Gordon F. Blandon zog die Augenbrauen hoch, und jeder Wähler im Staat New York hätte seine Miene für die Überraschung eines Ehrenmannes angesichts einer unzumutbaren, einer fast kriminellen Forderung gehalten. Voller Enttäuschung über die Schlechtigkeit der Welt stellte er fest: »Sie werden für Ihren Erfolg bezahlt, Mr. Gowers. Ich kann es mir nicht leisten, für Misserfolge auch noch gutes Geld hinzulegen.«
Blandon ließ offen, ob er damit das Ergebnis von Gowers’ Ermittlungen oder aber seine missratene Tochter meinte. Während der Senator dann seinen Hut aufsetzte und mit festen Schritten zur Tür ging, überlegte der Investigator, ob er wirklich seine Existenz aufs Spiel setzen würde, wenn er die Frage stellte, mit der er sein Geld vielleicht doch noch eintreiben könnte.
»Was werden Sie Ihrer Frau sagen, Sir?«
Gowers lächelte, als Blandon in der Tür stehen blieb. Das Lächeln sollte gleichzeitig unschuldig und entschuldigend aussehen, schließlich war dies keine Erpressung, nur eine Mahnung. Der fette alte Mann wirkte jetzt auch nicht mehr enttäuscht oder überrascht. Nur noch ein wenig amüsiert.
»Sie sind mir als diskret und integer empfohlen worden, Mr. Gowers. Und ich werde Sie als diskret und integer weiterempfehlen. Mehr kann ich nicht für Sie tun.«
Aber jede Menge gegen mich, du fetter Hurensohn, dachte Gowers und wusste nun doch, dass von seiner nächsten Frage mehr abhing, als ihm lieb sein konnte.
»Darf ich Sie trotzdem um einen Vorschuss für meine weiteren Bemühungen bitten, Sir?«
Blandon sah ihm zum ersten Mal seit ihrer kurzen geschäftlichen Bekanntschaft direkt in die Augen, vielleicht eine Sekunde länger, als er selbst wollte.
»Ich habe verstanden, junger Mann. Sie werden natürlich bekommen, was Ihnen zusteht.«
»Danke verbindlichst, Sir.« Gowers verbeugte sich knapp und hätte um ein Haar hinzugefügt : Auch ich habe verstanden.
Dumm von ihm, dass er sein einziges Beweisstück verbrannt hatte.
6.
Sie waren wieder nach Brighton gefahren, wo er das Hotel kannte, in dem noch nie jemand Fragen gestellt hatte – wenn man diesen Service auch extra bezahlen musste. Es war kein besonders gutes Hotel, aber die Betten waren sauber. Sie hatten in einem Restaurant an der Promenade zu Abend gegessen, waren dann noch ein wenig in der frischen Seeluft spazieren gegangen und hatten schließlich getan, wozu sie hergekommen waren.
Madeleines Körper, die Weichheit, der Duft ihrer Haut elektrisierten ihn, obwohl sie fast zehn Jahre älter war. Unaussprechlich, was sie mit ihm tat, wenn seine Hände gefesselt waren. Unwiederholbar, welche Wörter dabei über ihre Lippen kamen, deren Schönheit und Ebenmaß ihm zuerst aufgefallen waren, als sie während einer Teegesellschaft der Offiziersfrauen Verse von Keats und Byron rezitiert hatte. Sie schürzte diese ebenmäßigen Lippen und grub ihre Zähne in sein Fleisch, bis das Blut kam, und wenn sie ihn losmachte, zitternd vor Angst und Lust, schlug er sie dafür, wie er keinen der Traingäule geschlagen hätte, die er so hasste. Sie beide liebten es.
Satt-und wundgeliebt schliefen sie danach ein paar Stunden, dann stahl sich Madeleine im Morgengrauen aus dem Bett. Er sah gern zu, wie sie sich anzog, und es erregte ihn, dass sie sich niemals wusch nach einer solchen Nacht, nur das Gesicht ein wenig. Sie mochte es nicht, wenn er ihr zusah. Sie glaubte, dass ihr Alter ihr am frühen Morgen anzusehen war, und sie hatte recht. Aber er genoss das Gefühl seiner primitiven Macht, wenn sie so nach Hause fuhr: Lady Generalmajor Burtlock, auf deren Schenkeln noch seine Schläge brannten.
Er genoss es auch, wenn ihm das jüngste, unschuldigste Zimmermädchen das Frühstück brachte, während er nur in Hemd und Hose auf dem noch warmen Bett lag. Leider gab es in diesem Hotel keine jungen, unschuldigen Zimmermädchen, und so musste er sich in Brighton stets das Vergnügen versagen, das er sich auf ihrer Reise nach Schottland so gern gemacht hatte: einer vor Scham glühenden Sechzehnjährigen dabei zuzuschauen, wie sie mit nervösen Fingern die Laken richtete, die von dem Unaussprechlichen zerwühlt waren.
