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»Weißt du denn, was jetzt zu tun ist, Gräfin?«, fragte Grunthor.

»Nein.«

Der Riese zwinkerte. »Na, dann wir werden wohl ein bisschen improvisieren müssen.«

Die Sängerin lächelte. »Gib’s zu, das gefällt dir doch.« Sie schloss die Augen und zog das Schwert aus der Scheide, einer Metallhülle, die in Achmeds Schmiede gefertigt worden und mit dem schwarzen Tropfstein geschmückt war, den sie gefunden hatte. Als die Tagessternfanfare daraus hervorglitt, war es, als hätte die Klinge zu singen angefangen, eine Melodie voller Leben, die ihr wohlige Schauer über den Rücken rieseln ließ.

Der Widerschein der ätherisch glühenden Klinge und der daran entlangzüngelnden Flammen flackerte auf ihrem Gesicht und erglänzte in ihren Haaren. Wie ein Leuchtfeuer stand sie da auf weiter, dunkler Flur.

Passend zum Lied des Schwertes stimmte sie ihren Grundton an und fühlte sich durchdrungen von der Kraft dieser herrlichen sinfonischen Musik, die mit den Flammen in einem mitreißenden Crescendo aufbrauste. Sie öffnete die Augen und suchte am Himmel nach dem Stern, den sie entdeckt hatte, jenen kleinen Richtungsstern Maurinia, der Seefahrern zur Orientierung diente und als blau leuchtender Punkt über dem Mittagskreis schwebte.

Wie schon im Traum hörte sie nun wieder im Innern die Stimme der Mutter.

Feuer ist von großer Kraft. Aber das Sternenfeuer kam zuerst auf die Welt und ist das machtvollste Element überhaupt. Nutze das Feuer der Sterne, um dich und die Welt von dem Hass zu befreien, der von uns Besitz ergriffen hat.

Rhapsody holte tief Luft und hob das Schwert himmelwärts. Sie hörte dessen Musik anschwellen und in der Seele klingen, zeigte mit der Spitze auf Maurinia und spürte, wie der Stern in vollkommener Harmonie singend antwortete. Mit geschlossenen Augen wiederholte sie seinen Namen.

Plötzlich erstrahlten die hohen Berggipfel ringsum voller Glanz; ihr Licht fiel silbrig auf die Felder und Schluchten, und es war taghell, nein, heller noch, denn selbst die Schatten lösten sich auf. Am Ende schien es, als leuchteten sogar die Körper der drei Gefährten aus eigener Kraft.

Mit ohrenbetäubendem Donner zuckte jählings ein Feuer herab, heißer als das im Kern der Erde. Es traf auf das goldene Amulett, und die schwere Schieferplatte, auf der es lag, zerfiel zu Staub und Asche. Die drei schirmten ihre Augen ab gegen das gleißende Licht, in dem das ganze Tal aufzugehen schien. Wenig später war es wieder erloschen. Nur ein feiner Aschestaub auf dem Boden des versteckten Winkels war als sichtbare Spur zurückgeblieben.

Grunthor hielt Rhapsody bei den Schultern gepackt.

»Alles in Ordnung, Herzchen?«

Sie nickte kaum merklich, starrte reglos vor sich hin und versuchte, die Stimme, die sie im Geiste hörte, einzufangen. Vergebens. Vom Wind fortgetrieben, war sie bald nur mehr ein Flüstern und entschwand.

Dann werde ich in Frieden ruhen, bis du mich wieder siehst.

»Rhapsody?«

Sie starrte immer noch nach vorn, lauschte mit jeder Faser ihrer Seele, bis von der Stimme nichts mehr zu hören war.

Tröstend nahm Grunthor sie in seine mächtigen Arme. Rhapsody flackerte mit den Lidern. Ihr war, als hätte sie sich gerade endgültig von der Vergangenheit und ihrer Familie verabschiedet.

Sie kam sich elend und allein gelassen vor und fürchtete, vor Kummer vergehen zu müssen. Was sie einzig davor bewahren konnte, waren die starken Arme und die freundlichen Worte der Freunde, jener beiden, die sie vor langer, langer Zeit in irgendeiner kleinen Seitengasse als Brüder adoptiert hatte. Rhapsody seufzte tief und sagte, an die beiden Bolg gerichtet, die offenbar in Sorge um sie geraten waren: »Das wäre erledigt. Was jetzt?«

»Zurück an die Arbeit«, antwortete Achmed und grinste aus dem Ausschnitt der Kapuze. »Grunthor und ich haben nach unserer kleinen Exkursion ins Verborgene Reich eine Menge aufzuräumen. Mit Ausnahme der Hügel-Augen sind mittlerweile alle Klans vereint. Jetzt gilt es, unseren Plan in die Tat umzusetzen. Oh, und nicht zu vergessen: die Bestattung der Gefallenen.«

Sie nickte. »Sind schon die Gräber ausgehoben?«

Der König legte die Stirn in Falten. »Ich hatte eher an eine Feuerbestattung in der Schmiede gedacht«, antwortete er und zuckte merklich zusammen angesichts ihrer Miene.

