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Das Schiff stampfte und rollte so heftig, daß Fidelma ständig ihre Haltung ändern mußte, um senkrecht zu bleiben.

»Bißchen rauh für dich, was, Schwester?«

Sie schaute in das Koboldsgesicht eines dreizehnoder vierzehnjährigen Jungen, der breitbeinig, die Hände in den Hüften, vor ihr stand und sich mühelos im Gleichgewicht hielt, während das Schiff schlingerte und rollte, als die Mannschaft es auf den neuen Kurs manövrierte. Er hatte kupferrotes Haar, eine Menge Sommersprossen auf seiner hellen Haut und meergrüne Schalksaugen. Sein breites Grinsen verriet selbstbewußten Stolz. Er sprach zwar mühelos irisch, doch mit einem Akzent, der seine Herkunft verriet: Er war Brite.

»So rauh nun auch nicht«, versicherte sie ihm, obgleich sie sich an der Reling abstützen mußte.

Bei ihrer Antwort verzog er ungläubig das Gesicht.

»Na«, meinte er, »wenigstens hältst du dich besser als ein paar von deinen Freunden unter Deck. Die kotzen wie die Reiher.« Angeekelt rümpfte er die Nase. »Und wer hat das alles sauberzumachen?«

»Ich nehme an, du bist Wenbrit?« fragte Fidelma lächelnd. Trotz des Schlingerns des Schiffes spürte sie keine Übelkeit. Es kam nur darauf an, das Gleichgewicht zu halten.

»Ja«, antwortete der Junge. »Du willst jetzt wohl nach unten gehen?«

»Ja, ich möchte mir meine Kajüte ansehen.«

»Dann folge mir, Schwester, und halte dich gut fest«, sagte er und nahm ihre Tasche. »Bei kräftigem Seegang ist es unter Deck manchmal gefährlicher als auf Deck. Wenn ich Kapitän wäre, würde ich meine Passagiere erst nach unten lassen, wenn sie wüßten, wie das ist. Wenn sie erst Seebeine gekriegt haben, dann können sie sich auch in der Dunkelheit unter Deck verkriechen.«

Mit diesen spöttischen Reden ging er ihr stolz und sicher voran, die hölzernen Stufen vom Achterdeck hinunter auf das Hauptdeck. Als er sich umwandte, bemerkte Fidelma einen weißen Streifen an seinem Hals, die Narbe einer Abschürfung. Das reizte ihre Neugier, doch es war nicht der Ort und nicht die Zeit, danach zu fragen. Am Fuß der Treppe beobachtete er kritisch, wie sie herabstieg. Rasch war sie unten, und er nickte in widerwilliger Anerkennung.

»Einer deiner Freunde fiel die Treppe runter, als wir noch vor Anker lagen«, erklärte er fröhlich. »Landratten!«

»Hat er oder sie sich verletzt?« fragte Fidelma, von der Gefühllosigkeit des Jungen entsetzt.

»Nur in ihrer Würde, wenn du verstehst, was ich meine«, erwiderte er lässig. »Hier lang, Schwester.«

Er ging durch eine Tür - die korrekte seemännische Bezeichnung dafür hatte Fidelma nicht behalten - und eine enge schmutzige Treppe hinunter in den Kajütenraum unter Deck. Später lernte sie, daß das Niedergang hieß. Eine einzige Sturmlaterne schwang an einer Kette in dem Korridor und verbreitete ein nur schwaches Licht.

»Du hast eine Kajüte mit einer anderen Schwester zusammen dort am hinteren Ende.« Der Junge wies mit der Hand dorthin. »Die anderen Reisenden haben die Kajüten hier entlang. Wenn ich nicht an Deck bin, schlafe ich in der großen Kajüte hier drüben.« Er zeigte nach vorn. »Dort bereiten wir die Mahlzeiten zu und essen. Es heißt das Messedeck. Ich bin immer zu erreichen, wenn was gebraucht wird.« Stolz wölbte er die Brust. »Der Kapitän - also der möchte, daß sich die Passagiere erst an mich wenden, und wenn es was Wichtiges ist, dann gebe ich es an ihn weiter. Er möchte nicht soviel mit den Reisenden auf seinem Schiff zu tun haben.« Er hielt inne, als erwarte er eine Reaktion.

»Sehr wohl, Wenbrit«, bestätigte Fidelma feierlich, »wenn es Probleme gibt, frage ich zuerst dich.«

»Es gibt eine Mahlzeit am Mittag, und an der wird der Kapitän teilnehmen und euch allen erklären, wie man sich an Bord zu verhalten hat. Aber im allgemeinen speist er nicht mit den Passagieren. Am ersten Tag macht er eine Ausnahme, um sicherzugehen, daß alle Bescheid wissen. Mit warmen Mahlzeiten dürft ihr natürlich nicht rechnen. Dabei fällt mir ein, wenn ihr unter Deck Kerzen brennt, laßt sie niemals ohne Aufsicht. Ich hab schon von Schiffen gehört, die Feuer gefangen haben wie eine Zunderbüchse.«

Fidelma verbarg nach Kräften ihre Belustigung über die bemüht selbstsichere Art des Jungen, der wie ein erfahrener Seemann redete.