Vielleicht maß er solchen sekundären Reizen einen zu großen Wert bei, vielleicht war überhaupt diese ganze wundervoll schmutzige Affäre mit der Frau seines Vorgesetzten nur ein Kitzel, der ihm die Schwere der Welt erträglich machte; er wusste es nicht. Aber er wusste, dass die Sommersprossen in seinem Gesicht allmählich aufhörten, jungenhaft zu wirken, und nur noch albern aussahen, dass seine kurzen Locken grau wurden, seine Hinterbacken durchhingen, dass er nun beinahe fünfunddreißig war und noch immer nicht mehr als Leutnant.
»Unseren sauer gewordenen Pennäler« hatte ihn Burtlock im Offizierskasino genannt, und er hatte nicht den Mut – und nicht das Recht, redete er sich ein –, den Mann zu fordern.
Er saß noch beim Frühstück, barfuß, in Hemd und Hose am offenen Fenster, so müde und satt von Madeleines elaborierter Leidenschaft, dass er nicht hörte, wie die Zimmertür sich öffnete. Er sah den Mann erst, als der ihn schon eine Weile beobachtet hatte, und fuhr zusammen, für einen Soldaten ein wenig zu heftig.
»Guten Morgen, Turner«, sagte der ungebetene Gast und legte einen erschreckend hohen Zylinder auf der Garderobe ab. »Oder heißt es nun doch Captain Turner?« In seinen Augen glitzerte es belustigt.
»Sie!«, sagte Turner mit einer Mischung aus Abscheu und Erstaunen.
»Höchstselbst«, bestätigte der Mann, durchquerte mit seltsam federnden Schritten das Zimmer, zog einen zweiten Stuhl an den Tisch und setzte sich unaufgefordert dem erschöpften Liebhaber gegenüber.
»Was wollen Sie? Es gibt nichts mehr zu besprechen, wir sind fertig miteinander!«
»Jackson ist tot.«
»Er war ein Narr.«
»Er war in Paris.«
»Mein Gott, haben Sie diese dumme Geschichte noch immer nicht aufgegeben?« Der barfüßige Leutnant schnaubte kurz, es sollte ironisch wirken.
»Nein«, sagte sein Gegenüber unbeeindruckt, »aber Sie haben es auch nicht aufgegeben, Charlie, obwohl wir ausführlich darüber geredet haben, und ich muss sagen, das enttäuscht mich doch etwas!«
Charles Turner wurde ein bisschen rot und lachte zuerst wie ertappt, aber dann mit aller Sicherheit des Stärkeren. Er hatte es wirklich nicht aufgegeben, und warum sollte er auch? Es ging um einen Reichtum, der ihn Burtlock, dieses widerliche Hotel, die Armee und das ganze Britische Empire vergessen lassen würde.
»Und wenn schon«, sagte er. »Dann möge einfach der bessere Mann gewinnen!«
Der Besucher beugte sich vor, als wolle er Turner ein Geheimnis verraten oder ihn durch die schiere körperliche Nähe einschüchtern, und der ältliche Leutnant lehnte sich ebenfalls nach vorn, damit es nicht aussähe, als hätte er Angst. Aber bevor einer von beiden etwas sagen konnte, fühlte Charles Turner, wie unter dem Tisch etwas unglaublich Spitzes, Scharfes oberhalb des Schambeins in seinen Leib eindrang. Es war ein seltsames neues Gefühl, nach all seinen verwirrenden Erfahrungen mit Madeleine, jedenfalls ehe der Schock einsetzte.
7.
Schon auf der steilen, durch ein nahezu blindes Fenster nur schwach beleuchteten Treppe sah man, dass die Tür zu Tingles »Atelier« offen stand, und das war ein schlechtes Zeichen. Gowers streifte den Totschläger über, nur sicherheitshalber, falls es Ärger geben sollte. Aber als er die Tür aus der Nähe sah, wusste er, dass es den Ärger schon gegeben hatte. Sie war eingetreten worden.
Wer hätte gedacht, dass der alte Hurensohn sich so schnell das Firmenzeichen einprägen würde, dachte Gowers mit widerwilliger Bewunderung und betrat vorsichtig den Korridor. Der erste Blick ins Atelier sagte ihm, dass Fred Tingle ruiniert war.
Da war wieder dieses malerische Durcheinander von Polstern, Kleiderständern, Essensresten und Damenwäsche. Nur in der Luft hing diesmal mehr als der Geruch von Tabak, billigem Parfüm und fotografischen Chemikalien. Es roch nach Blut. Zwei Stühlen hatte man die Beine gebrochen, der Tisch lag auf dem Rücken wie ein totes Pferd, und die großflächigen Hintergrundpinseleien stapelten sich zerschnitten und zerrissen vor der Zimmerwand, die sie bis vor zwei, vielleicht drei Stunden in eine Steilküste, eine Waldlichtung mit See, einen Kerker und in das unvermeidliche Serail verwandelt hatten.