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Der Reiter lachte vergnügt. »Es wird schwach genannt, ist aber stark und keineswegs winzig. Das ist eine lange Geschichte - vielleicht nehmen wir zusammen eine Erfrischung zu uns, wenn ich meinen Hengst versorgt und mich gewaschen habe?«

»Tut mir leid, aber .« wollte Fidelma ablehnen, als ihre Freundin sie heftig am Arm zog.

»Aber sehr gern«, antwortete Grian rasch und mit einem Lächeln, das Fidelma in Verlegenheit brachte.

»Ausgezeichnet«, erwiderte Cian. »Dann treffen wir uns in fünfzehn Minuten dort drüben an dem Zelt mit dem gelbseidenen Banner darauf.«

Er wandte sich ab und führte sein Pferd fort. Im Vorübergehen klopften ihm manche Leute auf die Schulter. Er schien sehr beliebt zu sein.

Zornig fuhr Fidelma ihre Freundin an.

»Wie konntest du das tun!« zischte sie gereizt.

Grian blieb unbeeindruckt.

»Weil ich dich kenne. Natürlich wolltest du ihn kennenlernen! Leugne das doch nicht. Statt mich anzufauchen, solltest du froh sein, daß du eine Freundin wie mich hast.«

Im tiefsten Innern wußte Fidelma, daß Grian recht hatte. Sie hatte wirklich den hübschen Krieger kennenlernen wollen.

Die Erinnerung an diese Begegnung kam und ging im selben Augenblick, aber sie stand ihr kristallklar vor Augen.

Jetzt, in der Dunkelheit des unteren Längsgangs der »Ringelgans«, starrte Fidelma den hochgewachsenen Mann an, den die schaukelnde Laterne beleuchtete, und wurde von dem Konflikt ihrer Gefühle fast überwältigt. Sie nahm kaum wahr, daß er eine Mönchskutte trug. Er stand in der Tür seiner Kajüte, hielt sich mit einer Hand am Türrahmen fest, und sein hübsches Gesicht zeichnete sich gegen die sich jagenden Schatten ab.

Sie erkannte, daß er älter aussah, auch reifer, und doch hatten sich seine Züge kaum verändert. Die Jahre hatten sein angenehmes Äußeres stärker ausgeprägt und - sie gab es ungern zu - ihn noch attraktiver gemacht.

»Fidelma!« Seine Stimme klang lebhaft. »Du hier? Ich kann es kaum glauben!«

Es wäre so einfach, auf dieses strahlende Lächeln einzugehen. Sie kämpfte einen Moment mit der Versuchung, und es gelang ihr, eine ausdruckslose Miene aufzusetzen. Erleichtert stellte sie fest, daß sie ihre Gefühle unter Kontrolle hatte.

»Es ist eine Überraschung, dich hier zu sehen, Ci-an«, antwortete sie in gemessenem Ton. Dann setzte sie hinzu: »Was machst du denn auf einem Pilgerschiff?«

In dem Moment, als sie die Frage stellte, bemerkte sie plötzlich, daß er in braunen Wollstoff gekleidet war und ein bronzenes Kruzifix an einer Lederschnur um den Hals trug.

Cian stutzte bei ihrem kühlen, sachlichen Ton und setzte ein schiefes Lächeln auf. Ein bitterer Ausdruck überflog sein hübsches Gesicht.

»Ich bin auf einem Pilgerschiff aus dem einfachen Grunde, weil ich ein Pilger bin.«

Fidelma schaute ihn spöttisch an. »Ein Krieger der Leibgarde des Großkönigs, ein Krieger der Fianna, geht auf Pilgerfahrt? Das ist kaum zu glauben.«

Lag es an dem unsicheren Licht, oder sah er seltsam aus?

»Das liegt daran, daß ich kein Krieger mehr bin.«

Trotz ihrer abweisenden Reaktion auf dieses Wiedersehen wollte Fidelma mehr erfahren.

»Willst du damit sagen, du hättest die Truppe des Großkönigs verlassen, um in einen Mönchsorden einzutreten? Das glaube ich dir nicht. Religion bedeutete dir nie etwas.«

»Kannst du mein ganzes Leben voraussagen? Darf ich meine Meinung nicht ändern?« Sein Ton wurde plötzlich feindselig. Fidelma beeindruckte das nicht. Sie hatte seine Ausbrüche in ihrer Jugend oft genug erlebt.

»Ich kenne dich sehr gut, Cian. Ich habe diese Kenntnis teuer genug erworben - oder erinnerst du dich nicht mehr daran? Ich jedenfalls weiß das noch. Ich konnte es wohl kaum vergessen.«

Sie wandte sich der Kajüte zu, die Wenbrit ihr gezeigt hatte, als Cian die Hand vom Türrahmen nahm, mit der er sich abgestützt hatte, und nach ihr langte. Durch die Bewegung des Schiffes kam er ins Straucheln. Wieder mußte er sich abstützen.

