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»Nein? Aber es könnte doch sein, dass du es ihrem Herrn heimzahlen möchtest, dafür, dass sie ihn und nicht dich erwählt hat. Und wenn das nicht der Grund ist, mag es verletzter Stolz sein. Wie auch immer, lass dich nicht zur Gewalt hinreißen.«

Wütend wandte sich Tristan von ihr ab. Es schmerzte ihn zutiefst, sie solche erniedrigenden Worte sagen zu hören – zumal sie womöglich sogar ins Schwarze trafen.

»Prudence?«

Als er sich nach ihr umdrehte, war sie verschwunden.

54

Mit dem Ende des Winters kam für die Bolg wie jedes Jahr eine Zeit der Angst. Sobald Tauwetter einsetzte, wurde eine Lotterie veranstaltet, das heißt, unter allen, auf die verzichtet werden konnte, wurden diejenigen ausgelost, mit denen die künstlichen, hastig aufgebauten Dörfer am Rand der Zahnfelsen bevölkert werden sollten.

Dieser alljährliche Tribut an den Bluthunger der Männer von Roland hatte Achmed mehr als alles andere davon überzeugt, dass die vermeintlich so primitiven Bolg im Grunde durchaus gewitzt waren. Ihr Auswahlverfahren, so grausam es auch sein mochte, wurde schon seit hunderten von Jahren erfolgreich praktiziert. Dass sich die Angreifer immer wieder aufs Neue täuschen ließen und dass der Gewinn einer solchen List die Verluste überwog, zerstreute all seine Zweifel bezüglich der Tüchtigkeit dieses Volkes. Nicht zuletzt gefiel ihm auch, dass bei dieser Auswahl nach Strich und Faden getrickst wurde.

Wie in jedem Jahr versammelten sich am ersten Tag nach Anbruch des Tauwetters alle Bolg in der Schlucht jenseits der Zahnfelsen. Sie waren ungewöhnlich still und verhalten. Bislang waren alle starken und einflussreichen Bolg von der Lotterie ausgenommen. Dass aber nun auf Geheiß des neuen Königs ausnahmslos alle erscheinen mussten, war für die Mächtigen ein Affront und Grund zur Beunruhigung. Die aber legte sich schnell, als Achmed seine Rede mit den Worten begann:

»Die Lotterie ist abgeschafft.« Ab sofort werde niemand mehr den Soldaten von Roland geopfert, sagte er, und die Frühjahrssäuberung eine ganz neue Wendung erfahren. Dann erläuterte er seinen Plan, dem am Ende alle begeistert zustimmten.

Vom Fenster seines Arbeitszimmers aus musterte Tristan Steward die im Hof versammelten Kämpfer, die zum rituellen Frühjahrsputz einberufen worden waren. Gewöhnlich ließ der Hofmarschall nie mehr als drei- bis vierhundert Rekruten oder einfache Soldaten antreten. Weil er, der Hohe Herrscher, indes verfügt hatte, dass alle Soldaten am diesjährigen Feldzug teilnehmen sollten, drängten sich nun auf dem relativ kleinen Hof fast zweitausend Mann.

Stephen Navarne blickte mit Unbehagen auf die Menge herab. Er hatte dem Vetter dessen Vorhaben auszureden versucht, sich aber bloß Schelte eingehandelt, und zwar nicht nur von Tristan, sondern auch von Quentin Baldasarre, dem Regenten von Bethe Corbair. Ihrman Karsric, der Herzog von Yarim, hatte seine Meinung für sich behalten.

Es klopfte an der Tür; der Hofmarschall Rosentharn trat ein.

»Eure Hoheit?«

»Ja?« Tristan zeigte sich überrascht. Normalerweise blieb Rosentharn so kurz vor dem Ausrücken bei seinen Truppen und ließ sich nur dann vor dem Regenten blicken, wenn es etwas Außergewöhnliches zu melden gab, was selten genug der Fall war.

»Ich ersuche Euch untertänigst, ein klares Wort an die Männer zu richten, Hoheit. Nicht wenige hegen Zweifel am Sinn des Einsatzes. Die Moral ist denkbar schlecht, so schlecht, dass ich um den Erfolg der Mission fürchte.«

»Wirklich? Und wie ist das zu erklären?«

Der Hofmarschall hüstelte. »Nun, Hoheit, wie Ihr wisst, werden für die Säuberungen in den Bolg-Gebieten sonst nur Rekruten oder solche Soldaten eingesetzt, die es zu disziplinieren gilt. Jetzt sind aber auch verdiente Kämpfer einberufen worden, die sich natürlich nach dem Grund fragen.«

»Schon einer so frechen Frage wegen sollten sie tatsächlich diszipliniert werden«, meinte der Herzog von Bethe Corbair. »Meine Männer würden es nicht wagen, die Befehle ihres Kommandanten in Frage zustellen.«