»Am Mittag gibt es eine Mahlzeit, sagtest du?«

»Ich läute eine Glocke, die die Passagiere zum Essen ruft.«

»Sehr gut.« Fidelma wandte sich der Tür der Kajüte zu, auf die der Junge gezeigt hatte.

»Ach, noch eins .«

Sie drehte sich fragend um.

»Ich soll dir noch sagen, daß diese Kajüten im hinteren Teil des Schiffes liegen. Das ist das Heck. Auf dem Deck darüber sind die Kajüte des Kapitäns und andere Unterkünfte. Vorn ist in dieser Richtung. Das heißt auch der Bug. Im Heck gibt es einen Abort, hinter der Tür da. Vorn am Bug ist noch einer. Den kann dir jeder zeigen, wenn nötig. Wenn es Probleme gibt und wir das Schiff verlassen müssen, dann sind dafür zwei kleine Boote mittschiffs quer festgezurrt. Da müßt ihr hin, wenn wir in Not geraten. Macht euch keine Sorgen, einer von der Mannschaft sagt euch dann, was ihr zu tun habt.«

Der Junge drehte sich rasch um und eilte an Deck.

Fidelma blieb stehen, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Offensichtlich hatte Wenbrit keine hohe Meinung von »Landratten«, wie er die Passagiere nannte. Sie wandte sich wieder der Kajütentür zu, die er ihr gezeigt hatte. In dem Moment ging hinter ihr auf der anderen Seite des Korridors eine Tür auf. Sie vernahm ein überraschtes Atemholen, und dann sagte eine sanfte männliche Stimme: »Fidelma! Was um Himmels willen machst du denn hier?«

Sie fuhr herum und versuchte die Stimme zu erkennen, die aus einer lange zurückliegenden Erinnerung kam, einer Erinnerung, die auszumerzen ihr schon beinahe gelungen war.

Ein hochgewachsener Mann stand da im unsicheren Licht der pendelnden Laterne.

Unwillkürlich trat Fidelma einen Schritt zurück und langte wie Halt suchend nach der hölzernen Wand. Zum erstenmal, seit sie an Bord der »Ringelgans« gekommen war, wurde ihr schwindlig, und es kam nicht von dem Wogen des Meeres, sondern vom Aufwallen ihrer eigenen Gefühle.

Kapitel 3

»Cian!«

Wie ein Gespenst aus einer geisterhaften Vergangenheit stand vor ihr der Mann, der ihre erste Liebe gewesen war, der in ihr, als sie noch ein junges Mädchen war, die Sinnlichkeit geweckt und sie dann wegen einer anderen fallengelassen hatte.

In einem atemlosen Augenblick durchfluteten sie diese Erinnerungen. Fidelma hatte ihre erste Begegnung noch so lebhaft im Gedächtnis, als sei es erst gestern gewesen. Doch seitdem waren zehn Jahre vergangen, zehn lange Jahre ...

Der alte Brehon Morann hatte seinen Schülerinnen frei gegeben, damit sie das alle drei Jahre stattfindende große Fest in Tara besuchen konnten, das Feis Teamh-rach. Hätte er ihnen nicht frei gegeben, wären sie wahrscheinlich trotzdem hingegangen, denn das große Fest war der Höhepunkt des Jahres. Es war vom Großkönig Ollamh Fodhla vor ungefähr vierzehn Jahrhunderten begründet worden. Sein offizieller Zweck bestand darin, die Gesetze der fünf Königreiche zu überprüfen. Der Großkönig und die Provinzkönige kamen zusammen, ebenso wie die hervorragendsten Vertreter aller gelehrten Berufe aus den fünf Königreichen.

Zwar hatten die Großkönige schon vor hundert Jahren Tara als Hauptresidenz aufgegeben wegen eines Fluchs, den der heilige Ruadan von Lorrha in Muman gegen den Ort ausgesprochen hatte, doch an dem großen Fest hatte das nichts geändert, es wurde weiterhin in jedem dritten Jahr abgehalten. An den sieben Tagen des Fests stand niemandem der Sinn nach Lernen. Es begann drei Tage vor dem Feiertag des Samhain und endete am dritten Tag danach.

Während Gelehrte und Rechtskundige und die Könige und ihre Ratgeber die Angelegenheiten des Staates und die Anwendung der Gesetze besprachen und erwogen, ob neue Gesetze vonnöten seien, und wenn ja, welche, gab es Spiele, Wettbewerbe und Festlichkeiten für die Allgemeinheit und für die Reichen, die kamen, um zu sehen und gesehen zu werden. Kaufleute reisten nicht nur aus den fünf Königreichen an, sondern von allen Enden der Welt, und ebenso strömten Gaukler, Sänger, Jongleure, Narren und Akrobaten zusammen. Es war eine Zeit, sich zu erholen und fröhlich zu sein, denn die alten Gesetze schrieben für die Dauer des Fests einen heiligen Waffenstillstand vor, der jeden vor Festnahme oder Verfolgung schützte, es sei denn, er bräche selbst den Frieden des Fests durch Rüpelei, Gewalttätigkeit oder Diebstahl.