»Wir müssen miteinander reden, Fidelma«, sagte er eindringlich. »Zwischen uns sollte es keine Feindschaft geben.«

Ein seltsam verzweifelter Ton in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Sie zögerte, aber nur einen Moment lang.

»Wir haben später noch reichlich Zeit dazu, Cian. Es wird eine lange Fahrt . Vielleicht sogar eine zu lange«, fügte sie bissig hinzu.

Sie trat in die Kajüte und schloß die Tür hinter sich, bevor er antworten konnte. Einen Augenblick blieb sie schwer atmend, mit dem Rücken an die Tür gelehnt, stehen und wunderte sich, daß ihr kalter Schweiß ausbrach. Sie hätte nicht gedacht, daß ein Wiedersehen mit Cian nach all den Jahren solche Emotionen in ihr wiedererwecken würde. Nachdem er sie damals verlassen hatte, hatte sie viele Monate gebraucht, um sie zu unterdrücken.

Sie konnte nicht leugnen, daß sie sich bei dieser ersten Begegnung mit Cian auf dem Fest von Tara in ihn vernarrt hatte. Nein, wenn sie ehrlich sein wollte, mußte sie zugeben, daß sie sich in ihn verliebt hatte. Trotz seiner Arroganz, seiner Eitelkeit und seines Stolzes auf seine Tüchtigkeit als Krieger hatte sie sich zum erstenmal in ihrem Leben verliebt. Er hatte alles an sich, was Fidelma verabscheute, aber das half nichts gegen die unwillkürliche Verbindung zwischen ihnen. Ihre Charaktere waren völlig entgegengesetzt, und unweigerlich zogen sie einander an wie Magnete. Das war ein sicheres Rezept für eine Katastrophe.

Cian war ein junger Mann, der auf Eroberungen aus war, und Fidelma war eine junge Frau, die eine romantische Vorstellung von der Liebe hatte. In wenigen Wochen hatte er sie in einen Strudel widerstreitender Gefühle gestürzt. Selbst Grian begriff, daß Cians Werben um Fidelma ganz oberflächlich war. Ihre Freundin war jung, attraktiv und vor allem intelligent - und Ci-an wollte sich dieser Eroberung rühmen. Hatte er Erfolg, würde sie ihm gleichgültig werden. Und Fidelma, ob sie nun intelligent war oder nicht, weigerte sich zu glauben, ihr Liebhaber hätte so niedrige Motive. Daraus ergaben sich viele Streitereien mit Grian.

Plötzlich erklang in dem Dunkel der Kajüte ein so herzzerreißendes Stöhnen, daß Fidelma erstarrte und abrupt in die Gegenwart zurückgerufen wurde. Ihre wirren, bedrückenden Erinnerungen waren vergessen. Einen Moment mußte sie überlegen, wo sie sich befand. Sie hatte die Kajüte betreten, die Wenbrit ihr gezeigt hatte und die sie mit jemand teilen sollte. Nun stand sie hier in der Dunkelheit.

Das Stöhnen hörte sich an, als leide jemand starke Schmerzen.

»Was ist?« flüsterte Fidelma und versuchte die Richtung zu ergründen, aus der der Ton kam.

Erst trat Stille ein, dann rief eine Stimme kläglich: »Ich sterbe!«

Fidelma sah sich rasch um. Es war stockdunkel in der Kajüte.

»Gibt es hier kein Licht?«

»Wer braucht denn Licht zum Sterben?« kam die Erwiderung. »Wer bist du überhaupt? Das hier ist meine Kajüte.«

Fidelma machte die Tür wieder auf, damit ein wenig Licht vom Durchgang hereinfiel. An der Tür fand sie einen Kerzenstumpf, den sie an der Laterne entzündete. Zum Glück war Cian verschwunden.

Als sie nach wenigen Augenblicken zurückkam, sah sie eine Frau in der unteren der beiden Kojen der winzigen Kajüte liegen. Ihre Kutte schien in Unordnung, ihr Gesicht war totenblaß, aber immer noch recht hübsch. Sie war jung, vielleicht Anfang zwanzig. Neben der Koje stand ein Eimer.

»Bist du seekrank?« Sie sagte es mitfühlend und wußte, daß die Frage überflüssig war.

»Ich sterbe«, beharrte die Frau. »Ich möchte allein sterben. Ich wußte nicht, daß es so schlimm ist.«

Fidelma schaute sich rasch um. Sie sah, daß ihr Gepäck auf der anderen Koje lag.

»Das kann ich nicht zulassen, Schwester. Ich teile für diese Fahrt die Kajüte mit dir. Ich heiße Fidelma von Cashel«, fügte sie fröhlich hinzu.