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Der taktvolle Hauptmann kämpfte gerade mit einer Pfeife, die partout nicht in Brand geraten wollte, als der Arzt auftauchte.

»Hallo, Doc. Sie sind es also.«

»Wer soll es sonst sein?«

»Verfluchte Sache, wie?« Bledsoe ließ die Pfeife sinken, in der die Glut noch immer nicht gefasst hatte. »Und er weigert sich zu sagen, weshalb!«

»Kann ich ihn kurz sprechen?«

»Oh, ich fürchte, das ist gegen die Regeln, alter Freund. Wozu sind wir Sekundanten?«

»Wozu sind wir Freunde, wenn wir uns nicht hin und wieder eine blöde Idee ausreden können?« Obwohl es die Familie Thompson eigentlich gar nicht gab, spielte Van Helmont die Rolle eines engen Freundes derselben mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn beinahe selbst überzeugte. Hatte man nicht schon fast alles erlebt, was die Gemeinsamkeit einer Familie gemeinhin auszumachen pflegt, Beerdigungen, Hochzeiten und nun gar ein Duell unter Schwägern?

Bledsoe gab, offensichtlich von ähnlich sentimentalen Überlegungen getrieben, den Weg frei, sagte aber kopfschüttelnd: »Wie wollen Sie ihm denn etwas ausreden, was Sie gar nicht wissen?«

»Ich bin Amerikaner«, entgegnete Van Helmont schlicht. »Wir können so was.«

Charles Carver formulierte gerade den schwersten Brief seines Lebens, einen Abschiedsbrief an seine Mutter, zuzustellen »im Falle meines Todes«. Als er diese Worte schrieb, hoffte er allerdings sehr, dass er das Duell überleben würde – vor allem weil ihm der vermaledeite Brief nicht wirklich gelingen wollte. Schlicht sollte er sein und männlich, unsentimental. Und doch tiefe Gefühle von Dankbarkeit, Wärme und Liebe erkennen lassen.

Unter so vertrackten Vorgaben schwitzte der Leutnant allmählich seine Uniform durch. Was ihm besonders zu schaffen machte, war die Tatsache, dass er natürlich noch keine Gelegenheit gefunden hatte, seiner Mutter mitzuteilen, dass er verheiratet war. Umso schwerer war es, in möglichst markanten Sätzen klarzustellen, dass sein Schwager nicht sein Schwager war und »wenn Du diese Zeilen liest« höchstwahrscheinlich sogar der Mann sein würde, der ihn »vom Leben zum Tode«, »schmerz-aber nicht ehrlos«, »ohne Flecken an Schild und Wappen der Carvers«, eben wie »der Gentleman, zu dem Du mich stets erzogen hast« und so weiter.

Fetzen solcher Formulierungen spukten dem Todgeweihten im Kopf herum und füllten diverse zusammengeknüllte Papierbällchen, die um ihn her verstreut lagen wie die Patronenhülsen eines Kampfes auf verlorenem Posten. Es war ihm mächtig peinlich, dass ausgerechnet Van Helmont diese Späne seiner fruchtlosen Bemühungen zweifelsohne bemerkte, als er eintrat, und Carver sagte möglichst schroff: »Was wollen Sie denn hier? Es ist alles gesagt! Bis auf Ort, Uhrzeit und Waffe …« Dieser Satz kam ganz spontan und verblüffte ihn selbst. Sofort nahm er sich vor, ihn in seinem Brief unterzubringen, wenn sich das auch nur irgendwie machen ließ.

»Von wem ist das denn?«, entgegnete Van Helmont spöttischer, als er wollte. »Sir Walter Scott?«

Carver lief in Bruchteilen von Sekunden rot an, seine Ohren spielten ohnehin bereits wieder ins Purpurne. »Werden Sie nicht frech! Ich habe noch nicht über Ihre Rolle in dem Schmierentheater nachgedacht.«

»Haben Sie überhaupt richtig nachgedacht? Unser Mörder wird sich fragen, warum Sie ausgerechnet Ihren Schwager …«

»Sie wissen genau, dass er nicht mein Schwager ist!«

»Ein Grund weniger, ihn umzubringen. Er tut doch nur seine Arbeit. Und er ist nahe dran, unseren … den Mörder Ihres Schwiegervaters zu überführen. Wollen Sie das vermasseln?«

»Emmy sagt da was anderes. Und er hat mich zum Narren gehalten. Er hätte mich aufklären müssen, unter vier Augen.«

Van Helmont seufzte. Was diese Engländer immer für einen Wirbel um solche Sachen machten! »Kommen Sie, Sie haben doch Shakespeare gelesen. Man kann nicht immer so, wie man will. Was, wenn Sie der Mörder gewesen wären? Ein Mitgiftjäger?!«

