Murchad lachte verständnisvoll.
»Na, bei dem einen Mal bin ich besser gesegelt als der Räuber.«
»Und beim zweiten Mal?« fragte Schwester Crella aufgeregt.
Die Mundwinkel des Kapitäns zogen sich humorvoll herab. »Da hat er mich gefaßt.«
Verwirrtes Schweigen trat ein, bis Murchad merkte, daß sein Humor bei seinen Passagieren nicht angekommen war, und er sich zu einer Erklärung entschloß.
»Er stellte fest, daß mein Schiff leer war, keine Waren und keine Passagiere an Bord hatte, denn ich fuhr von einem Hafen zu einem anderen, um Ladung aufzunehmen, und da entschied sich der Pirat, mich weiterfahren zu lassen. Es lohnte sich nicht für ihn, mein Schiff zu versenken, wenn er mich später mit einer wertvollen Ladung fassen könnte. Er erklärte mir, er wolle mich wiedersehen, wenn ich ihm etwas zu bieten hätte. Bisher habe ich ihn noch nicht wieder getroffen.«
Es trat nachdenkliche Stille in der Kajüte ein.
»Und wenn du nun Pilger an Bord gehabt hättest?« fragte Schwester Gorman angstvoll.
Murchad machte sich nicht die Mühe zu antworten. Schließlich sagte Schwester Ainder: »Gott sei gelobt, daß die Frage sich nicht gestellt hat.«
Ein Ruf vom Deck her ließ alle nervös zusammenfahren.
»Aha.« Murchad stand rasch auf. »Habt keine Angst. Es bedeutet nur, daß der Wind dreht. Ihr entschuldigt mich - ich muß zurück an meine Pflicht. Wenn ihr noch Fragen habt, wie das Schiff gefahren wird und welche Regeln ihr zu beachten habt, dann wendet euch an Wenbrit. Der Junge hat den größten Teil seines Lebens an Bord verbracht und ist meine rechte Hand im Umgang mit Passagieren.«
Er schlug dem Jungen auf die Schulter, und Wenbrit erlaubte sich ein verlegenes Lächeln, als der Kapitän an Deck ging.
Fidelma wollte das unvermeidliche Gespräch mit Cian hinausschieben, bis sie über alles nachgedacht hatte, und wandte sich an den jungen Mönch neben ihr.
»Kommt ihr alle aus derselben Abtei?« eröffnete sie die Unterhaltung.
Der schlanke blonde junge Mann, der ihr als Bruder Dathal vorgestellt worden war, trank seinen Becher Wein aus, bevor er antwortete.
»Bruder Adamrae«, damit wies er auf seinen ebenso jungen Gefährten, »und ich kommen von der Abtei Bangor. Doch die meisten aus unserer Pilgerschar stammen aus der Abtei Moville, die nicht weit von Bangor liegt.«
»Beide gehören zum Königreich Ulaidh, glaube ich«, meinte Fidelma.
»Das stimmt. Zum Kleinkönigreich der Dal Fia-tach«, erwiderte Bruder Adamrae, der rotes Haar und Sommersprossen hatte. Seine kalten blauen Augen funkelten wie Wasser an einem heißen Sommertag. Sein Temperament war so ruhig, wie das seines Gefährten überschäumend war.
»Was zieht euch zum Schrein des heiligen Jakobus?« forschte sie weiter und spürte, daß Cian nur auf eine Gelegenheit wartete, sie in ein Gespräch zu verwickeln.
»Wir sind scriptores«, erklärte Bruder Adamrae in seinem traurigen Tonfall.
Bruder Dathal, der im Gegensatz dazu mit hoher, fast piepsiger Stimme sprach, fügte hinzu: »Wir arbeiten an einer Geschichte unseres Volkes in der alten Zeit. Deshalb fahren wir nach Iberia.«
Fidelma hörte nur halb zu. »Die Verbindung ist mir nicht ganz klar«, bemerkte sie höflich. Eigentlich überlegte sie, wie sie sich Cian gegenüber verhalten sollte.
Bruder Dathal beugte sich zu ihr hinüber und wedelte wie zur Ermahnung mit seinem Messer.
»Aber, Schwester Fidelma, du kennst doch wohl den Ursprung unseres Volkes?«
Überrascht blickte sie ihn an und dachte nach, bis ihr einfiel, was er meinte.
»Ach ja - du sprachst mit dem Kapitän über Bregons Turm. Interessiert ihr euch für die alte Legende von der Herkunft unseres Volkes?«
»Alte Legende?« empörte sich Dathals rotgesichti-ger Gefährte. »Es ist Geschichte!« Er erhob seine traurige Stimme und sang:
»Acht Söhne hatte Golamh, der Rufer im Streit, Er, der auch Mile von Spanien genannt ...«
Fidelma unterbrach ihn, als er noch weitersingen wollte.
