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»Niemals!« Sie erschauerte »Ich habe keine Lust, mit dir zu reden. Du warst arrogant und unerträglich, als du jung warst, und du hast dich mit den Jahren offensichtlich nicht geändert.«

Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging rasch zu ihrer Kajüte, bevor er etwas antworten konnte.

Arrogant und unerträglich. Diese Worte erschienen ihr noch mild angesichts der Wut, die sie empfunden hatte, der Erniedrigung, der Kränkung, die sie erlitten hatte in jenen einsamen Tagen, in denen sie auf ihn wartete in dem Zimmer, das sie in der kleinen Herberge in der Nähe von Tara gemietet hatte, nachdem sie aus der Hochschule des Brehon Morann verwiesen worden war. Nach dem Gespräch mit Brehon Morann hatte sie das Studentenheim verlassen. Nur Grian kannte die wahre Ursache, denn Fidelma teilte nicht einmal ihrer Familie mit, was geschehen war. Sie wohnte zurückgezogen in dem winzigen Zimmer und brach den Verkehr mit der Familie und den Freunden ab, außer mit Grian. Cian kam und ging, wann er wollte. Manchmal sah sie ihn mehrere Tage nicht, sogar eine Woche und länger. Dann erschien er wieder und blieb ein oder zwei Tage. Als sie eines Nachmittags in ihrem Zimmer beieinanderlagen, hatte Fidelma die Frage der Heirat gestellt. Sie hatte Cian ihr Studium geopfert, und sie wußte, daß die Situation, in die sie sich gebracht hatte, nicht andauern konnte.

Sie hatte Cian gefragt: »Wirst du mich für immer lieben?«

Cian lächelte auf sie herab. Wieder dieses selbe, leicht spöttische Lächeln.

»Für immer ist eine lange Zeit. Machen wir es uns schön, solange es schön ist.«

Aber Fidelma blieb ernst. »Glaubst du wirklich, daß wir nur an die Gegenwart denken sollten? So kann man ein erfülltes und zufriedenes Leben nicht planen.«

»Wir existieren nur in der Gegenwart.«

Zum ersten Mal hörte sie Cian etwas aussprechen, was man eine Lebensphilosophie nennen könnte. Sie war grundsätzlich anderer Meinung.

»Wir mögen in der Gegenwart existieren, aber wir haben eine Verantwortung für die Zukunft. Ich habe drei Jahre studiert und wollte in diesem Jahr den Grad eines Sruth do Aill erlangen, der mich zur Lehre befähigte, vielleicht als Hilfslehrerin an der Hochschule meines Vetters in Durrow. Vielleicht finde ich auch eine andere Hochschule, wo ich diesen Grad erlange. Dann könnten wir heiraten.«

Cian rollte sich von ihr fort auf die Seite und griff nach einem Becher Wein. Er nahm einen langen Zug und seufzte leise.

»Fidelma, du träumst immerfort. Du hast ständig deine Bücher im Kopf. Wozu? Du bist zu intellektuell.« In seinem Mund klang das wie ein Schimpfwort. »Schaff deine Bücher ab. Du brauchst sie nicht.«

»Abschaffen ...?« Sie war so verblüfft, daß ihr die Worte fehlten.

»Bücher sind nichts für Leute wie du und ich. Sie zerstören das Glück, sie zerstören das Leben.«

»Das meinst du doch nicht im Ernst«, protestierte Fidelma.

Cian zuckte die Achseln. »So denke ich. Sie schenken den Menschen falsche Träume, Visionen von einer Zukunft, die es nicht geben kann, oder einer Vergangenheit, wie sie niemals war. Jedenfalls werde ich bald mit meiner Kriegertruppe im Dienst des Großkönigs Cellach nach Tir Eoghain zurückkehren. Dann werde ich keine Zeit haben, an Dinge wie Heirat zu denken, und noch weniger in der Lage sein, mich irgendwo für immer niederzulassen. Ich dachte, das wäre dir von Anfang an klar gewesen. Ich bin nicht jemand, den man besitzen oder festbinden kann.«

Fidelma richtete sich im Bett auf, im Innern erstarrt.

»Ich will dich nicht besitzen, Cian. Ich wollte mir zusammen mit dir eine Zukunft aufbauen. Ich dachte ... Ich dachte, wir besäßen etwas gemeinsam.«

Cian lachte belustigt auf.

»Natürlich besitzen wir etwas gemeinsam. Genießen wir das, was wir wirklich gemeinsam haben. Ansonsten - kennst du nicht den Spruch? Ehestand -Fesselband.«

»Wie kannst du so grausam sein?« Sie war entsetzt.

»Ist man grausam, wenn man Realist ist?« wollte er wissen.

»Also wirklich, Cian, ich weiß nicht, woran ich mit dir bin.«

Er lächelte spöttisch.

