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»Ich wollte nur sagen, daß nach den Muirbretha, den Seegesetzen, Murchad als Kapitän des Schiffes die gleiche Stellung einnimmt wie ein König. Er besitzt sogar noch größere Macht, denn er ist nicht nur König, sondern auch Oberrichter. Mit anderen Worten, er hat den Befehl über alle an Bord. Alle. Ich glaube, ich habe die Lage deutlich erläutert. Oder hast du noch eine Frage, Bruder Tola?«

Der hochgewachsene Mönch schaute irritiert auf.

»Keine weitere Frage«, antwortete er frostig.

Fidelma wandte sich an Murchad.

»Du kannst sicher sein, daß deine Anordnungen strikt befolgt werden und jeder weiß, daß Ungehorsam bestraft wird.«

Murchad bedankte sich mit einem unsicheren Lächeln.

»Mir geht es nur um eure Sicherheit. Dieser ... Unfall von Schwester Muirgel hätte nie passieren dürfen.«

Er wollte den Raum verlassen, doch Schwester Gorman hielt ihn zurück.

»Können wir . Dürfen wir wenigstens einen kurzen Bittgottesdienst für den Frieden der Seele Schwester Muirgels abhalten, Kapitän?«

Murchad zögerte verlegen.

»Das ist unsere Christenpflicht«, kam ihr Schwester Ainder zu Hilfe.

»Natürlich«, knurrte Murchad. »Ihr könnt ihn am Mittag abhalten, wenn der Nebel sich hoffentlich gelichtet hat.«

»Vielen Dank, Kapitän.«

Murchad ging, und Wenbrit reichte Met und Wasser herum. Das Mahl wurde schweigend eingenommen, und Fidelma war froh, als sie wieder auf Deck flüchten konnte. Der Nebel wogte immer noch dick herum und hatte sich auch am Mittag nicht gelichtet.

Es war ein schlichter Gottesdienst. Alle versammelten sich auf dem Hauptdeck, ausgenommen Gurvan und ein Matrose, die das Steuerruder bedienten, und eine unsichtbare Wache im nebelverhangenen Mastkorb, die darauf achten sollte, ob der Himmel aufklarte. Schon vor einiger Zeit hatte Murchad die Segel reffen und Treibanker ausbringen lassen, damit das Schiff nicht in Gefahr geriet. Aber Fidelma spürte, daß es trotzdem abtrieb, und Murchads besorgte Blicke wanderten nach allen Seiten, um Schwierigkeiten rechtzeitig zu erkennen.

Es war eine seltsame Gruppe, die dort stand, von strähnigem Nebel umgeben, wie Geister aus der Anderen Welt. Überraschenderweise sprach Bruder Tola das Gebet für den Frieden der Seele Schwester Muir-gels. Seine Stimme hallte, als käme sie aus einem Grabmal. Er schloß sein Gebet und zitierte dann ohne Übergang aus dem Propheten Jeremia. Fidelma kannte die Zeilen, fand aber seine Wahl merkwürdig:

»Wir müssen das Land räumen; denn sie haben unsere Wohnungen geschleift, So höret nun, ihr Weiber, des Herrn Wort, Und nehmet zu Ohren seines Mundes Rede; Lehret eure Töchter weinen, Und eine lehre die andere klagen; Der Tod ist zu unsern Fenstern eingefallen Und in unsere Paläste gekommen, Die Kinder zu würgen auf der Gasse .«

Fidelma sah den fürchterlichen Mönch etwas verwirrt an, denn sie hielt diesen harten Text für unpassend bei einem Gottesdienst für den Frieden einer Seele. Sie blickte der Reihe nach die anderen Trauernden an und erkannte selbst durch die Nebelschwaden, daß Schwester Gormans Augen glänzten und sie im Rhythmus des Vortrags nickte. Cian neben ihr wirkte absolut gelangweilt. Die anderen standen regungslos da, wie hypnotisiert von Bruder Tolas biblischer Deklamation.

»Der Menschen Leichname sollen liegen wie der Mist auf dem Felde

Und wie Garben hinter dem Schnitter .«

Plötzlich räusperte sich Bruder Bairne laut. Es war als Unterbrechung gedacht und tat seine Wirkung.

»Ich hätte auch ein Wort aus der Heiligen Schrift für die Seele der dahingegangenen Schwester«, verkündete er, als Bruder Tola verstummte. »Ich glaube, ich kannte sie ebenso gut wie alle anderen hier.« Niemand wollte ihm widersprechen.