»Nein, kommt nicht in Frage«, entgegnete sie angewidert. »Mag sein, dass die Nain dort ihre Toten verbrannt haben, aber wir werden die Schmiede nicht als Krematorium benutzen.«

»Warum nicht?«

»Weil sie, erstens, jetzt dem Aufbau und der Neuschöpfung gewidmet ist und sich schon deshalb nicht eignet als Ort für Bestattungen. Was aber entscheidender ist: Im Unterschied zu den Lirin, die ihre Toten verbrennen, um sie dem Wind und den Sternen zurückzugeben, verstehen sich die Bolg als Kinder der Erde, nicht des Himmels. Darum gehört es sich, sie in der Erde beizusetzen.«

Achmed zuckte mit den Schultern. »Sei’s drum. Ich beuge mich deiner überlegenen Kenntnis in Sachen Bestattungskultur. Die Bolg dürfen sich glücklich schätzen, dass ihnen eine echte Sängerin am Grab ein Ständchen hält.« Er sah, dass sich ihr Blick wieder verdüsterte. »Was ist los?«

Als sie nicht antworten wollte, nahm er sie beim Arm.

»Wir sind in Sicherheit, Rhapsody. Das Amulett ist verschwunden, zusammen mit dem Letzten der Shing. Tsoltan ist tot, und den F’dor wird’s wohl auch nicht mehr geben. Wir können uns nun voll und ganz dem Aufbau von Ylorc widmen. Das steht jetzt an und liegt in unserer Hand. Wir brauchen uns nicht mehr zu verstecken und müssen nicht länger trauern. Es ist an der Zeit, nach vorn zu schauen.«

Sie blickte ihn an und lächelte trotz betrübter Miene.

»Für dich vielleicht«, sagte sie.

60

Ab und an tauchte die Sonne hinter Wolken auf, als Rhapsody in den Felsen kletterte, die der Heide vorgelagert waren.

Seit einer Weile lief sie allmorgendlich, das Schwert geschultert, über die steilen Pfade der Umgebung, um an Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer dazuzugewinnen. Es war ein anstrengendes Programm, das sie sich zurechtgelegt hatte, doch der Erfolg, den sie deutlich an sich wahrnehmen konnte, trieb sie weiter an. Sie suchte jetzt nach einer neuen Übungsstrecke und hatte plötzlich das Bedürfnis, nicht mehr einfach nur zu laufen – sie wünschte sich, Reißaus nehmen zu können. Achmeds Königreich nahm Formen an, die ihr gegen den Strich gingen. Nachts wurde sie von so schrecklichen Albträumen geplagt, dass sie sich gar nicht mehr schlafen legen mochte. Sie hatte schon dran gedacht, zu Jo ins Bett zu kriechen, sich aber dann doch eines anderen besonnen aus Sorge, das Mädchen mit ihren nächtlichen Schreckensvisionen womöglich zu verstören.

Achmed und Grunthor waren meist unterwegs, sodass sie auch auf deren Trost verzichten musste. Umso einsamer fühlte sie sich in den kalten Felsfluren des Palastes.

Nach dem Abendessen war sie auf den Gedanken verfallen, dass es vielleicht möglich wäre, ihren Albträumen davonzulaufen, in dem Sinne, dass sie schließlich selbst zum Träumen zu erschöpft und müde sein würde.

Doch als sie jetzt am Rand der Heide stand, war ihr Kummer fast vergessen. Aus langem Winterschlaf erwacht und wie von göttlicher Hand gesegnet, erstrahlte die weite Graslandschaft im goldenen Glanz der untergehenden Sonne.

Die ersten Blumen blühten und brachten zarte Farbkleckse ins Bild, die auf Beifall zu warten schienen, um sich dann selbstbewusst entfalten zu können. Rhapsody tat ihnen den Gefallen und stimmte, auf den Fersen hockend, ein Lied an, das sie von Llauron gelernt hatte, und tatsächlich reagierten die Blüten auf ihren Gesang. Tief bewegt von der Schönheit der Landschaft, fragte sie sich, ob es denn tatsächlich möglich war, dass die Bolg allen Sinn dafür verloren hatten.

Sie stand auf, drehte sich mit ausgestreckten Armen im Kreis und trank mit den Augen den Anblick der Hügel und Felder im Aufzug der Nacht. Bis zu den fernen, schroffen Zacken, die über das alte Cymrerreich wachten, reichte ihr Blick, und die Welt lag ihr zu Füßen.