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»Sie meinen, es geht nicht?«, fragte Emmeline freudestrahlend.

»Nein«, sagte der tapfere Hauptmann. »Jedenfalls nicht mit diesen ’istorische Pistol’! Wo haben Sie die bloß aufgetrieben, Mann?!«, fuhr er Van Helmont an.

»Ich muss doch sehr bitten«, wehrte sich der Arzt. »Da besorgt man extra echte Duellpistolen, damit die Herren sich in aller Form umbringen können, und was ist der Dank?«

»Meine Pistolen!«, mischte sich eine scheinbar aufs Äußerste erregte Witwe Abell in den Disput der Sekundanten. »Damit kommt er nicht durch! Ich gehe zum Gouverneur, ich schreibe ans Unterhaus! Warten Sie, in zwei, drei Jahren darf sich mit meinen Pistolen erschießen, wer immer Lust dazu hat!«

Carver räusperte sich.

»Dann also ein anderes Mal!«

»Nein!«, hielt ihn sein Sekundant flüsternd zurück. »Er hat sich entschuldigt, Sie haben die Entschuldigung angenommen. Das heißt: jetzt oder nie!«

»Aber wenn es doch jetzt nicht geht.« Emmeline schien glücklich auf ganzer Linie.

Auch ihr Held hatte seine kräftige Farbe in den letzten Minuten deutlich zurückgewonnen. Und während er noch einmal vor den Duellgesetzen strammstand, räusperte er sich erneut und sagte dann volltönend: »Meine Herren, ich erkläre Satisfaktion!«

Alle Beteiligten schüttelten sich die Hand, nur Bledsoe zögerte ein wenig. Wie schön wäre doch dieser Kampf gewesen, in der aufgehenden Sonne, vor dieser Kulisse! Als die Kutsche der Kontrahenten schon abgefahren war und Carver sein nunmehr vor ausgestandener Angst weinendes junges Weib an seiner gleichfalls nicht wenig aufgewühlten Brust beruhigte, wandte sich der Hauptmann deshalb noch einmal wütend zum letzten Heim des großen Bonaparte zurück und schrie: »Froschfresser!«

In der Kutsche küsste Gowers seine lächelnde Retterin, ohne darauf zu achten, dass Van Helmont amüsiert zusah.

»Für die Pistolen werde ich natürlich bezahlen!«

»Nicht nötig«, sagte Lucia. »Er wollte sie schon seit Jahren für sein Museum kaufen und war froh, sie endlich zu einem vernünftigen Preis zu kriegen.«

»Aha«, sagte Gowers ernüchtert. »Ich nehme an, du hast gefeilscht?!«

»Natürlich«, erwiderte die Witwe Abell. »Ich bin Engländerin.«

101.

Das Mädchen in dem himmelblauen Kleid sah ihn zuerst überhaupt nicht oder tat jedenfalls so. Sie war ideal. Elf oder zwölf und einen Kopf größer als er, verfügte sie doch schon über alle Einbildung des gehobenen Standes.

Er sah es an der Art, wie sie in die Welt, auf die Straßen schaute. Diesen Blick hatte sie vermutlich von ihren Eltern abgeguckt, an deren Hand und in deren sicherem Dunstkreis sie bisher der großen Stadt entgegengetreten war. Allein war sie dagegen noch nicht oft ausgegangen. Auch das sah er an ihren Augen.

»Willst du meine Kätzchen sehen?«

»Ich kenne dich ja gar nicht.«

»Ich heiße Bob Jenkins. Ich wohne gleich dahinten.«

Seine Mutter hatte ihm beigebracht, dass man sich nennen kann, wie man will, jedenfalls wenn es seinen Zweck erfüllt. Das Mädchen wurde unsicher. Der Junge war kleiner als sie, höchstens zehn. Er war sauber gekleidet, keiner der kleinen Straßendiebe, vor denen ihr Vater sie immer gewarnt und die er ihr sogar mehrmals gezeigt hatte.

»Mama hat gesagt, ich soll nur Nähgarn kaufen und dann gleich zurückkommen.« Sie sagte nicht, dass sie darum gebettelt hatte, allein ausgehen zu dürfen, weil sie sich dabei schon so herrlich erwachsen vorkam.

»Es ist ja nicht weit. Gleich da drüben. Es sind fünf, weißt du, ganz klein und ganz weich. Und alle haben noch die Augen zu.«

Das Mädchen schwankte, stellte sich fünf kleine Kätzchen vor, eng zusammengerollt unter dem warmen Bauch ihrer Mutter. Das konnte ja nicht allzu gefährlich sein. Außerdem war sie bestimmt stärker als Bob Jenkins.

