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Er blickte ihr wieder ins Gesicht und lächelte. Auch diese Einsicht war ihm jetzt so gewiss wie sein Name: dass seine Seele und die ihre zusammengehörten. Das konnte er sehen. Und mit dieser Gewissheit stellte sich ein Gefühl von ruhiger Zuversicht und Freude ein. Emily war seine Seelengefährtin, daran konnte kein Zweifel bestehen, und er hatte sie schon jetzt tief im Herzen lieb. Gwydion nahm ihren Kopf in beide Hände und gab ihr einen Kuss. »Entschuldige, dass ich dir solche Angst eingejagt habe«, sagte er und ließ wieder von ihr ab. »Ich muss dir etwas erzählen.«

Sie rückte ein Stück von ihm ab. »Worum geht es denn?«

Er versuchte zu verhindern, dass seine Stimme brüchig wurde, was sie häufig tat, wenn er aufgeregt oder irritiert war. »Wir müssen so schnell wie möglich von hier fort und nach Osten reisen. Für den Fall, dass wir uns aus irgendeinem Grund aus den Augen verlieren sollten, musst du mir versprechen, einen gewissen MacQuieth beziehungsweise Farrest oder Garael aufzusuchen. Bitte, versprich mir das.«

Emily starrte ihn verwundert an. »Was redest du da?«

Gwydion überlegte, wie er es ihr erklären konnte, und musste einsehen, dass das unmöglich war. Wie sollte er sich bloß verständlich machen? Auf den bevorstehenden Krieg gab es hier noch keinerlei Hinweise, geschweige denn auf den Untergang der Insel. Und dann kam ihm plötzlich der verstörende Gedanke, dass er womöglich dazu ausersehen war, selbst auf der Insel zurückzubleiben und hier, in der Vergangenheit, sein Leben zu beenden.

Er nahm wieder ihren Kopf zwischen beide Hände und betrachtete ihr Gesicht. Obwohl sie nicht wissen konnte, was in ihm vorging, zeigte sich doch Mitgefühl in ihrer Miene und der Wunsch, ihn zu trösten. Ihre Augen suchten in seinem Gesicht nach Antworten; sie waren vor Sorge ganz dunkel und voller Zuneigung. Er glaubte, sie unablässig betrachten zu können, ohne sich jemals an ihr satt zu sehen. Ein so inniges Gefühl der Zärtlichkeit stieg in ihm auf, dass er darin zu ertrinken meinte, und er dachte im Stillen, es wäre doch unendlich viel besser, hier zu sterben, als fortgehen und ohne sie weiterleben zu müssen.

Das Mondlicht fiel ihr in die Augen. Sie lächelte, und ihr Lächeln löste all seine Beklommenheit auf. Wieder gab er ihr einen Kuss, den er diesmal lange auskostete. Und wieder machte sich dieses wundervolle Prickeln in der Magengegend bemerkbar, als er ihren Mund aufgehen und ihren Atem auf sich übergehen spürte. So berauschend war die Nähe zu ihr, dass er fürchtete, die Selbstbeherrschung zu verlieren.

Er rückte von ihr ab und registrierte einen erstaunten Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Ich kann’s noch gar nicht fassen, dass du wirklich da bist«, flüsterte sie. »Woher kommst du eigentlich?«

Gwydion merkte erstaunt auf. »Was soll das heißen?«

Emily nahm ihn bei den Händen und zitterte vor freudiger Erregung am ganzen Körper. »Ich habe dich herbeigesehnt. Bist du gekommen, um mich vor der Lotterie zu retten und zu entführen?«

Gwydion schluckte. »So kann man es auch sagen. Aber entspreche ich wirklich deinem Wunschbild?«

Sie antwortete ganz offen und unbefangen: »Ich habe vergangene Nacht, gleich nach Mitternacht, meinen Glücksstern gebeten, dich zu mir zu schicken. Und hier stehst du vor mir. Woher du kommst, weißt du anscheinend selbst nicht, oder? Habe ich dich von weither herbeigewünscht?«

Der Junge machte große Augen und grinste verdutzt. »Ja, das hast du.«

Sie seufzte. »Kaum zu glauben. Ich habe fast ein ganzes Jahr auf die richtige Nacht gewartet, und es hat tatsächlich geklappt. Du bist gekommen, bist endlich hier.« Eine Träne rollte ihr übers Gesicht und ließ ihr Lächeln noch strahlender wirken. Er glaubte zu spüren, dass sie über magische Kräfte verfügte, die vielleicht wirklich die Ursache dafür waren, dass er über die Strömungen der Zeit zu ihr hingefunden hatte.

Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Komm«, sagte sie, »ich will dir das Feenfort zeigen.«

Sie gingen ins Tal zurück, langsam diesmal, dem Bach entgegen, der durch das Weideland mäanderte. Gwydion schaute zu den fremden Sternen auf. Der dunkle Himmel wölbte sich über ihm wie ein endloses Versprechen.

Als sie den Bach erreichten, sah sich Emily bestürzt um. Das Wasser strömte schneller als gedacht, und das Ufer war so morastig, dass sie mit einem Fuß darin versank und stecken blieb. Gwydion half ihr, wieder freizukommen. Sie warf einen Blick auf die Weide, wohin sie ihn hatte führen wollen, und musterte dann verzagt ihre aufwändig verschnürten Schuhe, die nun voller Lehm waren.

»Tut mir Leid, Sam«, sagte sie mit vor Enttäuschung stockender Stimme. »Ich schaff’s wohl nicht. Und ich kann die Schuhe nicht ausziehen; es dauert Stunden, sie wieder zuzuschnüren. Aber geh du. Von der Weide aus hat man einen wundervollen Ausblick.«

»Ohne dich hätte ich bestimmt keinen Gefallen daran«, erwiderte Gwydion. Er sah sich nach einer Möglichkeit um, den Bach zu überqueren, doch es war keine geeignete Stelle auszumachen.

»Du könntest mich tragen«, sagte sie und äußerte damit den Gedanken, den er vorzuschlagen sich gescheut hatte. »Wenn dir das nichts ausmacht.«

»Im Gegenteil«, entgegnete er hastig und versuchte seine Verlegenheit dadurch zu kaschieren, dass er den Mantelsaum raffte, der im Wasser steckte. Als er sich wieder im Griff hatte, öffnete er die Arme und gelobte im Stillen, sich mittels irgendwelcher Giftkräuter aus dem Leben zu stehlen, falls ihm die Peinlichkeit passieren sollte, sie fallen zu lassen.

Von solcherlei Befürchtungen offenbar unbeeindruckt, kam Emily auf ihn zu, schlang einen Arm um seinen Nacken und führte ihm die Hand unter ihr angehobenes Knie. Er nahm sie vom Boden auf, trug sie mit Leichtigkeit über den Bach und weiter durch sumpfiges Gras auf die Weide zu, wo er sie behutsam absetzte.

Es war ein mächtiger Baum, aus mehreren Stämmen bestehend, die im Umfang wohl dreimal die Spannweite seiner Arme ausmachten. Dank der guten Versorgung mit Wasser war der Baum enorm hoch gewachsen, und durch das feine Laub rieselte wie sommerlicher Schnee das Mondlicht nieder. Emily tätschelte den Baum mit liebevoller Gebärde. »Die Bauern glauben, dass ein einzelner Baum inmitten von Weiden das Zuhause von Feen ist«, sagte sie und blickte lächelnd ins hohe Geäst.

»Davon darf man sich Glück erhoffen. Und es wäre ein schreckliches Unheil, wenn der Blitz in ein solches Feenfort einschlagen und es in Brand stecken würde.«

Gwydion dachte zurück an seine Vision von der verbrannten, verwüsteten Landschaft. Er hatte die Weide gesehen, verkohlt und abgestorben, und die Erinnerung daran ließ ihn erschauern. Er wandte sich dem Mädchen zu. Emily schlenderte um den Baum herum, berührte mit der Hand die tief hängenden Zweige und sprach mit wohlklingenden, ihm unverständlichen Worten auf sie ein. Als sie zu ihm zurückkehrte, lächelte sie und fragte: »So, den Baum hast du gesehen. Wohin soll’s jetzt gehen? Willst du zurück?«

»Noch nicht.« Er erwiderte ihr Lächeln. »Kennst du dich mit den Sternen aus?«

»Ja. Warum fragst du?«

»Könntest du mir etwas darüber beibringen?«

»Wenn du möchtest.« Sie wollte sich vor dem dicksten Stamm auf den Boden setzen, doch er hielt sie zurück, löste die Kordel seines Umhangs und breitete ihn vor ihr aus.

Ihr Schmunzeln brachte ihn in Verlegenheit. »Sam?«

»Ja?«

»Würde es dich stören, wenn ich mein Kleid ausziehe?«

Gwydion spürte, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht wich. Wohin es lief, wurde ihm wenig später peinlich bewusst.

Bevor er eine Antwort stammeln konnte, fügte sie mit Verlegenheit in der Stimme hinzu. »Tut mir Leid. Ich hätte mich genauer ausdrücken sollen. Gemeint war dieser Teil.« Sie zupfte an dem Überkleid aus blauem Samt. »Keine Angst, ich bin auch darunter noch anständig angezogen. Aber das ist mein einziges Festtagskleid, und ich möchte nicht, dass es schmutzig wird. Meine Mutter wäre untröstlich. Also noch mal gefragt: Würde es dich stören?«