»Ach, tu mir doch einen Gefallen, Quentin«, blaffte der Herrscher von Roland, »und behalte deine Ansichten für dich. Wo sind deine Männer? Du hältst es ja nicht mal für erforderlich, dass sie an unserer Aktion teilnehmen. Und das ist nun wirklich allerhand, bedenkt man, dass es um die Grenzsicherung vor allem deiner Länder geht. Ich glaube, ich sollte die Besteuerung deiner Provinz neu überdenken, damit so kostspielige, euch zuliebe durchgeführten Manöver auch in Zukunft finanziert werden können.«

»Aber dein Heer wird doch schon jetzt von unseren Steuern unterhalten«, unterbrach der Herzog von Yarim. »Wenn du uns von Einsatz zu Einsatz immer wieder neu veranlagen willst, werden wir darüber nachdenken müssen, ob es sich überhaupt noch lohnt, mit dir gemeinsame Sache zu machen. Meine Truppen werden mit einer solchen Aufgabe notfalls auch allein fertig.«

»Es fragt sich, ob wir diesen Krieg überhaupt wirklich führen müssen«, gab Stephen Navarne zu bedenken. »Wie schon erwähnt: Die Leute, gegen die du vorgehen willst, haben mit den Bolgführern von einst nichts mehr gemein. Sie sind ausgesprochen gebildet und sehr stark. Darum rate ich noch einmal von der geplanten Invasion ab. Stattdessen sollten wir mit der Gegenseite ein Friedensabkommen aushandeln. Vielleicht können wir neue Handelspartner dazugewinnen.«

Der Hohe Herrscher von Roland blickte seinen Vetter ungläubig an. »Bist du verrückt?«, fragte er in einem Tonfall, der erkennen ließ, dass er die Antwort schon kannte. »Mit den Bolg Geschäfte machen? Kein Wunder, dass ich dich vor deinen aufständischen Bauern in Schutz nehmen musste. Und jetzt geht mir aus dem Weg!« Er scheuchte seine Mitregenten beiseite und eilte mit dem Hofmarschall nach draußen.

Achmed sah sie kommen – seiner Schätzung nach zweitausend Mann. Grunthor kam zu einem ähnlichen Ergebnis.

»Eine vollständige Brigade und drei oder vier Kohorten«, meldete der Bolg-Kommandant. »Das sollten wir, wie ich meine, als Kompliment verstehn.«

»Dann sollten wir uns auf passende Weise erkenntlich zeigen«, antwortete der König. »Rhapsody, es wäre gut, wenn ihr, du und Jo, euch aus dieser Sache heraushalten würdet.«

»Warum?«, maulte Jo. »Wozu habe ich wochenlang mit Pech und Schwefel zu kämpfen gelernt? Ich bin richtig gut geworden. Wehe, wenn diese stinkigen Übungen umsonst gewesen sein sollten.«

»Wie du willst«, entgegnete Achmed.

»Braves Mädchen«, flüsterte Grunthor anerkennend.

Rhapsody seufzte. »Dieser Tristan Steward ist ein Narr. Nun, ich habe ihn gewarnt, aber dass er nicht besonders helle ist, wurde mir schon bei der ersten kurzen Begegnung klar. Es ist eine Schande, dass so viele Soldaten für seine Dummheit büßen müssen.«

»Diese Schande ist so alt wie der Krieg selbst«, philosophierte Achmed. »Aber sieh’s von der positiven Seite. Wenn wir nur überzeugend genug agieren, wird er, wenn er denn noch einen kleinen Rest an Verstand hat, in Zukunft von solchen Abenteuern absehen.«

Grunthor rieb sich die Hände. »Meine Truppen können’s gar nich mehr abwarten, Überzeugungsarbeit zu leisten.«

»Also dann, auf in den Kampf«, sagte Achmed und gab seinem Pferd die Sporen. Von den anderen gefolgt, ritt er über das Schanzwerk auf die grenznahen Klippen zu.

Das Gefecht dauerte weniger als eine Stunde. Anstatt wie gewohnt die schwachen, alten und kranken Verlierer der alljährlichen Lotterie vorzufinden, trafen Rolands Soldaten auf die von Grunthor persönlich ausgebildeten Elitetruppen der bolgischen Bergwart, die in den leeren Hütten auf der Lauer lagen.

Die Angreifer hatten zwei Pappkameraden geköpft und ein Pferd samt Reiter in einer mit kochendem Pech gefüllten Fallgrube verloren, ehe ihnen dämmerte, dass sie in einen Hinterhalt geraten waren. Aber an Flucht war schon nicht mehr zu denken. Wie von einer Explosion herbeigeschleudert, tauchten plötzlich aus allen Ecken und Felsklüften bewaffnete Bolg auf. Einem gewaltigen Erdrutsch gleich stürmten sie von den Hängen ins Tal und über die entsetzten Soldaten hinweg.