichte weit, entflammte die Bäume über ihnen und tauchte die Hecken in ein Inferno aus gelb-orangefarbenen Lohen. Als der Wald Feuer fing, sog sie den Atem wieder ein, obwohl sie stark blutete, und richtete ihn unmittelbar gegen die goldhaarige Frau, deren Gesicht sie in ihren Träumen heimsuchte.