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Rhapsody schüttelte den Kopf, zeigte sich aber weiterhin freundlich.

»Dem kann ich nicht zustimmen«, sagte sie. »Es gibt keine Toten mehr, die überführt werden könnten. Es ist, als wäre Euer Heer spurlos im Meer versunken, Hoheit. Lasst die Geschichte ihr Andenken bewahren und vergesst die sterblichen Überreste.«

Sie beugte sich vor und ergänzte, verschwörerisch flüsternd:

»Unter uns, die Schlacht hat keine Viertelstunde gedauert. Danach schien es, als wäre nichts passiert. Zurück zu Eurem Entwurf: Das Wort ›unrechtmäßig‹ gefällt mir nicht. Das, was Roland jahrhundertelang als rechtmäßig angesehen hat, ist vor kurzem noch einmal in aller Scheußlichkeit deutlich geworden. Nein, die gegenseitige Nichtangriffserklärung muss uneingeschränkt gelten und von beiden Regenten unterzeichnet werden. König Achmed garantiert seinen Nachbarn friedliche Koexistenz und verlangt im Austausch von der Führung Rolands eine entsprechende Garantie. Jede Verletzung des Vertrages käme einem Wortbruch gleich und würde als Kriegshandlung gewertet werden. Der Aggressor müsste als Strafe dafür ein Zehntel seines Territoriums abtreten. Wie fändet Ihr das?« Angesichts der entsetzten Gesichter ihrer Verhandlungspartner musste sie sich ein Lachen verkneifen.

»Wäre das nicht ein wenig übertrieben?«, fragte der junge Segner von Canderre-Yarim. »Und überhaupt, wer hätte Interesse an einem Zehntel von Ylorc?«

Rhapsody lachte laut auf. »Euer Gnaden, wie köstlich, Euer Einwurf, der gewiss ehrlich gemeint, aber für einen so frommen Mann, wie Ihr es seid, nicht gerade schicklich ist. Eine solche Strafklausel kann doch wohl nicht schrecken, wenn die Absichten Rolands ehrenvoll sind, woran ich keinen Zweifel hege, und der Hohe Herrscher fest zu seinem Wort steht, wovon ich gleichfalls ausgehe. Und was den Wert von Ylorc betrifft: Ich muss wohl nicht daran erinnern, dass es einst der Stammsitz der Cymrer war, der Ort, an dem Eure Vorfahren ihre Macht entfaltet haben?! Es wäre ein Fehler, nur den äußeren Schein zu bewerten, Euer Gnaden. In diesen Bergen leben ebenso viele Kinder des Allgottes wie in Eurer Diözese, vielleicht sogar mehr. Und damit erübrigen sich wohl alle weiteren Fragen nach dem Wert dieses Landes, oder?«

»J-ja«, stotterte der Segner, der, vom Hohem Herrscher mit finsteren Blicken bedacht, die Schultern einzog. »Aber sie hat Recht, Tristan. Das ist ein gerechter Vorschlag.«

Wütend griff der Hohe Herrscher nach der Feder und kratzte seine Unterschrift auf das Pergament. Als er damit fertig war, nahm Rhapsody ihm, um selbst zu unterzeichnen, die Feder aus der Hand und spürte seine Finger zittern. Seine bleichen Wangen liefen rot an.

»Damit kämen wir jetzt zu meinem Teil«, sagte der Seligpreiser und rollte ein letztes Schriftstück auseinander. »Die Bolgländer haben traditionsgemäß immer zur Diözese von Bethe Corbair gehört. Mit diesem Dokument bietet Lanacan Orlando, das Kirchenälteste von Bethe Corbair, den ... äh ... Bewohnern von Ylorc geistlichen Zuspruch und die Mitgliedschaft in seiner Diözese an. Der Segner von Bethe Corbair erklärt sich bereit, auf dem Boden Ylorcs Gemeinden einzurichten und mit Priestern auszustatten, wofür natürlich Steuern abzuführen wären.«

Er schaute nervös in die Runde. Dieser Vorschlag war der heikelste, denn die Länder der Bolg grenzten auch an Sorbold und damit an eine andere Diözese, die dem Patriarchen unterstellt war. Falls sich Ylorc dieser Diözese anschlösse, wären die Machtverhältnisse innerhalb Rolands auf prekäre Weise verschoben.

Rhapsody lächelte wieder. »Vielen Dank, Euer Gnaden. Auf diesen Punkt war ich gar nicht vorbereitet. Wem die Firbolg ihre religiöse Loyalität zu übertragen wünschen, ist eine Frage, dich ich nicht beantworten kann. Sie haben eine eigene Religion und ihre Schamanen. Mag sein, dass sie sich für Eure Kirche interessieren oder für die Religion von Gwynwald. Wie auch immer, darüber kann ich nicht befinden. Es wäre wohl das Richtige, wenn Ihr, oder der Kirchenälteste von Bethe Corbair, einen Gesandten schicktet, der sich über diese Fragen eingehend mit dem König unterhalten würde. Er hat mich beauftragt mitzuteilen, dass er ab Anfang nächsten Monats Eure Botschafter zu empfangen bereit ist.«

Der Seligpreiser nickte schweigend.

