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»Ein Sturm? Wird er gefährlich?«

Wenbrit verzog gleichgültig den Mund.

»Alle Stürme sind gefährlich«, meinte er achselzuk-kend, als gehe ihn der düstere Himmel wenig an.

»Was können wir tun?« Fidelma war beeindruckt von dem bedrohlichen Schauspiel, das auf sie zu kam. Der Junge sah sie einen Moment an, dann versuchte er sie zu beruhigen.

»Murchad wird vor dem Wind laufen, zumal das ohnehin die Richtung zu unserem Ziel ist. Aber zu deiner Sicherheit solltest du lieber in deine Kajüte ge-hen, Lady. Ich sag gleich den anderen unten Bescheid, daß sie in ihren Kajüten bleiben sollen. In einer Stunde hat der Wind Sturmstärke erreicht, schätze ich. Sieh zu, daß du alles verstaust, was lose ist und durch die Kajüte fliegen und dich verletzen kann.«

Obwohl sie schon mehrere Seereisen gemacht hatte, spürte Fidelma, als sie in ihre Kajüte ging, wie ihr Herz schneller schlug und sie hastiger atmete.

Es kam fast genau so, wie Wenbrit es vorhergesagt hatte. Der Wind nahm an Stärke zu, und die See bekam Schaumkronen. Das Schiff stampfte und schaukelte, als befände es sich im Maul eines riesigen Hundes, der es schüttelte und zerrte. Wenbrits Rat folgend, hatte Fidelma alles in ihrer Kajüte festgezurrt. Dann saß sie da und wartete auf den Sturm. Trotz Wenbrits Warnung war sie überrascht von der Gewalt, mit der er das Schiff erfaßte. Einmal arbeitete sie sich hinüber zu dem Fenster ihrer Kajüte und schaute unruhig hinaus auf das Hauptdeck. Doch draußen war es fast dunkel, schwarze Regenwolken löschten das Tageslicht aus.

Durch das Heulen des Windes hörte sie ein Klopfen, und ihre Kajütentür ging auf. Sie fuhr herum, noch ans Fensterholz geklammert, und sah Wenbrit in der Tür stehen. Er schaute sich um, stellte fest, daß alles verstaut war, und schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln.

»Ich wollte nur sehen, ob bei dir alles in Ordnung ist, Lady«, erklärte er. Er schien den Aufruhr der Natur sehr gelassen zu nehmen. »Geht es dir gut?«

»So gut, wie unter den Umständen möglich«, erwiderte Fidelma und legte den Weg zu ihrer Koje fast rennend zurück, weil sich das Deck plötzlich geneigt hatte.

»Der Sturm ist da«, verkündete Wenbrit überflüssigerweise. »Er ist stärker, als der Kapitän gedacht hat, und er versucht nun, mit dem Bug gegen den Wind zu kommen, aber es geht eine schwere See. Es wird eine harte Zeit, also bleib bitte hier drin. Es ist gefährlich, sich zu bewegen, wenn man nicht an Stürme auf See gewöhnt ist. Ich bring dir später was zu essen. Ich glaube, keiner wird sich zum Essen an die Tafel setzen.«

»Danke, Wenbrit. Du bist sehr aufmerksam. Ich vermute, wir werden aufs Essen verzichten, solange der Sturm andauert.«

Der Junge zögerte noch in der Tür. »Wenn du etwas brauchst, laß mich einfach holen.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Schon gut. Wenn ich was brauche, komme ich und suche dich.«

»Nein.« Die Antwort kam energisch. »Bleib während des Sturms in deiner Kajüte. Sag einem Matrosen Bescheid und wag dich nicht aufs Deck. Bei so einem Sturm müssen selbst wir Seeleute an Deck Rettungsleinen tragen.«

»Ich denke dran«, versicherte sie ihm.

Der Junge legte die Knöchel an die Stirn zu dem eigenartigen Seemannsgruß und verschwand.

Sie merkte, wie kalt und dunkel es wurde, obwohl es noch früh am Abend war. Sie konnte nichts weiter tun als auf der Koje sitzen und sich eine Decke um die Schultern nehmen. Selbst zum Lesen war es zu dunkel. Sie wünschte, sie könnte sich mit jemandem unterhalten. Der Schiffskater lag zusammengerollt auf ihrer Koje, und sein warmes schwarzes Fell war ihr angenehm. Sie streichelte ihm den Kopf. Er blinzelte schläfrig, schaute sie an und schnurrte leise.

»Du bist wohl solches Wetter gewohnt, was, Mäuseherr?«.

Der Kater gähnte ausgiebig und schlief wieder ein.

»Sehr gesprächig bist du auch nicht«, beschwerte sich Fidelma. Dann streckte sie sich neben dem Kater aus und versuchte sich gegen das jammervolle Heulen des Windes in der Takelage und den Segeln und das Wogen der See abzuschotten. Gedankenverloren kraulte sie den Kater hinterm Ohr, und er schnurrte noch stärker. Irgendwoher kam ihr das alte Sprichwort in den Sinn: Katzen wie Menschen sind Schmeichler.

