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Und in der Tat, er hatte den Befehl des Dämonenpriesters ausgeführt.

Unter Gewissensbissen litt der Bruder nicht, auch scheute er nicht vor dem Bösen zurück, aber was er in der Ödnis jenseits des Horizonts hatte erfahren müssen, spottete jeder noch so schrecklichen Beschreibung. In Anbetracht der verheerenden Katastrophe, die der ganzen Welt drohte, hatte er sich zum ersten Mal in seinem Leben für eine Flucht entschieden und Reißaus genommen, selbst auf die Gefahr hin, dass er ewig dafür würde büßen müssen. Eine andere Möglichkeit gab es für ihn nicht. Der Bruder merkte auf, als eine Bewegung in der Ferne seine Sinne in Alarmbereitschaft versetzte. Schnell steckte er den Schlüssel, der schimmernd in seiner Hand lag, zurück in die Tasche, wo er ihn stets trug.

Er spähte in die Richtung, aus der die Luftschwingung stammte, und nahm Witterung von einem Wolfsrudel auf, das anscheinend auf Beute aus war. Eine störende Schwingung wies darauf hin, dass es sich nicht um gewöhnliche Wölfe handelte, die sich da näherten, sondern um Tiere, die dem F’dor als frei bewegliche Augen dienten.

Ein leiser Schnalzlaut reichte, um den Riesen aufzuwecken.

Sofort hellwach, langte der spontan nach seinem Waffengurt und blickte zu dem Gefährten auf. Mit ein paar Handzeichen gab ihm der Bruder zu verstehen: sechs Wölfe, drei auf jeder Flanke. Grunthor nickte und griff nach dem großen Bogen. Gleichzeitig legte er mit der anderen Hand einen metallenen Deckel aufs Feuer und erstickte es, ohne Rauch entweichen zu lassen. Der Bruder hatte sich selbst schon mit seiner absonderlichen Waffe, der Cwellan, zum Kampf gerüstet. Gespannt warteten die beiden.

Den Kopf zur Seite geneigt, lauschte der Dhrakier den Tieren, die, ohne von ihrer Richtung abzuweichen, in weitem Abstand vorbeiliefen und am Horizont verschwanden. Sie hatten das in der kleinen Senke versteckte Lager nicht bemerkt. Als die Gefahr endgültig vorüber war, holte der Bruder tief Luft und ließ sie langsam entweichen. Grunthor tat es ihm gleich.

»Sie kommen näher«, sagte der Bruder.

»Was kaum verwundern kann, oder? Wir ham den Schlüssel, und das können sie wahrscheinlich irgendwie spüren.«

»Ja. Wir sollten möglichst schnell eine Stadt aufsuchen und in der Menge untertauchen.«

»Prächtig, wo du dich doch so gern in Städten aufhältst.«

Als es in den frühen Morgenstunden zu regnen anfing, räumten sie ihr Lager und machten sich auf den Weg nach Ostend, während sich in ihrem Rücken ein Gewitter zusammenbraute.

2

»Noch etwas Suppe, Herzchen?«

»Nein danke, Barney.« Die junge Frau hob den Kopf und lächelte dem Wirt zu. »Obwohl sie sehr lecker ist.« Sie widmete sich wieder den Pergamentseiten, die neben verschiedenen seltsamen Gegenständen vor ihr auf dem Tisch lagen, kritzelte eifrig mit einer Schreibfeder und summte dabei vor sich hin.

Barney seufzte; er brachte die Suppenterrine zurück zum Tresen und genoss das prickelnde Gefühl, das sich einstellte, sooft er von ihr mit diesem Lächeln bedacht wurde. Dann blickte er sich nervös um, aus Sorge, Dee könnte sein dämliches Grinsen gesehen haben. Auch Dee war in sie vernarrt, traute sich aber nicht, ihr einen Antrag zu machen.

Unter dem Vorwand, die Bierflecken vom Tresen zu wischen, warf er ihr wieder heimliche Blicke zu. Sie streifte sich gerade eine Strähne ihrer goldblonden Haare aus dem Gesicht und fuhr dann gedankenverloren mit der Hand über ein schlichtes goldenes Medaillon, das an einer zierlichen Kette um ihren Hals hing.

Sie schrieb schon eine Weile, und das sehr konzentriert und schnell. Ab und an hielt sie inne, um einen der kleinen, auf dem Tisch verstreuten Gegenstände zu betrachten oder um in die Saiten der Hirtenharfe zu greifen, die auf ihrem Schoß lag. Dass sie vor Erregung geradezu glühte, entging auch den übrigen Gästen nicht, die sich darüber lauthals lustig machten. Sonst war es im Federhut um die Mittagszeit recht still; heute aber herrschte hier eine ausgelassene Stimmung wie am Abend vor einem Feiertag. Kein Wunder, dass Dee in sie verknallt ist, dachte Barney und kicherte in sich hinein. Sie ist gut fürs Geschäft.