»Nun, meine Herren, wenn das alles ist, möchte ich Euch herzlich danken und noch einen guten Morgen wünschen.« Rhapsody erhob sich und gab ihren Wachen zu verstehen, dass sie Tisch und Stühle wieder wegräumen konnten, zumal auch die orlandischen Edelmänner inzwischen aufgestanden waren.

Sie steckte die Abschriften der Dokumente in ihre Tasche und wollte gerade gehen, als Herzog Stephen hinter ihr herrief: »So warte! Wir hätten noch ein paar Geschenke ... Die meinen sind ein Dankeschön des Volkes von Navarne und ein Andenken von deinen Enkelkindern, unter anderem ein kleines Bild von ihnen.«

Rhapsody strahlte übers ganze Gesicht. »Das ist aber lieb! Vielen Dank. Wie geht es Gwydion und Melisande?«

»Gut. Sie lassen schön grüßen und danken herzlich für die Flöte und die Harfe, die du ihnen geschickt hast. Und sie hoffen, dich bald wieder zu sehen.«

»Das hoffe ich auch. Gebt ihnen ein Küsschen von mir und sagt ihnen, dass ich, wie versprochen, jeden Tag an sie denke. Vielleicht werden sie mich eines Tages besuchen kommen.«

»Vielleicht«, antwortete Stephen und wich den ungläubigen Blicken seiner Vettern aus. »Alles Gute dir.«

Er trat einen Schritt zurück, um die Wachsoldaten passieren zu lassen, welche die von den beiden anderen Edelmännern mitgebrachten Truhen zu Rhapsodys Pferden schleppten, drückte ihr einen Kuss auf die Hand, stieg in den Sattel und ritt in Richtung Westen davon. Die anderen folgten ihm dichtauf. Am Rand des Feldes hielt der Hohe Herrscher von Roland noch einmal an, drehte sich um und hob winkend die Hand. Rhapsody lächelte und verbeugte sich respektvoll wie bei ihrer ersten Begegnung. Sein ernstes Gesicht heiterte sich sichtlich auf. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon.

»Für ein Bauerntrampel hab ich mich doch ganz gut geschlagen, Llauron, oder?«, sprach sie mit sich selbst, als sie auf ihre Stute zuging. Einem Soldaten, der an einer der Truhen herumfingerte, schlug sie auf die Hände und sagte: »He, Finger weg! Das sind meine Geschenke.«

55

»Lass mir doch bitte auch was übrig! Gleich ist nichts mehr da.«

»Willst du das Zeugs etwa einkellern? Und was beschwerst du dich? Ich teile doch.«

»Ja, eins für mich, sechs für dich ...«

»Ein Kümmerling wie du braucht schließlich nicht mehr.«

»Sieh dich vor«, sagte Rhapsody und scheiterte bei dem Versuch, eine ernste Miene aufzusetzen.

»Komm, gehen wir über zehn Runden mit Keule und Kette, dann werden wir sehen, wer von uns beiden der Kümmerling ist.«

Jo verzog das Gesicht. »Keule und Kette?«, fragte sie in aufgesetzt verächtlichem Ton, wischte mit dem Handrücken den Schokoladenschmier vom Mund und griff ein weiteres Mal in die mit Konfekt gefüllte Schachtel. »Albernes Spielzeug. Da halte ich mich lieber an meinen Dolch.«

Rhapsody schmunzelte und langte gezielt nach dem letzten Stück Schokolade. Doch Jo schnappte ihr die Leckerei unter den Fingern weg und steckte sie blitzschnell in den Mund.

»Zugegeben, ein Dolch ist die elegantere Waffe«, sagte Rhapsody und begnügte sich mit einem Stück Dörrobst. »Aber wenn du Abstand halten musst, nützt er dir wenig. Was hältst du von diesem Bonbon?«

»Hmmm, seeeehr llllecker«, antwortete Jo mit vollem Mund. Sie nahm die geleerte Zwischenlage aus der Schachtel und begutachtete das Sortiment der nächsten Lage. Dann wühlte sie darin herum, und was ihr nicht auf Anhieb zusagte, landete im Bett oder auf dem Boden. »Aber ich habe immer noch den ekligen Geschmack dieses Gegengifts im Mund. Mal ehrlich, wer Käme denn auf die Idee, Gift in ein Geschenk zu tun, mit dem er einem König gefallen möchte?«

Rhapsody lachte und zog die Stirn kraus. »Wir sprechen hier nicht von irgendeinem König, sondern von Achmed. Tatsächlich wundert es mich, dass die Pralinen nicht voller Säure sind.«