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Erst am zweiten Abend, in anderer Gesellschaft, hatte Gowers den gewünschten Erfolg.

»Wie soll ich diese Äußerung verstehen, junger Mann?!«, fragte aber kein Militär, sondern ausgerechnet der dicke Kaufmann Merriwell, unter dessen wogenden Fettschichten man nicht gerade einen Kriegshelden vermutet hätte.

»Wollen Sie etwas gegen Sewastopol sagen? Ich denke, der Erfolg gibt jeder Kampagne recht!«

Der Erste Offizier, der nach den harten Pflichten des Tages vor einer dampfenden Tasse Tee saß, schnalzte bei dieser Äußerung leise mit der Zunge und hörte dem weiteren Gespräch merkwürdig belustigt zu.

Gowers’ Entgegnung war geradezu kaufmännisch kühl kalkuliert. »Hunderttausend Tote allein durch Abwarten sind nicht gerade ein voller Erfolg, denke ich.«

»Sie haben noch keine Belagerung mitgemacht, junger Mann, keine richtige Schlacht!« Wie jeder Veteran jedes Krieges hielt Merriwell nur die militärischen Ereignisse für »richtig« und wichtig, an denen er selbst teilgenommen hatte. »Haben Sie überhaupt mal gedient, geschweige denn gekämpft ?«

»Nein«, sagte Gowers und dachte an New Orleans, Vicksburg, die Schlacht in der Wilderness, »aber mein Vater hat mir alles davon erzählt.«

In Merriwells schnellen kleinen Äuglein blitzte etwas auf, das es eigentlich gar nicht gibt: joviale Verachtung.

»Und Bleisoldaten hatten Sie wahrscheinlich auch«, stellte er höhnisch fest.

»Nicht genug, um Sewastopol damit nachzuspielen, Sir«, erwiderte Gowers, und als der Kaufmann diese Anspielung nicht verstand oder nicht verstehen wollte, fügte er hinzu: »Die meisten dürften sich doch gegenseitig totgetreten haben, nicht wahr?«

Merriwell schwitzte. Vor zehn Jahren hätte er den frechen Burschen einfach geohrfeigt. Jetzt schätzte er seine Kräfte ab und die seines Gegenübers. Ja, wenn er von hinten an ihn herankäme! Aber der Kaufmann siegte über den Veteranen. Er hob sein Glas und sagte herausfordernd: »Einen Toast auf die Leichte Brigade, Sir! Honor the Charge they made, Honor the Light Brigade, Noble six hundred!«5

»All the World wonder’d!«6, ergänzte Gowers, lächelte und trank mit. Und während er die Gläser erneut füllte, erwiderte er: »Einen Toast auf Florence Nightingale!«

»Sie lebe!«, entgegnete Merriwell und dachte beim Hinunterschlucken : Ein dürres Weib, ein Holzkreuz in Schwesterntracht! »Einen Toast auf die Artillerie!«, sagte er dann, wobei er den vermeintlichen Sohn Samuel Thompsons scharf ins Auge fasste. »Oldershaw und die Siebente!«

Gowers leerte sein Glas in einem Zug.

Sie tranken stundenlang, auf alle Truppenteile und Regimenter, die Merriwell namentlich einfielen. Sie tranken auf die Verbündeten, auf die Türken und ihre Feldbordelle. Sie tranken auf die Huren und auf die Läuse der Huren.

»Davon hätte man glatt leben können«, stammelte der Kaufmann. »Absammeln und in die Pfanne, jeden Tag eine gute Mahlzeit!«

»Einen Toast auf Louis Vivés!«, sagte Gowers.

Merriwell stutzte, zwinkerte, schien verwirrt. »Wer zum Teufel ist Louis Vivés?«

»Der Schiffskoch.«

Der Kaufmann lachte aus voller Kehle über den vollendeten Witz. Aber Gowers sagte todernst: »Vivés war auch in Sewastopol. Mein Vater hat ihn gekannt.«

»Aha!« Merriwell schwankte plötzlich. »Na, mit den Franzosen war da nicht viel los. Die haben wir nur so mitgeschleppt. Die Inder! Gut waren unsere Inder!«

»Welche Inder?«, fragte Gowers eine Spur zu nüchtern.

»Gurkhas«, sagte der schwankende Veteran. »Einen Toast auf die Gurkhas!«

Am anderen Morgen beschloss Gowers, lieber »Mrs. M. W.« und ihre Begleitung aus ihrer geheimnisvollen Abgeschiedenheit aufzuscheuchen, ehe er weiterreichende Schlüsse über seinen Fall zog.