Er begann zu rezitieren, und Fidelma merkte, daß er es mit erhobenem Blick und grimmiger Miene tat, als richte er seine Worte an jemanden. Seine Augen glitten über den Kreis der Versammelten. Fidelma konnte bei dem dichten Nebel nicht erkennen, wen er ansah. War es Schwester Crella, die mit niedergeschlagenen Augen dastand, oder war es Cian, der gelangweilt nach oben schaute? Und neben Cian stand die naive junge Schwester Gorman. Es war schwierig, der Blickrichtung zu folgen.

»Und ich will’s auch nicht wehren, wenn eure Töchter und Bräute geschändet und zu Huren werden, Weil ihr einen anderen Gottesdienst anrichtet mit den Prostituierten Und opfert mit den Tempelhuren. Denn das törichte Volk will geschlagen sein .«

Schwester Crella hob plötzlich den Kopf.

»Was haben diese Worte mit Schwester Muirgel zu tun?« fragte sie drohend. »Du hast sie überhaupt nicht gekannt! Du warst bloß eifersüchtig!« Sie wandte sich an Schwester Ainder, deren Miene Entsetzen über die Unterbrechung verriet. »Mach dieser Farce ein Ende. Sprich einen Segen, und dann Schluß.«

Die Besatzungsmitglieder, die an der Feier teilgenommen hatten, zogen sich schon verlegen zurück. Fidelma fragte sich, welche verborgenen Leidenschaften hier im Spiel waren.

Schwester Ainder errötete, sprach einen kurzen Segen, und damit ging die Gruppe auseinander. Nur Bruder Bairne stand noch mit gesenktem Kopf da wie in schweigendem Gebet.

Als Fidelma sich abwandte, traf sie Murchad. Er sah verwirrt aus.

»Eine seltsame Gruppe von Mönchen und Nonnen, Lady«, murmelte er.

Fidelma war geneigt, ihm zuzustimmen.

»Wie war das da zuletzt mit den Tempelhuren?« fuhr Murchad fort. »Stammt das wirklich aus der Heiligen Schrift?«

»Hosea«, bestätigte Fidelma. Sie machte ein trauriges Gesicht. »Ich glaube, Bruder Bairne zitierte Verse aus dem vierten Kapitel.

>Je mehr Priester es sind, je mehr sündigen sie wider mich; Darum will ich ihre Ehre zu Schanden machen. Sie fressen die Sündopfer meines Volks Und sind begierig nach ihren Sünden. Darum soll es dem Volk gleich wie dem Priester gehen.<«

Murchad starrte sie bewundernd an.

»Ich hatte öfter das Gefühl, daß ich das von einigen der Mönche und Nonnen sagen möchte, die mir begegnet sind.«

»Es scheint, Gott hat das schon früher gesagt, Kapitän«, erwiderte Fidelma ernst.

»Wie behältst du bloß solche Sachen, Lady?«

»Wie behältst du denn, wie du das Schiff führst, woher weißt du Bescheid mit Winden und Gezeiten und erkennst die Warnzeichen, die die >Ringelgans< vor Gefahren bewahren? Es ist kein Geheimnis dabei, Murchad. Jeder hat ein Gedächtnis und kann sich Dinge einprägen. Wichtiger ist, daß man auch nach dem handelt, was man weiß.«

Sie ging über den Niedergang zum Messedeck, um sich Wasser zu holen. An der Tür traf sie Wenbrit. Er war nicht zum Gottesdienst an Deck gekommen und hatte sich mit seinen Pflichten entschuldigt. Jetzt fiel ihr auf, wie blaß und bedrückt er aussah. Er schien erleichtert, als sie auftauchte.

»Lady, ich muß ...« Er brach ab und blickte auf etwas über und hinter Fidelmas Kopf.

Sie schaute ihn stirnrunzelnd an.

»Was ist, Wenbrit?«

»Ach ...« Er sah einen Moment verwirrt aus. »Ich wollte dich nur daran erinnern, daß gleich das Mittagsmahl serviert wird.«

Er schob sich an ihr vorbei zu den Kajüten hin und flüsterte ihr dabei kaum hörbar zu: »Komm zu mir in die Kajüte der toten Schwester. Sobald du kannst.«

Hinter ihr hüstelte jemand. Sie schaute auf und sah, daß Cian ihr den Niedergang hinunter gefolgt war. Er stand ein paar Stufen über ihr und beugte sich vor.

»Ich muß einmal richtig mit dir sprechen, Fidelma.« Er zeigte immer noch dieses zuversichtliche Lächeln. »Gestern sind wir zu keinem Abschluß gekommen.«