Bei all dem Trubel und Klirren der Humpen nahm kaum einer Notiz von dem Fremden, der zur Tür hereinkam. Er bahnte sich ungeduldig suchend den Weg durch die Menge, bis er schließlich an ihren Tisch kam. Dort baute er sich vor ihr auf und wartete darauf, dass sie ihn anschaute. Doch sie beachtete ihn gar nicht, sondern schrieb zügig weiter und unterbrach sich nur, wenn ein Fehler zu korrigieren war.

Schließlich platzte es aus ihm heraus: »Du bist Rhapsody.«

Sie blickte immer noch nicht auf. Stattdessen ordnete sie den Stoß Blätter und legte sich eine neue Seite zurecht.

»Und?«

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, sagte sie: »Vielen Dank für die freundliche Erinnerung.« Und nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Sie entschuldigen, doch ich bin beschäftigt.«

Der Mann hatte sichtlich mit sich zu kämpfen, um seinen Ärger über ihren herablassenden Tonfall im Zaum zu halten, was ihm jedoch schon deshalb geboten erschien, weil inzwischen die Gäste auf ihn aufmerksam geworden waren. Er senkte die Stimme und sagte: »Ich komme in Vertretung eines vornehmen Freundes von dir.«

»Ach ja? Und wer ist das?«, fragte sie, ohne sich in ihrem Schreibfluss unterbrechen zu lassen.

»Michael, der Wind des Todes.«

Im Federhut wurde es schlagartig mucksmäuschenstill. Die junge Frau indes blieb ungerührt. »Wenn die Wörter vornehm und Freund hier dasselbe bedeuten wie in der Sprache, mit der ich aufgewachsen bin, so machen Sie einen recht nachlässigen Gebrauch davon«, entgegnete sie. »Was will er denn?«

»Deine Dienste, was sonst?«

»Ich bin nicht mehr im Geschäft.«

»Dein beruflicher Status ist ihm ziemlich egal.«

Erst jetzt legte sie die Schreibfeder ab und blickte zu dem Fremden auf. Ihre grünen Augen waren ohne jede Furcht und dermaßen stechend, dass er unwillkürlich einen Schritt zurückwich. »Nun, was er will, ist mir ziemlich egal«, antwortete sie ruhig. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich bin, wie gesagt, sehr beschäftigt.« Sie wandte sich erneut ihrer Arbeit zu.

Es dauerte eine Weile, bis sich der Fremde wieder gefasst hatte. Und dann verfinsterten sich seine grauen Züge, worauf von den Gästen einer nach dem anderen nach draußen verschwand oder in einen geschützten Winkel auszuweichen versuchte. Er schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte und spreizte die Finger, um das Pergament zu zerknittern.

Doch ehe er dazu kam, steckte plötzlich zwischen Mittel- und Zeigefinger die Spitze ihres Dolches. Es fehlte nicht viel, und Blut wäre geflossen. So schnell und zielsicher hatte sie zugestochen, dass ihm nicht die geringste Zeit geblieben war zu reagieren.

Rhapsody blickte ein zweites Mal zu ihm auf. »Ich war wohl, wie ich meine, höflich genug. Allerdings scheinen Sie nicht gut hören zu können. Wenn von meinen Aufzeichnungen hier auch nur ein Wörtchen verschmiert sein sollte, werden Sie in Zukunft nur noch bis sechs zählen können, und das auch nur, wenn Sie zu diesem Zweck die Hose herunterlassen ... Also gehen Sie jetzt bitte und lassen mich in Frieden.« Den Dolch in der Linken, tunkte sie die Feder ins Tintenfass und machte sich wieder an die Arbeit.

Der Fremde starrte sie an, zog dann vorsichtig die Hand vom Tisch zurück, drängte durch die Schar der verbliebenen Gäste dem Ausgang zu und warf die Tür krachend hinter sich ins Schloss. Kaum war er weg, kam Barney mit sorgenvoller Miene an Rhapsodys Tisch.

»Ja, Herzchen, weißt du denn nicht, für wen dieser Kerl arbeitet?«, fragte er und sah zu Dee hinüber, der damit anfing, das Geschirr von den überstürzt verlassenen Tischen abzuräumen. Rhapsody schichtete die Blätter sorgfältig übereinander und rollte den Stoß zusammen. »Na klar, für Michael, den Luftverschwender. Der ist doch so lächerlich wie sein Name.«