»Sam?«
Widerstrebend ließ er von ihr ab, setzte sich zurück und sah sie mit neuen Augen an. Bei Sonnenaufgang war er noch vollkommen frei und allein gewesen, und er hatte ein Leben geführt, wie es einem Jungen seines Alters zustand: Zeitvergessen und ohne groß Gedanken an die Zukunft zu verschwenden.
Jetzt aber sah er sich seiner Frau gegenüber. Er hatte sich immer schon gefragt, wie seine zweite Seelenhälfte wohl aussehen würde, und war von der Antwort tief beeindruckt; ja, er staunte, dass es sie tatsächlich gab. Die Aussicht darauf, den Rest seines Lebens an ihrer Seite zu verbringen, ließ ihn schwindeln und erschreckte ihn sogar ein wenig. Später, wenn er während endlos langer Tage ihren Tod betrauern würde, sollte er an diesen Moment zurückdenken, da er sich zum ersten Mal aus neuen Augen sah, aus Augen, die noch glaubten, dass das Leben ein Übermaß an Liebe für ihn bereithalte.
»Ja?«
»Glaubst du, dass wir das Meer sehen werden? Irgendwann einmal?«
»Natürlich«, versprach er ihr guten Gewissens. »Wir könnten, wenn es dir gefällt, auch am Meer wohnen. Hast du es noch nie gesehen?«
»Ich bin doch noch nie hier rausgekommen, Sam, kein einziges Mal.« In ihrem Blick lag Wehmut.
»Aber ich habe mich schon immer nach dem Meer gesehnt. Mein Großvater ist Seefahrer, und er hat versprochen, dass er mich irgendwann einmal auf eine große Fahrt mitnimmt. Bis vor kurzem habe ich mir auch Hoffnung darauf gemacht.« Sie schaute ihm in die Augen, sah eine Spur von Traurigkeit darin und blickte schnell wieder weg. Offenbar schlug ihr der Kummer, den sie bei ihm auslöste, noch zusätzlich aufs Gemüt. Als sie ihn wieder ansah, strahlte sie so, als hätte sie sich vorgenommen, ihn aufzumuntern. Sie rückte näher und flüsterte: »Ich habe schon einmal sein Schiff gesehen.«
Gwydion zeigte sich verwundert. »Wie ist das möglich, wenn du noch nie am Meer warst?«
Sie lächelte ihm zu. »Nun, es ist in Wahrheit sehr klein – ungefähr so groß wie meine Hand –, jedenfalls da, wo es jetzt liegt: in einer Flasche auf dem Kaminsims. Er hat es mir gezeigt, als ich bei ihm zu Besuch war.«
Tränen stiegen ihm in die Augen. Er war sicher, dass sich unter all den berühmten und besonderen Personen, die er in seinem Leben getroffen hatte, nicht eine befand, deren Seele so rein war wie die ihre. Für eine Weile brachte er kein Wort hervor. Als er endlich wieder sprechen konnte, sagte er, was er im Herzen fühlte.
»Du bist das wundervollste Mädchen auf der ganzen Welt.«
Sie begegnete seinem Blick mit ernster Miene. »Nein, Sam, aber ich bin das glücklichste.«
Mit zitternden Händen berührte er ihre bloßen Arme, und der Kuss, den sie sich gaben, war voll von den Versprechungen ehelicher Freuden.
»Sam?« Ihre wunderschönen Augen funkelten im Mondschein.
»Ja?«
»Es gibt zwei Dinge, die ich dir sagen möchte.«
Ihrem Lächeln war anzumerken, dass es in beiden Fällen nichts Problematisches war.
»Ich höre.«
Emily blickte zu Boden. »Ich fürchte, wenn du mich noch einmal so küsst, werde ich mich nicht mehr zurückhalten können.«
Er bebte am ganzen Körper. »Und das Zweite?«
Ihre Hand fuhr ihm übers Gesicht und verharrte auf seiner Schulter. »Ich möchte, dass du mich gleich noch einmal küsst.«
Wie in Trance strich Gwydion seinen Umhang auf dem Boden glatt. Emily streckte sich darauf aus. Er kauerte auf den Fersen und sah sie an, bis sie ihre Hände nach ihm ausstreckte. Zaghaft und mit einem Kloß im Hals sank er ihr in die Arme und presste sie so fest er konnte und ohne ihr wehzutun an sich. Endlich gab er dem Verlangen nach, das er schon den ganzen Abend über verspürt hatte, und fuhr streichelnd mit der Hand über ihr Haar.
Es fühlte sich so kühl und glatt an wie Seide. Gwydion spürte, wie sie sich an dem Band zu schaffen machte, das den Halsausschnitt seines Hemdes gerafft hielt. Dann zog sie vorsichtig die Hemdzipfel aus der Hose und fuhr mit den Händen über seine Bauchdecke bis zur Brust, was ihn veranlasste, die Augen zu schließen und mit den Lippen ihren Mund zu suchen. Und er fand ihre Lippen, die nicht weniger bebten als seine.
