Und er war ihr Begleiter, von dem sie hoffte, dass er sie zur Drachenhöhle führte, also angewiesen auf ihn um der Sicherheit der Bolgländer willen. Ob sie es bis dorthin schaffen würde oder nicht, war noch fraglich. Auf alle Fälle musste sie sich vor Ashe in Acht nehmen.
Ashe holte aus mit seinem Wanderstab.
»Sollen wir?«
Er schaute nach Westen, auf das zum Teil noch verschneite Tal und über die weite Ebene jenseits der Bergausläufer.
Rhapsody verweilte mit ihrem Blick noch kurz auf dem Panorama der Zahnfelsen und wandte sich dann ebenfalls der vorgegebenen Marschrichtung zu. Im Rücken stieg die Sonne auf und warf ihre goldenen Strahlen auf den grauen Dunst der Welt, die sich vor ihnen ausbreitete. Im Unterschied zu ihnen bewegten sich die kleinen dunklen Gestalten in der Ferne durch triste Schatten.
»Ja«, sagte sie und rückte ihr Gepäck zurecht. »Ich bin so weit.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, folgte sie ihm talwärts. Der Anfang des langen Wegs zur Drachenhöhle war gemacht.
In der Ferne blieb eine der Gestalten plötzlich aufmerkend stehen, warf einen Blick auf die Hügel und setzte sich dann wieder in Bewegung, dem Reich der Firbolg entgegen.
Mit schrillem Kreischen riss der Zeitstreifen entzwei, schlug flap-pend um die Spule und entzündete sich. Die Projektion auf dem Bildschirm erlosch, und von der Lampe stieg Rauch auf. Ein Stück des spröden Filmmaterials fiel brennend zu Boden.
Meridion stürzte hinzu, packte die rotierende Spule und drückte die schwelende Glut an der Bruchstelle zwischen zwei Fingern aus. Hastig hantierte er am Schaltpult des Zeit-Editors und atmete erleichtert durch, als das Gerät ausgeschaltet war. Dann hob er den zu Boden gefallenen Streifen auf und fluchte leise vor sich hin. Dass dieses Stück unwiderruflich zerstört war, sah er auf den ersten Blick.
Er setzte sich wieder auf den Stuhl, starrte untröstlich auf das Fragment und hob es schließlich ans Licht.
Er konnte sie tatsächlich sehen, die beiden winzigen Gestalten: die kleine, schlanke Frau mit dem glänzenden Haar, das mit einer schwarzen Schleife im Nacken zusammengehalten wurde, und den grau verhüllten Mann. Von den Strahlen der aufgehenden Sonne beschienen, standen sie auf der letzten Anhöhe über der Ebene.
Meridion seufzte. Was für eine böse Ironie, dass sie ausgerechnet vor dieser Kulisse erstarren mussten, die ganz ähnlich aussah wie die weiten Felder, bei denen er sie jenes Nachts gesehen hatte. Immerhin hatte er sie wieder zusammengeführt, auf derselben Seite der Zeit. Aber ihre Seelen waren mittlerweile so vernarbt, dass sie einander nicht erkannten. Doch dazu würde es wohl noch kommen. Kommen müssen.
Meridion fuhr wieder mit der Hand über die Instrumententafel, worauf der Editor brausend aufleuchtete. Vorsichtig führte er den verbrannten Rand unter die Linse, justierte das Okular mit ruhiger Hand und versuchte es auf das durch den Schwelbrand wellig gewordene Material scharf einzustellen.
Enttäuscht gab er schließlich auf. Das Bild war nun auf ewig zur Unkenntlichkeit eingeschwärzt. Blieb nur zu hoffen, dass zu den zerstörten Filmbildern nicht auch solche zählten, die er unbedingt hätte sichten müssen, um noch einen Hinweis auf die Identität des F’dor zu finden. Wenn ihm das nicht gelänge, würde er nicht wieder intervenieren können. Die beiden blieben dann ihrem dunklen Zeitabschnitt verhaftet. Dabei war ihre bisherige Geschichte schon tragisch genug. Ohne den Hinweis, den er suchte, würde sie noch tragischer enden.
Er schaltete den Editor wieder aus, lehnte sich im Dunkeln zurück und dachte nach.
Die Nacht brach herein, was ihm nur recht war. Die Dunkelheit war ihm ein Freund. Seine Augen sahen auch ohne Licht; das waren sie gewohnt, denn er kam von weit her, aus dem Reich des schwarzen Feuers.