»Deutlicher kann man es doch wohl kaum sagen.«

Sie glaubte nicht an seine Grausamkeit. Sie glaubte seinen Worten nicht. Sie wollte es nicht glauben. Es war nur eine Pose, die er einnahm, redete sie sich ein - eine unreife Pose. Er liebte sie wirklich. Sie würden doch zusammenleben. Das wußte sie. In ihrer jugendlichen Eitelkeit wollte sie nicht zugeben, daß sie sich irrte. Also trafen sie sich weiter, wann und sooft es Cian gefiel.

Fidelma lehnte an der Reling auf dem kleinen Vorderdeck und starrte hinaus auf die grenzenlose Weite des Ozeans. Sie wußte nicht, wie sie dorthin gelangt war, so sehr hatte sie sich in ihre Erinnerungen versenkt.

Sie schreckte auf, als sich ihr eine Hand auf die Schulter legte.

»Muirgel?« Es war eine tiefe männliche Stimme.

Sie wandte sich fragend um.

Ein junger Mönch stand da. Sie schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Der Wind zerzauste sein strähniges braunes Haar. Er hatte ein gerötetes Jungensgesicht mit Sommersprossen und dunkelbraunen Augen. Seine Augen weiteten sich vor Verblüffung.

»Ich dachte, du wärst . Entschuldigung«, murmelte er verdutzt. »Ich suche Schwester Muirgel. Ich sah nur deinen Rücken und dachte - na ja .«

Fidelma wollte dem jungen Mönch aus seiner Verlegenheit helfen.

»Das macht gar nichts, Bruder. Als ich Schwester Muirgel zuletzt sah, war sie unter Deck. Ich glaube, sie ist seekrank und fühlt sich nicht wohl. Ich heiße Fidelma. Dich habe ich noch nicht kennengelernt, nicht wahr?«

Der junge Mann machte eine eckige Verbeugung.

»Ich bin Bruder Bairne aus Moville. Es tut mir leid, daß ich dich in deinen Gedanken gestört habe, Schwester.«

»Vielleicht brauchten sie eine Störung«, murmelte Fidelma.

»Wie?« Bruder Bairne verstand gar nichts mehr.

»Nichts von Bedeutung«, antwortete sie. »Ich habe nur an etwas gedacht. Geht es dir wieder besser?«

Er runzelte die Stirn. »Besser?« wiederholte er.

»Ich hatte gehört, du kämst nicht zum Mittagessen, weil du auch krank wärst.«

»Ach - ach ja. Mir war etwas übel, doch jetzt geht es mir besser, aber noch nicht so gut, daß ich etwas essen könnte.« Er setzte eine klägliche Miene auf.

»Nun, das geht nicht dir allein so.«

»Ist Schwester Muirgel noch in ihrer Kajüte?«

»Das nehme ich an.«

»Danke, Schwester.« Damit trabte Bruder Bairne über das Deck zum Heck hin. Er hatte ihr Gespräch so abrupt beendet, daß es schon an Unhöflichkeit grenzte.

Fidelma schaute ihm nach und zuckte innerlich die Achseln. Sie hatte gehofft, daß sich ihr erster Eindruck von den anderen Pilgern nicht bestätigen würde. Im Augenblick meinte sie, mehr mit Murchad und seiner Besatzung gemeinsam zu haben als mit ihren Mitpilgern. Hätte sie in die Zukunft blicken und ahnen können, daß Cian auch an Bord sein würde, nie hätte sie einen Fuß auf die »Ringelgans« gesetzt.

Fidelma unterdrückte ein Frösteln, der Wind wurde kühler. Er war zu einer kräftigen Brise angewachsen und ließ die Segel knallen wie Peitschenhiebe. Sie mußte sich die flatternden Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen.

»Frisch, was?«

Sie wandte sich dem jungen Sprecher zu. Wenbrit eilte mit einem Ledereimer in der Hand vorbei und begrüßte sie mit einem Grinsen.

»Es kommt ein ganz schöner Wind auf«, antwortete sie.

Der Kajütenjunge trat zu ihr.

»Ich glaube, wir kriegen bald einen richtigen Sturm«, verriet er ihr. »Dann merken wir, wer von den Pilgern für die Seefahrt taugt.«

»Woher weißt du, daß uns schlechtes Wetter bevorsteht?« fragte Fidelma.

Wenbrit nickte nur zum Großsegel hin, und Fidelma sah, wie die Kraft des Windes es bauschte und schlug. Dann berührte der Junge leicht ihren Arm und zeigte nach Nordwest. Fidelma wandte sich um und erkannte, was er meinte. Über dem dunkelnden Wasser trieben schwarze Wolkenbänke rasch auf sie zu. Ihrem Blick schien es, als purzelten sie übereinander in dem wilden Rennen, welche als erste das Schiff erreichen würde.