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George salutierte und machte sich dann mit blitzartiger Geschwindigkeit aus dem Staub. Gowers fluchte innerlich. Die erste brauchbare Information seit einer Woche, und dann musste man Emmeline Thompson unter die Haube bringen!

»Es ist wegen meiner Schwester, Sir. Sie will sich verheiraten.«

»Das ist beruhigend zu wissen, Mr. Thompson. Und es ehrt mich, dass Sie es mir mitteilen. Ich werde es im Logbuch vermerken lassen.«

Der Kapitän ließ auch diese Bemerkung ohne das geringste Anzeichen innerer Heiterkeit fallen, wohingegen Bells angespannten Kiefermuskeln deutlich das Lachen anzusehen war, das er sich verbeißen musste.

»Das hoffe ich, Sir«, trumpfte diesmal jedoch Gowers mit leiser Ironie auf. »Denn sie hat sich in den Kopf gesetzt … vielmehr, beide möchten, dass Sie die Trauung vollziehen!«

Zum ersten Mal, seit er dem bärbeißigen Seemann begegnet war, schien es Gowers, als ob Kapitän Radcliffe wirklich überrascht sei, vielleicht sogar ein wenig beunruhigt.

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte er dennoch prompt. »Wozu haben wir schließlich diesen Schwarzkittel an Bord!?« Als ginge es um Windstärken oder Stromversetzung, wandte Radcliffe sich mit einem Gesichtsausdruck an seinen Ersten Offizier, in dem kein Außenstehender einen Befehl, eine Aufforderung oder auch nur eine Frage bemerkt hätte.

»Parker, Sir!«, schnarrte Bell, ohne eine Sekunde zu überlegen. Und vielleicht war es diese beiläufige Präzision, die Gowers erkennen ließ, wer da vor ihm stand. Wenn es überhaupt einen Mann gab, der Sir John Tenniel für das Porträt des verrückten Hutmachers Modell gesessen hatte, war es zweifellos Edward Bell gewesen.

»Das wird nicht gehen, Sir«, sagte Gowers, durch seine Beobachtung abgelenkt, langsamer, als er wollte. »Sehen Sie, Mr. Parker ist Puritaner …«

»Und wenn er Negerhäuptling wäre, er wird doch wohl …« Ungewöhnlich weit aus der Fassung gebracht, atmete Radcliffe geräuschvoll aus, um nicht mit derben Worten zu sagen, dass auch der puritanischste Prediger die zur Fortpflanzung der menschlichen Rasse nötigen gesellschaftlichen Rituale vollziehen können sollte.

»Der junge Mann, Sir«, sagte Gowers höflich, aber bestimmt, »Leutnant Charles Carver, ist Mitglied der britischen Armee und hat damit das Recht, dass Sie als ranghöchster Offizier …«

»Er hat vielmehr die Pflicht, seine privaten Gelüste zu beherrschen, Mr. Thompson. Dies ist …« Der Kapitän unterbrach sich resigniert: »… dies ist kein Kriegsschiff mehr!«

»Ist es das erste Mal für Sie, Sir?«, fragte Gowers teilnahmsvoll.

»Nein«, sagte Radcliffe jetzt wieder eher jovial. Mit einer Handbewegung, die fast ebenso unsichtbar war wie seine Frage nach dem Namen des Missionars, gab der Kapitän seinem Ersten Offizier zu verstehen, dass da ein Schiff zu führen sei, und Bell entfernte sich mit einem gleichfalls kaum wahrnehmbaren Nicken. Die Anekdote, die nun folgen würde, hatte er ohnehin schon öfter gehört, als ihm lieb war.

»Das hat sich schon mal einer getraut. Auch so ein Plattfuß, Artillerist.« Radcliffe schüttelte mit einem kleinen, verächtlichen Lachen den Kopf. »Und mitten im Krieg, Mr. Thompson!«

Gowers war zuerst froh, dass er den grimmigen Herrn des Schiffs endlich zum zwanglosen Plaudern gebracht hatte, aber er bereute es auch sofort, weil er in diesem Moment den bewussten Inder am Heck auftauchen sah. Das durfte einfach nicht wahr sein! Nach fast einer Woche Leerlauf war der Moment gekommen, auf den er gewartet hatte, und dann verstrickte ihn ausgerechnet der Kapitän in ein altes Garn.

»War im Frühjahr fünfundfünfzig, unterwegs nach Sewastopol, da schmuggelt doch dieser Kerl dieses Knallbonbon, sein Mädchen, an Bord. Spanierin, bildhübsch, als blinden Passagier, Sie verstehen?«

O ja, Gowers verstand. Der Leibwächter schüttete etwas über Bord, würde in einer Minute wieder verschwunden sein und es wahrscheinlich für den Rest des Monats bleiben. Aber immerhin erfahre ich ja Näheres aus dem Leben des Kapitäns, dachte er bitter.

