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Es begann mit einem Hagel von faust- bis kopfgroßen Steinen, die, von Männern des Ylorc-Heeres geschleudert, auf die zahlenmäßig fünffach überlegene Brigade der Orlander niederprasselten. Als diese daraufhin in Panik gerieten, zogen die in den Hütten des Grenzdorfs versteckten Bolg-Kämpfer die Fallstricke, die unter den Staub des Talbodens gespannt worden waren. Unzählige Pferde strauchelten und stürzten und warfen ihre Reiter ab.

Mittlerweile war die Flutwelle der Verteidiger über jene Teile des fremden Heeres hereingebrochen, die zwar noch auf den Beinen, aber vor Schreck und Entsetzen wie gelähmt dastanden. Einige wenige langten hastig nach ihren Bögen. Die meisten jedoch waren nur mit Schwertern, Knüppeln oder Fackeln bewaffnet, die ihnen sogleich aus den Händen geschlagen wurden.

An den Rändern versuchten manche ihr Heil in der Flucht, gerieten aber nur in ein Inferno aus kochendem Pech, das ihnen in Fässern entgegengeschleudert wurde, abgeschossen von Katapulten, die ihnen, im Ausgang des engen Tals platziert, den Rückzug versperrten. Rhapsody stand dort, die Hände an die Ohren gepresst, um das schrille, manische Lachen von Jo auszublenden, die an der Seite Grunthors mit ihrem bronzenen Dolch die Halteseile der Wurfarme kappte.

Sie blickte zurück auf die Bolg, die Jahrhunderte lang Opfer grausamer Überfälle gewesen waren und sich nun mit ungeahnter Kampfkraft und mörderischer Entschlossenheit an ihren Feinden rächten. Später bemerkte Grunthor, dass er sich an eine wirkungsvoller ausgetragene Schlacht kaum erinnern könne.

Rhapsody starrte auf das Schlachtfeld und spürte, wie sich ihr der Magen umzudrehen drohte. Sie hatte auf eine Teilnahme am Kampf verzichtet und nicht einmal mit ihrer magischen Musik Schützenhilfe geleistet. Jetzt sah sie mit an, wie Achmeds Soldaten systematisch das Tals durchkämmten, den Gefallenen Waffen und Rüstungsteile abnahmen und die Toten nahe der Pechgrube zusammenlegten.

»Widerlich«, sagte sie nur.

»Keine Sorge, Gräfin, wir räumen auch wieder auf«, entgegnete Grunthor, der Jo beim Kragen gepackt hielt, um zu verhindern, dass sie sich an der allgemeinen Leichenfledderei beteiligte.

»Vielleicht wär’s jetzt an der Zeit, dass du, Rhapsody, mit Jo zum Kessel zurückgehst«, schaltete sich Achmed ein, der die Opfer zählte und darauf aufpasste, dass von den Gefallenen keiner als Trophäe verschleppt wurde.

»Was, keine Beute?«, ärgerte sich Jo.

»Geteilt wird später«, antwortete Grunthor.

»Genau. Also komm jetzt«, sagte Rhapsody, die sich von Achmeds viel sagender Miene aufgefordert sah, möglichst schnell nach Hause zurückzukehren. Sie nahm Jo beim Ellbogen und führte sie davon. Als die beiden verschwunden waren, wandte sich Achmed seinen Generälen zu, die im Hintergrund warteten.

»Die Kämpfer können sich jetzt den Bauch voll schlagen«, sagte er.

Eine Woche später erwachte der Hohe Herrscher von Roland, von einem seltsamen Geräusch geweckt, aus tiefsten Träumen.

»Tsk, tsk.« Neben dem Bett stand eine dunkle Gestalt, die Tristans Krone in den Händen hielt und sie zwischen schlanken Fingern langsam im Kreis drehte. Deren Gold und Edelsteine spiegelten das Licht der auf dem Nachttisch brennenden Kerzen, das wie helles Blut aus pulsierender Wunde auf die Wände ringsum zu spritzen schien.

Tristan Steward schreckte auf, doch die albtraumhafte Erscheinung löste sich nicht etwa als Spukgestalt in der Dunkelheit auf. Vielmehr warf sie ihm die Krone entgegen und flüsterte:

»Ein Mucks, und es wäre dein letzter.« Doch Tristan war ohnehin nicht imstande, einen Laut von sich zu geben, selbst wenn er gewollt hätte. Ihm schien immer noch nicht klar zu sein, ob er denn noch träumte oder tatsächlich schon bei Sinnen war.

Aus dem Schatten tauchte nun eine winzige Flamme auf, und der Hohe Herrscher sah, wie sich die bleichen, dünnen Hände in Bewegung setzten, um weitere Lichter anzuzünden.