»Die Geschichte kenne ich, Bruder Adamrae. Doch verrät sie mir nicht, weshalb ihr zum Schrein des heiligen Jakobus wollt. Das hat doch sicher nichts mit Golamh und der Herkunft der Kinder Gaels zu tun?«
Bruder Dathal war nachsichtig, aber auch begeistert.
»Wir haben uns auf den Weg gemacht, weil wir Wissen suchen. Es kann doch gut sein, daß unsere Vorfahren alte Bücher in diesem Land Iberia hinterlassen haben, in dem die Kinder Bregons, des Sohnes Brathas, lebten und sich vermehrten und beschlossen, ihre Herrschaft über See auszudehnen. Aus diesem Grunde baute Bregon seinen Turm, von dem aus er Irland erspähte, und dann war es Ith, der Sohn Bre-gons, der ein Schiff baute und es mit dreimal fünfzig Kriegern bemannte; und sie stachen in See und segelten nach Norden, bis sie die Küste des Landes erreichten, das heute unser geliebtes Eireann ist.«
»Diese jungen Leute«, unterbrach ihn Bruder Tola mit Mißbilligung in seinem trockenen Ton, »sind nicht am Glauben und am heiligen Schrein interessiert, sie wollen nur etwas über weltliche Geschichte erfahren.«
Die Kritik des älteren Mönchs war nicht zu überhören.
»Hast du etwas gegen die Forschungen deiner jungen Gefährten?« fragte Fidelma.
Bruder Tola stocherte in dem Essen auf seinem Teller herum.
»Ich dachte, das sei klar. Die Brüder Dathal und Adamrae haben kein Recht, so zu tun, als wären sie auf einer religiösen Pilgerfahrt, wenn sie lediglich ihrem Interesse an weltlichen Dingen nachgehen.«
Bruder Dathal wurde blaß, und er hob die Stimme.
»Nichts ist heiliger als die Suche nach Wissen, Bruder Tola.«
»Nichts, außer Gott und seinen Heiligen«, fuhr ihn Bruder Tola an und stand plötzlich auf. »Seit wir Bangor verlassen haben, habt ihr von nichts weiter als von eurer ewigen Suche nach der historischen Wahrheit geredet. Ich habe genug davon. Wir sind hier auf einer Pilgerfahrt zum Schrein eines großen Heiligen, der Christus kannte und ihm nachfolgte. Das ist viel wichtiger als menschliche Eitelkeit.«
»Und was ist mit Ith, dem Sohn Bregons, der in Irland in der Schlacht fiel?« gab der traurige Bruder Adamrae zurück. »Was ist mit Golamh und seinen Söhnen, unseren Vorfahren? Ist das nicht auch wichtig? Ohne sie würdest du nicht einmal existieren und könntest nicht auf deine Pilgerfahrt gehen.«
»Für jemanden, der den Namen des ersten Menschen trägt, den Gott erschuf, scherst du dich ziemlich wenig um Religion«, tadelte ihn Tola.
Bruder Adamrae lehnte sich zurück und fing an zu lachen. Bruder Tola schien schockiert über das, was er für Gotteslästerung hielt. Selbst Fidelma verbarg ein Lächeln hinter vorgehaltener Hand. Bruder Tolas Mangel an Bildung überraschte sie.
Bruder Dathal verhielt sich weniger diplomatisch.
»Deine Unwissenheit beweist, wie nötig das ist, was du unsere menschliche Eitelkeit nennst«, erklärte er Bruder Tola schroff. »Der Name Adamrae hat nichts mit dem biblischen Namen Adam zu tun. Es ist ein alter Name in unserem Volk und bedeutet >wunder-voll<. Siehst du nun, wieviel Wissen dir fehlt, wenn du dich auf einen Gegenstand beschränkst?«
Angewidert wandte sich Bruder Tola ab und verließ die Kajüte.
Schwester Ainder, die Fidelma wegen ihrer strengen Miene wie ein weibliches Gegenstück zu Bruder Tola erschien, schnalzte mißbilligend mit der Zunge.
»Man sollte nicht so respektlos zu Bruder Tola sein. Er ist ein Mann von großer Gelehrsamkeit und Frömmigkeit.«
»Gelehrsamkeit?« höhnte Bruder Dathal.
»Er ist gelehrt in Bibelkunde und Philosophie«, erwiderte Schwester Ainder.
»Auf unserem Gebiet ist er nicht gelehrt, und er hat uns respektlos behandelt«, verteidigte sich Bruder Adamrae. »Wir machen kein Hehl daraus, welches Ziel unsere Reise hat. Unsere Aufgabe ist es, Wissen für unsere Abtei zu sammeln, die schon für ihre Gelehrsamkeit berühmt ist. Bruder Tola hat anscheinend etwas gegen Gelehrsamkeit.«