»Das geht eine Weile gut. Zu gut, könnte man sagen, denn wir sind noch nicht im Schwarzen Meer, da ist der Mann auch schon verratzt und muss das Mädel heiraten, Sie verstehen? Und verheiratet hab ich ihn, Mr. Thompson. Aber die Flitterwochen hat er im Kabelgatt verbracht.«

Radcliffe wartete auf beifälliges Gelächter, und Gowers tat ihm den Gefallen zu grinsen. Allerdings weniger wegen der Anekdote und mehr bei der Vorstellung, wie er in diesem Augenblick noch immer über das Schiff sprinten und »seinem« Inder völlig ausgepumpt etwas vom sanften Gleiten in den goldenen Nachmittag erzählen könnte. Der Kapitän steuerte unterdessen gnadenlos auf seine Pointe zu: »Na, sein Pulver hatte er ja auch schon verschossen!«

Diesmal lachte Gowers pflichtschuldigst, wurde aber gleich wieder ernst.

»Darf ich meiner Schwester dann sagen, dass Sie einverstanden sind, Sir?«

Auch ein weniger feinfühliger Beobachter als Kapitän Radcliffe hätte jetzt bemerkt, dass der Mann auf glühenden Kohlen stand. Aber dass dies nur daran lag, dass ein anderer Passagier am Heck des Schiffes ungewohnt versonnen zum Horizont blickte, konnte auch er nicht ahnen.

»Sie haben es ja mächtig eilig, das Mädchen unter die Haube zu bringen.«

»Nun, Sir«, sagte Gowers und nahm all seine Kräfte zusammen, um sich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Nach dem Tod unseres Vaters trage ich die Verantwortung für Emmeline.«

»Und die wollen Sie so schnell wie möglich wieder loswerden, wie?«, erwiderte der Seemann grob und erfreute sich sehr an seinem eigenen Scharfsinn, bis er bemerkte, dass sein Gegenüber ihm diese klammheimliche Freude ansah. Da sagte er wieder kurz angebunden: »Also in drei Teufels Namen: Ja!«, und stapfte davon. Es sah aus, als würde er jeden Schritt auf dem glattgescheuerten Deck genießen.

Gowers musste sich Gewalt antun, um nicht einfach auf den Mann loszustürmen, der seinen Blick noch immer in den Weltrand versenkte. Er bemühte sich stattdessen, möglichst sacht hinter ihn zu treten, aber der Leibwächter schien seine Gegenwart zu spüren und drehte sich um, als Gowers noch mindestens fünf Schritte von ihm entfernt war.

Mit einem freundlichen Nicken gab er dem Inder zu verstehen, dass er ihn beobachtet hatte, und sagte: »All in the golden afternoon …«

Aber der riesige Mann hatte sich praktisch noch in der Drehung an ihm vorbeibewegt, und es war seinem Rücken nicht anzumerken, ob er auch nur hörte, wie Gowers weitermurmelte: »Full leisurely we glide.«

Der Inder war verschwunden. Kopfschüttelnd blickte der glücklose Investigator ihm nach, seufzte dann tief und sah resigniert auf Himmel und Meer. Heute ist einfach nicht mein Tag, dachte er.

77.

Als Jane in London ankam, war fast ein Drittel des Geldes weg, vor allem wegen der unverschämt hohen Preise in den Relaisstationen. Da sie weder für zwei Pence im Pferdestall noch bei dieser Kälte im Freien schlafen wollte, gab sie zusammen mit der Beförderung und halbwegs genießbarem Essen schon jetzt an einem Tag mehr aus, als sie an zweien verdienen konnte. Etwas muss zusammenbrechen, dachte sie da, die Menschen oder das System. In London sah sie, dass es die Menschen waren.

Die einzige Herberge, die sie fand, nachdem sie gegen zehn Uhr abends in Whitechapel ausgestiegen war, lag in der Thrawl Street, kostete drei Pence und war schlimmer als jeder Pferdestall. Jane zog weder Kleider noch Schuhe aus, als sie zu zwei fremden Frauen ins Bett stieg, die allenfalls sechzehn waren, aber stärker nach Alkohol und Tabak rochen als jeder Bergmann, dem sie je begegnet war. Im Bett unmittelbar daneben, eine Armlänge von ihr entfernt, schlief ein Paar mit zwei kleinen Kindern, das sich ungeachtet des Lichts, das die ganze Nacht brannte, ungeachtet auch der vielen fremden Augen in dem übervölkerten Raum, den ehelichen oder womöglich unehelichen Freuden hingab. Jane starrte ungläubig auf die Szene, dachte auch an die Kinder, aber die Kinder schliefen so fest, als würden sie gewiegt.