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Rhapsody hielt keuchend an und sah sich nach einem Versteck um. Aber da war keines. Sie rannte weiter, blieb aber bald wieder stehen, als sich ihr vom anderen Ende der Gasse zwei Gestalten näherten.

Die eine war von gigantischen Ausmaßen und trug eine mit Metallbändern armierte Lederrüstung sowie einen Helm mit spitz aufragendem Pickel. Die andere Gestalt war in einen Umhang mit Kapuze gehüllt und hielt das Gesicht hinter einer Art Schleier verborgen; obwohl im unmittelbaren Vergleich zu dem Koloss geradezu klein, war auch sie in Wirklichkeit recht groß, wie Rhapsody auf Anhieb ahnte. Der Mann bewegte sich erstaunlich gewandt und blieb reaktionsschnell stehen, kaum dass er das Mädchen entdeckt hatte. Der Riese dagegen war, ehe er etwas bemerkte, schon drei Schritte weiter. Rhapsody warf einen Blick zurück. Die drei Wachen waren um die Ecke gebogen und bis auf dreißig Schritt herangekommen. Sie steckte zwischen den Fremden und ihren Verfolgern in der Falle. Weil sie aber wusste, was von den Wachen zu erwarten war, entschloss sie sich, die beiden Fremden um Hilfe zu bitten.

Ihnen zugewandt und vor Erschöpfung keuchend, sagte sie: »Bitte, gebt mir den Weg frei. Lasst mich durch.« Die beiden Fremden sahen einander an, rührten sich aber nicht.

Auf gleicher Höhe und sehr viel langsamer als vorher rückten die drei Wachen vor. Rhapsody legte nun alle Hoffnung darein, ihnen weismachen zu können, dass sie in den Fremden mächtige Verbündete hatte, und bedachte das ungleiche Paar mit dem bezauberndsten Lächeln, das sie aufbringen konnte.

»Verzeiht, wenn ich aufdringlich erscheine, aber bitte seid so gut und nehmt euch meiner an. Adoptiert mich. Ich werde mich auch erkenntlich zeigen.«

Der Mann neben dem Riesen nickte leicht mit dem Kopf.

»Danke vielmals«, sagte Rhapsody und wandte sich wieder den Wachen zu. »So ein Zufall!«, keuchte sie und grinste übers ganze verschwitzte Gesicht. »Meine Herren, Sie kommen gerade zur rechten Zeit, um Bekanntschaft mit meinem Bruder zu machen. Bruder, darf ich vorstellen: Das sind die Büttel der Stadt. Meine Herren, das ist mein Bruder. Achmed, die Schlange.«

Für einen kurzen Augenblick hatte Rhapsody den Eindruck, als dehnte sich die Zeit um sie herum aus. Das Blut schoss ihr ins Gesicht; sie hörte und spürte ein fernes, aber vernehmliches Knacken, gefolgt von einem Geräusch, als würde Rauch verpuffen.

Ihr wurde mit einem Male ganz anders; womöglich hatte sie sich beim Laufen verausgabt. Ihr schwindelte, und sie stöhnte innerlich vor Pein, kaum dass sie den idiotischen Namen ausgesprochen hatte, der ihr ganz spontan eingefallen war. Wie auch immer, ihr Täuschungsmanöver schien Wirkung zu zeigen: Die Stadtwachen starrten die Fremden an und bekamen es ganz offensichtlich mit der Angst zu tun. Da schwirrte etwas in schneller Folge über ihren Kopf hinweg, flirrend und dünn wie Schmetterlingsflügel, so rasch, dass ihre Augen kaum folgen konnten. Jedes der Geschosse traf tödlich, und die Wachen fielen, einer nach dem anderen, der Länge nach in den Staub, ohne sich noch einmal zu bewegen.

Rhapsody mochte ihren Augen kaum glauben. Sie wandte sich wieder den Fremden zu. Der kleinere der beiden schulterte gerade eine seltsam aussehende Waffe – eine Art Armbrust mit asymmetrisch geformten Wurfarmen – und warf den Umhang darüber. Sie ließ sich ihr Staunen deutlich anmerken.

»Gute Arbeit«, sagte sie. »Vielen Dank.«

Die beiden Fremden sahen einander an und spähten um die Ecke. Der mit dem Umhang streckte ihr seine Hand hin, die zwar schlank aussah und in Leder gehüllt war, aber nichtsdestotrotz bedrohlich wirkte.

»Komm mit uns, wenn dir dein Leben lieb ist«, sagte er.

Seine Stimme klang trocken und unnatürlich rau, und es schwang ein Ton darin mit, der Rhapsody unwillkürlich aufhorchen ließ.

Sie warf einen flüchtigen Blick über die Schulter, als im Hintergrund die Geräusche aufmarschierender Wachen zu hören waren, und wieder dem Fremden zugewandt, ergriff sie dessen behandschuhte Hand. Zu dritt rannten sie davon und tauchten ein in die Schatten der labyrinthischen Gassen, die das Licht der Nachmittagssonne schon nicht mehr erreichte.