Als es in der Schlafkammer genügend hell war, warf Achmed die Kapuze in den Nacken zurück und grinste, als er das Entsetzen im Gesicht des Prinzen sah. Er trat einen Schritt näher, setzte sich an den Rand des riesigen Bettes und strich mit der Hand über die seidene Decke.

»Steh auf!«, sagte er leise und zeigte auf die Sitzecke vor dem Fenster.

Tristan Steward gehorchte und erhob sich, am ganzen Körper zitternd. Weder seine bloßen Füße noch die Ledersohlen des schaurigen Gastes ließen auch nur das geringste Geräusch verlauten, als die beiden über den steinernen Fußboden auf die Stühle zugingen, die sich vor dem von Sternen übersäten Nachthimmel im Fensterausschnitt abzeichneten.

Tristan setzte sich und verschränkte die Arme in der Hoffnung, seine zitternden Hände bedecken zu können. Mit zunehmender Klarheit wurde ihm bewusst, dass sich das Unheil, das er zu erwarten hatte, von Sekunde zu Sekunde weiter zuspitzte. Insgeheim war er dankbar für die Dunkelheit, ahnte er doch, dass er den Anblick des fürchterlich entstellten Gesichtes seines Gegenübers bei hellem Tageslicht nicht würde ertragen können. Er rief all seinen Mut zusammen und versuchte, einen möglichst gelassenen Tonfall anzuschlagen.

»Wer bist du? Was willst du?«

»Ich bin das Auge, die Klaue, der Fersensporn und der Beuschel des Berges. Ich bin gekommen, dir zu sagen, dass dein Heer aufgerieben wurde.«

Dem Prinzen entfuhren gurgelnde Laute der Verwirrung anstelle verständlicher Worte, die ihm einfach nicht über die Lippen kommen wollten.

»Du hast zweitausend Mann ins Feld geschickt. Von denen wirst du nie mehr etwas hören außer dem, was ich dir sage.«

Zuerst schien er nicht richtig verstanden zu haben, aber dann zeigte er blankes Entsetzen. »Wo sind die Überlebenden? Was ist mit ihnen geschehen?«

»Der Berg hat sie verschüttet. Und jetzt hör mir aufmerksam zu. Falls es dir gelingt, noch eine Weile am Leben zu bleiben und unser Treffen geheim zu halten, wirst du in zehn Tagen ein Handels- und Friedensabkommen mit uns abgeschlossen haben. Du wirst uns in Person deine Aufwartung machen, denn die Initiative für dieses Abkommen geht von dir aus. Meine Abgesandte wird dich in genau zehn Tagen an der bestehenden Grenze zwischen meinem Reich und Bethe Corbair erwarten. Bist du nicht pünktlich, rückt die Grenze mit jedem Tag ein Stück zurück. Wenn du aus irgendwelchen Gründen nicht reisen möchtest, brauchst du also nur zu warten. In etwa vierzehn Tagen würde die Grenze gleich hier durch deine Festung verlaufen.« Der Regent saß da mit weit aufgerissenen Augen, sagte aber nichts.

»Dies ist das einzige Angebot, dass ich dir – von König zu König – zu machen bereit bin. Schlag es aus, und du wirst sehen, wozu Ungeheuer imstande sind. Wir haben unsere Lektionen, die uns alljährlich im Frühling erteilt worden sind, gelernt.« Achmed stand auf, um zu gehen.

»Oh, noch etwas«, fügte er hinzu. »Vielleicht tröstet es dich zu wissen, dass meine lirinsche Sängerin deinen gefallenen Männern ein wunderschönes Grablied gesungen hat. Es war sehr ergreifend. Da sie nun schon eine Weile im Land der Bolg lebt, hat es Rhapsody mittlerweile in Sachen Requiem und Klagegesang zur wahren Meisterschaft gebracht.«

Schmunzelnd nahm er zur Kenntnis, dass das Gesicht des Regenten bei der Erwähnung ihres Namens scharlachrot anlief. Er rückte verschwörerisch näher und fügte hinzu: »Keine Sorge, sie ahnt nicht, dass sie es war, die den Anstoß für dieses Massaker unter deinen Leuten gegeben hat. Dass es durch sie dazu kommen musste, war mir natürlich klar. Weshalb hätte ich sie sonst wohl zu dir geschickt?«

Dem Hohen Herrscher kam die Galle hoch. »Das Ganze war also eine abgekartete Sache«, krächzte er.

»Nun, vergiss nicht, du hast einen nicht unwesentlichen Anteil daran gehabt, mein Lieber. Du bist ein Mann freien Willens. Wenn es dir aufrichtig um Frieden gegangen wäre, hättest du meine Abgesandte gewiss mit offenen Armen begrüßt und mein Angebot angenommen.«