Carver, der bisher über seinem Brief gesessen hatte, hielt es für unumgänglich, bei diesen Worten aufzuspringen. »Hat dieser Bastard eine Waffe gewählt? Sonst nehmen wir meine Gewehre!«

Obwohl er wusste, dass sein Spott die Sache nur schlimmer machen würde, konnte der Arzt seine Zunge nicht mehr im Zaum halten. »Gewehre? Warum nicht gleich Kanonen? Kapitän Radcliffe ist ein Ehrenmann, der leiht Ihnen sicher welche. Pro Mann ein Schuss, auf eine Dreiviertelmeile …«

Der Leutnant sprang mit bemerkenswerter Gewandtheit hinter dem kleinen Tischchen hervor und riss, bis in die Tiefen seiner Seele erbost, Tür und Mund auf: »Raus!!«

94.

Im Kabinengang hatte der tapfere Hauptmann endlich Feuer gegeben, das letzte Wort des Gesprächs wohlwollend zur Kenntnis genommen und sagte nun seinerseits mit mildem Spott: »Ihr könnt so was, wie? Also wann?«

Van Helmont zwang sich zur Sachlichkeit. »Morgen früh um sechs. Bei Longwood House.«

»Warum derart weit rausfahren für die paar Schritte?«

»Weil es französisches Territorium ist. Da ist die Sache juristisch nicht zu verfolgen.«

Bledsoe rieb sich die Hände. »Großartig! Und die Waffen?« Er stieß eine Rauchwolke aus, die den Arzt sofort wieder an Kanonendonner denken ließ.

»Ich würde sagen zwei alte Socken, mit Pferdeäpfeln gefüllt!«

»Keine Scherze mit so was«, erwiderte der erfahrene Krieger mitleidlos. »Die Waffen?«

»Also Pistolen«, seufzte Van Helmont. »Duellpistolen. Werden wir stellen.« Wird die Witwe stellen, dachte er. Ein apartes weibliches Wesen, das auch ihn interessiert hätte, wenn der verdammte Yankee nicht schneller gewesen wäre.

»Großartig!«, wiederholte sich Bledsoe und fügte als persönliches Wort hinzu: »Gute alte Zeit, nicht wahr?« Er schüttelte seinem Sekundantenkollegen mit Wärme die Hand. »Wir sehen uns da draußen. Und möge der bessere Mann gewinnen!« Dann widmete er sich wieder seiner Pfeife und dem melancholischen Behagen an der Nähe des Todes, das seiner Ansicht nach jeden der 16. Füsiliere Ihrer Majestät auszeichnen musste.

Auf dem Achterdeck traf der Arzt eine aufgewühlte junge Ehefrau, die ihren »Bruder« offenbar gerade gebeten hatte, sich möglichst umstandslos erschießen zu lassen. Emmeline Carver rang jedenfalls seit Stunden die Hände oder gab sich doch sehr den Anschein, während es ihr in einer ganz geheimen, nur ihr selbst zugänglichen Abteilung ihres Herzens doch ein wenig schmeichelte, sozusagen Gegenstand eines Ehrenhandels unter Gentlemen zu sein. Damit hatte sie nämlich spätestens seit dem Ende der Pubertät nicht mehr wirklich gerechnet.

»Oh, Doktor Van Helmont! Haben Sie mit Charles gesprochen?«

»Ja. Sie offenbar auch. Da haben Sie ja ganze Arbeit geleistet …«

»Ich kann doch nichts dafür, Doktor. Er ist doch mein Mann«, sagte Emmeline aufgewühlt. »Kann man nicht noch irgendwas machen? Wenn ich mit dem Kapitän spreche …«

»Sie sprechen mit niemandem mehr. Vor allem nicht über Gowers.«

»Aber ich würde so gerne etwas tun!« Sie strich eine Strähne ihres blonden Haares zurück, die sich in ihrer Verzweiflung und dem ablandigen Wind gelöst hatte, und sah nun beinahe reizend aus.

»Dann bringen Sie Ihren Helden heute Nacht in eine weniger kriegerische Stimmung«, sagte Van Helmont grob.

»Oh!« Emmeline errötete heftig, überlegte kurz, ob das eine Beleidigung sei, kam aber dann zu dem Schluss, dass ein Arzt gelegentlich derart deutliche Worte sagen dürfe, sozusagen als medizinischen Ratschlag. Und nur um zu zeigen, dass sie es nicht übel nahm, machte sie einen letzten Versuch: »Und wenn Sie mit dem Kapitän sprechen?«