3

Die Mauern der großen Stadt waren nicht mehr zu sehen, und auf den Wiesen und Weiden rings um Ostend hatte sich Dunkelheit breit gemacht, als die drei Reisenden eine Rast einlegten und ihr Lager aufschlugen. Sie hatten die Stadt durch das Osttor am Hafen verlassen.

Ostend war eine geschäftige Hafenstadt, die es auch schon in den Tagen der Völkerkriege während des Zweiten Zeitalters gegeben hatte. Obwohl sie ursprünglich als ein Zentrum für Kunst und Kultur am Schnittpunkt der Handelsrouten geplant und als solches jüngst auch restauriert worden war, hatte sie der Kriege wegen schließlich doch den Charakter einer Festung angenommen. So wurde sie auf drei Seiten von hohen, mächtigen Mauern umgeben, die zum Hafen hinunterführten. Der rege Verkehr, der dort herrschte, war den dreien auf ihrer Flucht gelegen gekommen.

Rhapsody kannte sich in diesem Stadtviertel recht gut aus und war selbst nicht gerade langsam auf den Beinen, hatte aber dem Tempo, das die beiden vorlegten, nur mit Mühe folgen können und sich immer wieder antreiben lassen müssen.

Doch nachdem die drei, schon jenseits der Gefahr, eingeholt zu werden, eine Abkürzung durch zwei verlassene Häuser genommen hatten, hatte sie plötzlich die Orientierung verloren. Der kleinere Mann hielt vor einer Hafenkneipe an, in der es turbulent zuzugehen schien.

»Die kommen uns gerade recht«, sagte er und stahl zwei Pferde.

Der Riese hob Rhapsody auf eins der Pferde und führte es um die nächsten Straßenecke herum, ehe er selbst aufstieg. Auch der andere schwang sich in den Sattel. Schnell ritten sie zur Stadt hinaus, über die Felder im Süden und am Strand entlang.

Rhapsody hörte das Pferd schnaufen, das an dem Riesen und ihr seine Last hatte. Von dem Riesen, der hinter ihr im selben Sattel saß und die Zügel in der Hand hielt, spürte sie nicht mehr als ein leichtes Reiben. Die Schwingungen des galoppierenden Pferdes überdeckten, dass sie zitterte.

Sie ritten den ganzen Nachmittag lang. Rhapsody war vorher noch nie über den Südwall hinaus gekommen und warf jetzt sehnsüchtige Blicke zurück auf die große graue Silhouette aus Lehmhütten, marmornen Tempelruinen, altersschwachen Steinhäusern und hoch aufragenden Türmen, die sich mehr und mehr in der Ferne verloren. Als es dämmerte, war von der hohen, gewundenen Mauer, die zum Hafen führte, nichts mehr zu sehen. Vom Hafen selbst konnte sie nur noch ein paar funkelnde Lichter erkennen.

Obwohl so weit der Stadt entflohen, drückten die beiden Männer weiter aufs Tempo, und auch als es Nacht wurde, gönnten sie sich und den Pferden nur wenig Zeit zum Verschnaufen. Rhapsody wusste nicht zu sagen: Verdankte sie den beiden, wie anfangs geglaubt, ihre Rettung, oder musste sie womöglich fürchten, von ihnen entführt zu werden?

Sie fürchtete schon um die Pferde, die in der Dunkelheit den Boden nicht sehen konnten, als die beiden Männer unvermittelt anhielten. Finstere Nacht umgab sie.

»Absitzen«, tönte eine Stimme wie aus der Luft.

Ehe sie darauf reagieren konnte, zog der kleinere Mann sie aus dem Sattel, nachdem er selbst zu Boden gesprungen war und dem anderen die Zügel zugeworfen hatte.

»Grunthor, lass die Pferde laufen.« Der maskierte Mann verschwand in der Nacht.

Rhapsody hatte ihn sofort aus den Augen verloren und wandte sich dem Riesen zu, der im Dunkeln noch riesiger wirkte. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück und langte nach dem Messer, das im Ärmel steckte.

Grunthor achtete nicht auf sie. Er stieg aus den Sattel, knotete die Zügel des einen, dann die des anderen Pferdes zusammen.

»Ab mit euch!«, sagte er, doch die Tiere waren so erschöpft, dass sie sich nicht mehr von der Stelle rühren mochten. Genau damit schien der Riese gerechnet zu haben. Er nahm seinen Helm vom Kopf und baute sich unmittelbar vor den Pferden auf, breitete die Arme aus und ließ ein donnerndes Grollen vernehmen.

Zuerst waren die Tiere wie gelähmt, dann aber schreckten sie auf und stoben in panischer Angst und wiehernd davon.