Die Überlegung, wie dies am besten zu machen sei, beschäftigte ihn den ganzen Tag. Dann hatte er endlich die Lösung, war bei dieser aber wieder einmal auf Van Helmonts tatkräftige Unterstützung angewiesen.

»Sagen Sie, Doktor«, fing er mit den beiden Zigarren in der Hand feinfühlig an. »Was war das Schändlichste, was Sie in Ihrem Leben getan haben?«

Van Helmont nahm die angebotene Havanna und drehte sie genüsslich schnüffelnd ein paarmal unter seiner Nase, ehe er sie Gowers zum Anzünden hinhielt. »Meinen Sie mit oder ohne Chloroform?«

Gowers lächelte. »Sagen wir lieber: mit oder ohne Wasserstoff!«

»Was soll ich tun?«

»Hm.« Beide sahen den Rauchwolken nach, die sich an der Decke sammelten, um von dort aus langsam und gleichmäßig auf den ganzen Raum herabzusinken. »Nur ein wenig das Schiff anzünden.«

»Wenn es weiter nichts ist …«, sagte Van Helmont mit einer generösen Handbewegung.

57.

Admiral Cockburn beobachtete mit Sorge, dass General Bonaparte im Ansehen der Mannschaft und der einfachen Soldaten immer mehr stieg, seit er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, kurze Gespräche mit einzelnen Männern zu führen. Er ging einfach an Deck umher, hielt diesen und jenen von seiner Arbeit ab und fragte mithilfe seiner Dolmetscher nach Namen, Familie, nach den Schlachten, die der jeweilige mitgemacht hatte.

Es war eine ungeheure Grenzüberschreitung. Der kleinste britische Offizier erwartete, dass ein Mannschaftsdienstgrad die Mütze in der Hand hielt, falls der Mann es überhaupt wagte, seinen Vorgesetzten anzusprechen, ohne etwas gefragt worden zu sein. Und da stand der Kaiser der Franzosen, der Mann, vor dem Europa im Staub gelegen hatte, neben einem dieser Deckschrubber und fragte diesen Bastard nach seinen persönlichen Erfahrungen!

Die Geschichte mit dem Bootsmann trieb diese Regelverletzung auf die Spitze.

Er war ein guter Mann, in nautischen Dingen erfahrener als der Kommandant, in militärischen besser als all die jungen Bengel aus Harrow. Und dazu ein wahrer Franzosenfresser, der aus dieser Einstellung nie auch nur den geringsten Hehl gemacht hatte. Cockburn grinste insgeheim, als Napoleon sich auf seinem morgendlichen Rundgang ausgerechnet diesen Mann herauspickte, und ging näher heran, um die Abfuhr zu erleben, die der aufgeblähte kleine Korse von diesem braven englischen Seemann bekommen würde.

»Wo haben Sie …« Aber der Bootsmann ließ den Übersetzer gar nicht erst ausreden.

»Abukir und Trafalgar!«, knurrte er.

Wackerer Kerl, dachte Cockburn. Teer im Blut und in den Haaren, aber das alte britische Löwenherz auf dem rechten Fleck. Der hätte auch dem Kaiser selbst das Wort abgeschnitten, wenn er nur genug Französisch könnte!

»Und stolz darauf«, fügte der Bootsmann grimmig hinzu, und der Admiral rieb sich innerlich die Hände, während Las Cases bei der Übersetzung blutrot anlief.

»So, Abukir«, sagte Napoleon und erinnerte sich an die verzweifelte Lage, in die ihn dieses Gemetzel damals gebracht hatte. Dann lächelte er. »Darauf können Sie mit Recht stolz sein. Eine glänzende militärische Operation, wenn auch zu meinem Nachteil!« Damit streckte der Kaiser dem Bootsmann die Hand hin wie ein guter Verlierer, und der Bootsmann wischte verlegen seine eigene Pranke an seiner Hose ab, ergriff die Hand des Korsen und stammelte verwirrt: »Danke, danke sehr!«

Aber Napoleon war das noch nicht genug. »Ich würde gerne länger mit Ihnen über Abukir sprechen. Wollen Sie nicht heute Abend mein Gast sein und mit mir essen?«

Cockburns Mund öffnete sich, unwillkürlich kaute und schluckte er. Der Kaiser speiste natürlich an der Tafel des Admirals, des Kommandanten, der höchsten britischen Offiziere. Ein einfacher Seemann, Sohn eines Kesselflickers oder Maultiertreibers, an diesem, an seinem Tisch – eher würde England im Meer versinken!

Glücklicherweise schien der Bootsmann ähnlich zu denken, ja, er fing sich sogar schneller als sein so unerreichbar weit über ihm stehender Vorgesetzter. Dafür würde er eine Sonderration Rum bekommen, beschloss Cockburn.