Was bei Tage nicht auffiel, wurde jetzt deutlich: Das Weiß dieser Augen glühte an den Rändern blutrot. Natürlich war niemand zugegen, der dies gesehen hätte. Er war auf dieser Seite vorsichtig darauf bedacht, nicht erkannt zu werden, schon gar nicht jetzt, wo er seinem Ziel so nahe war. In der Ferne sah er die Gesandtschaft herbeiziehen. Seufzend lehnte er sich in seinem Sessel zurück. Endlich. Nach so langer Zeit waren die drei endlich zur Stelle. Daran ließ sich nicht länger zweifeln. Die seltsamen Vorgänge in Canrif, die Gerüchte und Geschichten über den neuen Firbolg-König wie auch die Fortschritte der monströsen Bevölkerung dort konnten nur als Beweis dafür zu deuten sein, dass seine Einschätzung richtig war. Dabei hatte es nicht einmal der mächtige Gwylliam vermocht, die Bolg zu zähmen. Jetzt stellte sich nur die Frage, was damit anzufangen war.
Es lief alles nach Wunsch, so gut, dass einfach nichts mehr schief gehen durfte. Zwietracht war genug gesät worden; die Aufstände hatten ihre Wirkung gezeitigt. Der Verlust des Hauses der Erinnerung war zwar ein schwerer Rückschlag gewesen, ließ sich aber noch verschmerzen.
Von entscheidenderer Bedeutung für seine Pläne war die bevorstehende Unterbrechung des Patriarchenritus. Ob die neue Macht im Land darauf noch Einfluss nehmen würde, blieb abzuwarten. Sie war zu weit entfernt, als dass ein Eingreifen möglich wäre, falls sich herausstellte, dass sie am Ende nichts anderes im Schilde führte, als die Ungeheuer aufzurüsten, um mit ihnen Eroberungskriege zu führen. Das war wichtig; von dem Auftragsmord in Sepulvarta hing allzu viel ab. Die Sache durfte nicht scheitern.
Er schloss die Augen und schmeckte den Tod, der schwer und erwartungsvoll in der Luft hing. Der Zeitpunkt rückte näher; gleichzeitig steigerte sich die ekelhafte, dumpfe Erregung im Marschtempo zum Kriegswahn. Mit dem Rhythmus des anschwellenden Hasses, der sich unaufhaltsam Bahn brach, zog es aus der Ferne herauf. Bald würde es da sein, gerade rechtzeitig. Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine angenehm schwärmerischen Gedankenspiele. Er stand langsam auf, um den Botschafter hereinzulassen, den einen und einzigen, dem er die heikelsten Aufgaben anvertrauen konnte. Seine erste Aufgabe sollte es sein, die Lage in Canrif und dessen neue Herrschaft einzuschätzen. Danach hätte er dafür zu sorgen, dass die drei im Verborgenen Reich der Bolg zurückblieben und ihm nicht in die Quere kämen, wenn er sich den wichtigeren Dingen zuwenden würde.
Als sein Abgesandter wieder gegangen war, um dem Firbolg-König seine Aufwartung zu machen, lehnte er sich entspannt zurück.
»Bald werden wir sehen, wer es wirklich verdient, ›Kind des Blutes‹ genannt zu werden«, flüsterte er und schmunzelte in sich hinein.
Nur die Dunkelheit hörte seine Worte.
Danksagung
Die Ausdruckskraft einer musikalischen Rhapsodie gründet in der Vielfalt der Inspiration, aus der sie entstanden ist, wie auch in den Talenten der Musiker, die sie zur Aufführung bringen. Lassen Sie mich dem Orchsester meinen tiefen Dank aussprechen:
Richard Curtis, meinem Agenten – einem wahren Künstler und außergewöhnlich ausdrucksvollen Musiker, der schon an das Thema meiner Rhapsodie geglaubt hat, bevor ich es getan habe. Ohne ihn hätte ich dieses Buch niemals schreiben können.
Meinem überaus fähigen Herausgeber James Minz, dem Dirigenten, der ein viel feineres Gehör hat als ich, und all den anderen wunderbaren Mitarbeitern von Tor.
Den Konzertmeistern T. L. Evans und W. J. Ralbovsky für ihre Unterstützung und Freundschaft schon ganz zu Beginn der Proben.
Den Kritikern Rebecca Mayr, Sharon Harris, Jennifer Roberson und Anne McCaffrey, die der Generalprobe beiwohnten und mich rechtzeitig vor der Premiere auf einige zu glättende Stellen aufmerksam machten.
Robert J. Becker für seine kartografischen Berechnungen und geologischen Gutachten.
Norma J. Coney für ihre umfassenden Kenntnisse der Kräuter- und Pflanzenkunde.
Luis Royo für das außergewöhnliche Cover der amerikanischen Originalausgabe und Ed Gazsi für seine ansprechenden Landkarten in derselben Ausgabe.
Helen M. Kahny für ihr professionelles Verständnis der mittelalterlichen Musik und der Guido-Tonleiter im Besonderen, wie auch für alles, was sie mir gegeben hat.