Der laue Nachtwind wehte sanft über die Haare der beiden. Gwydion ließ von ihr ab und lehnte sich ein Stück zurück, um sie betrachten zu können. Ihr Gesicht war ohne jede Furcht oder Scham; vielmehr zeugte es von liebender Zustimmung.
Ohne den Blick von ihr abzuwenden, tastete er mit der Hand nach dem Mieder ihres Unterkleids und nahm den ersten kleinen, herzförmigen Knopf zwischen die Finger, die so zittrig waren, als wären sie kalten Winterstürmen ausgesetzt. Und mit jedem Knopf, der sich löste, zitterten sie heftiger, bis sie, beim letzten Knopf angelangt, alles Fingerspitzengefühl vermissen ließen und so hastig und roh zu Werke gingen, dass der Knopf abriss.
Gwydion schreckte zurück. »Oh, das tut mir Leid, Emily«, murmelte er kleinlaut und schamrot im Gesicht. Umso überraschter war er, als er sie amüsiert schmunzeln sah.
Sie nahm ihm den Knopf aus der Hand, drehte ihn zwischen den Fingern und sagte: »Hübsch, nicht wahr? Mein Vater hat sie von seinem letzten Besuch in der Stadt mitgebracht und mir zum Geburtstag geschenkt. Sie waren bestimmt ziemlich teuer.«
»Emily ...« Sie legte ihm zwei Finger auf die Lippen und brachte ihn so zum Schweigen. Dann gab sie ihm den Knopf zurück und schloss seine Hand darum.
»Behalt ihn, Sam«, bat sie. »Zur Erinnerung an diese Nacht, in der ich dir mein Herz geschenkt habe.«
Sie spürte seine heißen Tränen auf die bloße Haut tropfen, schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihn an ihre Brust. »Keine Sorge, Sam«, flüsterte sie. »Du wirst mir schon nicht wehtun. Ganz bestimmt nicht.«
Wieder hatte sie seine Gedanken gelesen. Durch ihre Worte ermutigt, schob er das dünne Unterhemd beiseite und drückte seine Lippen in die enge Senke zwischen ihren Brüsten. Mit aller Zärtlichkeit, die ein Junge seines Alters aufbringen konnte, küsste er die samtene Haut und lupfte ihr mit der freien Hand das Oberteil über die Schultern.
Dann ließ er die Hand auf ihre kleinen Brüste zurückkehren, liebkoste mit sanftem Druck die rosigen Spitzen und nippte mit den Lippen daran. Er spürte, wie sie unter seiner Berührung zu beben anfing, worauf es ihm selbst kalt und heiß zugleich wurde.
Das Mondlicht beleuchtete ihr ohnehin strahlendes Gesicht. Die Augen glitzerten, und er sah, dass sie wie seine eigenen feucht von Tränen waren. Was sie ausdrückten, war so eindeutig und unmissverständlich, dass jede Frage den Zauber des Augenblicks gestört hätte. Gwydions Mund kehrte auf die blanke Brust zurück, und er schob die Hand unter das zerknitterte Hemd. Als er schließlich die warme Haut ihrer Schenkel ertastete, fürchtete er, in seiner Erregung nicht länger an sich halten zu können.
Sie zerrte ihrerseits an seinem Hosenbund und musste einsehen, dass gezügelte Ungeduld schneller zum Ziel führte; so gelang es ihr endlich zu entfernen, was noch zwischen ihnen war. Zitternd schmiegte sich Gwydion enger an sie. Er schaute sie dabei an, und was er in ihren Augen sah, rührte ihm unmittelbar ans Herz.
»Ich liebe dich, Sam«, sagte sie. »Ach, wie lange habe ich schon auf dich gewartet. Ich war mir allerdings ganz sicher, dass du zu mir kommen würdest, wenn ich es mir nur fest genug wünschte.«
Dann war er in ihr und bewegte sich behutsam, um Kontrolle bemüht, die ihm, von unvorhergesehener Lust überwältigt, zu entgleiten drohte.
Zitternd schlang Emily die Arme um ihn und presste ihn enger an sich. Er hörte, wie ihr Atem kürzer wurde. Sie stemmte den Kopf zurück, was er als Einladung verstand, ihren schlanken Hals zu küssen, den er mit Tränen benetzte, worauf sie ihm mit der Hand durchs Haar fuhr und ihn tröstend liebkoste. Sie waren ganz und gar ineinander verschränkt, als er innehielt und sich nicht mehr rührte aus Angst, bei der kleinsten Bewegung, und sei es nur der Versuch zu atmen, aufzuwachen und feststellen zu müssen, dass alles nur ein Traum gewesen sei. Auch wenn es einer sein sollte, wollte er ihn so bald noch nicht ausgeträumt haben.