Sie dachte wieder an Cian.

Als Fidelma in ihrer Koje erwachte, jaulte und tobte der Wind immer noch, und das Schiff wurde hin und her geworfen. Der Kater lag warm und tröstlich neben ihr. Wenn sie nur auf ihre Freundin Grian gehört und ihren Warnungen vor Cians oberflächlichem Charakter geglaubt hätte. Jahrelang hatte sie Bitterkeit und Groll empfunden. Dann kam ihr unversehens der Gedanke, daß sich diese Bitterkeit und dieser Groll nicht so sehr gegen Cian gerichtet hätten, wie sie gemeint hatte, sondern vielmehr gegen sie selbst. Fidelma war auf sich selbst zornig gewesen, hatte sich ihre Dummheit und ihre alberne Eitelkeit zum Vorwurf gemacht.

Sie hörte, wie der Wind noch stärker wurde, in der Takelage heulte und sich in die Segel stemmte. Irgendwo schrie eine Stimme etwas. Sie fühlte, wie sich das Schiff mit jeder Welle hob und danach wieder in das kochende Wellental hinunterglitt.

Sie schwang sich aus der Koje, während Mäuseherr zu einem Ball zusammengerollt liegenblieb und unbekümmert fest weiterschlief. Sich überall festhaltend, wo sie nur konnte, arbeitete sich Fidelma zum Fenster hin. Sie zog den nassen Leinenvorhang weg und spähte hinaus. Feiner Gischt schlug ihr ins Gesicht. Mit einer Hand wischte sie sich die Augen und schwankte leicht, als sich das Deck unter ihr bewegte. Draußen war es dunkel. Es war Nacht geworden. Sie blickte nach oben, doch von Mond und Sternen war nichts zu sehen. Sie wurden von niedrigen, regenschweren Wolken verdeckt.

Der Wind jaulte nun in den Wanten, und hinter der hölzernen Reling konnte sie gerade noch die weißen Wogenkämme erkennen, die von den heftigen Windstößen zu weißem Schaum gepeitscht wurden. Sie merkte, daß der Bug, in dem ihre Kajüte lag, hoch in die Wellen stieg und dann Kaskaden von Wasser auf das Deck über ihr stürzten.

Dunkle Schatten hantierten an den Tauen um den Hauptmast herum. Fidelma beobachtete staunend, wie die Männer den unbeherrschbaren Winden, dem Stampfen des Schiffes und den Wassermassen trotzten und das mächtige Großsegel refften. Eine riesige Welle legte das Schiff beinahe auf die Seite. Fidelma wurde gegen die Wand geschleudert, konnte sich aber festhalten und das Fenster wieder erreichen. Erneut strömte das Wasser über die Decks, und einen Moment glaubte Fidelma, die Matrosen seien über Bord gespült worden, doch als der Gischt verflog, sah sie, wie sie, die Taue in den Händen, aus den Fluten auftauchten.

Wieder mußte sie sich am Fensterrahmen festklammern, als das Schiff bockte. Sie fühlte sich vollkommen hilflos. Sie wollte hinaus aufs Deck und den Männern helfen, jedenfalls irgend etwas tun. Sie fand sich Kräften der Natur ausgeliefert, von denen sie nichts verstand. Sie begriff natürlich, daß es nichts für sie zu tun gab. Die Matrosen waren erfahren und kannten die See. Sie hatte keine Ahnung. Sie konnte sich nur wieder in ihre Koje legen und hoffen, das Schiff werde den Sturm abreiten.

Als sie den Leinenvorhang wieder zuzog und sich zu ihrer Koje zurückhangelte, erscholl der laute Ruf: »Alle Mann! Alle Mann!«

Es war ein angsterregender Ruf. Panik ergriff sie, sie stürzte zur Kajütentür und riß sie auf.

Draußen stand ein dunkler Schatten, wohl aus der gegenüberliegenden Kajüte gekommen. Sie erkannte ihn nicht, aber eine Stimme mit fremdem Akzent schrie sie an, um den Sturm zu übertönen.

»Zurück, Lady! Du bist in der Kajüte sicherer.«

Widerwillig schloß sie die Tür und ging zu ihrer Koje zurück, auf der sie sich lieber ausstreckte als zu sitzen. Der Sturm dauerte an. Sie wußte nicht, wie lange sie so dalag. Auf seltsame Weise wirkte der wütende Sturm einschläfernd. Sie hatte nichts zu tun als zu denken. Das ständige Schlingern, der Anprall der Wogen, das Heulen des Windes vereinigten sich nach einer Weile zu einem einzigen Geräusch, und Fidelma wurde allmählich davon hypnotisiert. Ihre trägen Gedanken wanderte wieder zu Cian. Und während sie an Cian dachte, schlich sich der Schlaf heran und überwältigte sie, ehe sie es merkte.