»Aber nur ganz kurz.«

»Na klar. Aber angucken musst du sie. Vielleicht schenke ich dir eins.«

»Wirklich?«

»Sicher. Du musst dir nur eins aussuchen.«

Ein eigenes Kätzchen zu haben wäre bestimmt schön. Aber was würde ihre Mutter dazu sagen, wenn sie mit dem Tier heimkam? Sie hatten die belebte Straße überquert und waren erst wenige Schritte in die enge Gasse hineingegangen, als das Mädchen es doch mit der Angst bekam und stehen blieb.

»Ich gehe doch lieber nicht mit.«

Aber da war die unbekannte Frau schon hinter ihr, über ihr, packte ihre Hand fest wie ein Schraubstock und zog sie mit sich, die Stufen eines Kellereingangs hinunter. Das Mädchen wehrte sich, schrie um Hilfe, und an der Mündung zur Gasse blieb ein Mann stehen und blickte aufmerksam zu der kleinen Gruppe hinüber.

»Komm schon, verdammtes Balg«, schimpfte, keifte die Frau, den Passanten aus den Augenwinkeln im Blick. »Heute wird gebadet, da hilft dir niemand. Nichts als Ärger und Arbeit hat man mit den Gören!«

»Stell dich nicht so an, Cathy«, rief nun auch der Junge, »Wasser tut doch nicht weh!« Und zu dem Passanten gewandt, der langsam zu grinsen begann, sagte er, gekonnt die Augen verdrehend: »Mädchen!« Der Mann lachte und ging seiner Wege.

»Sie muss Geld dabeihaben, sie sollte einkaufen gehen«, sagte der Junge zu seiner Mutter, die das jetzt angststumme, zitternde Mädchen hart gegen die Wand drückte.

»Zuerst die Kleider. Zieh deine Sachen aus«, befahl sie. »Los, alles runter!«

»Tun Sie mir nichts!«, jammerte das Kind.

»Ich tu dir was, wenn du dich nicht sofort ausziehst!«, drohte die Frau und holte eine große Schere aus ihrem Beutel. Da gehorchte das Mädchen mit fliegenden Fingern, zog die feinen Schuhe, Strümpfe, das schöne blaue Kleid aus, und erst bei der Wäsche verzog sich ihr hübscher Mund zu einem breiten Kinderheulen.

Der Junge saß auf der obersten Treppenstufe und beobachtete sie, hatte aber auch immer ein Auge auf die Straße, die Stadt. »Sie hat das Geld in der linken Hand«, sagte er ruhig.

Seit einiger Zeit machte es ihm mehr Spaß, wenn sie Mädchen die Kleider stahlen, er wusste noch nicht, warum. Den Jungen brauchte er nur den Hut vom Kopf zu schlagen, um ein paar Ecken zu fliehen – aber nicht zu schnell, damit sie ihm folgen konnten –, dann hatten sie sie. Mädchen waren viel schwerer anzulocken, sie waren ängstlicher. Aber dafür wehrten sie sich nicht. Oder wenig. Und ihre Sachen waren mehr wert.

Beinahe blind vor Tränen und schamvoll dicht an die Wand gepresst, sah das Mädchen, wie die Frau ihre Kleider und Schuhe sorgfältig in ihrem Beutel verstaute. Dann warf sie ihr ein paar Lumpen zu.

»Anziehen!«, befahl sie.

»Ihiii!«, sagte das Mädchen, als sie die Fetzen auf ihrer weißen, weichen Haut spürte, und schauderte, schluchzte. Ungerührt fasste die Frau in einen Haufen Kehricht, den Wind, Regen und Sonne zusammengebacken hatten, und rieb ihr mit dem widerlichen Schmutz das Gesicht, Arme und Beine ein.

»Willkommen in der Gosse!«, sagte sie und verschwand so unheimlich schnell, wie sie gekommen war. Der Junge aber blieb sitzen und bewachte das Mädchen noch eine Weile.

»Das sag ich meiner Mama!«, sagte sie, immer noch zitternd vor Schreck und auch ein bisschen vor Scham, weil der Junge sie nackt gesehen hatte.

»Natürlich«, sagte er ruhig. »Aber erst mal gehst du hübsch langsam nach Hause. Und versuch erst gar nicht zu schreien. Wer würde dir glauben, so wie du aussiehst?«

»Dann lass mich doch vorbei!«, bettelte sie, obwohl er sie gar nicht aufhielt, sondern einfach nur vor ihr auf der Treppe saß.

»Da wäre noch das Geld«, sagte er.

Sie ballte wütend die schmutzige Faust um diesen Schatz, von dem sie dachte, dass er ihn vergessen hatte. Und war er nicht kleiner als sie? Vielleicht könnte sie ihn verprügeln, ihn festhalten, seine Kleider stehlen?

Aber all diese rasch erwogenen Pläne verflogen vor der unheimlichen Sicherheit, mit der der Junge sich erhob, auf sie zukam und lächelnd seine Hand ausstreckte. Sie fing wieder zu weinen an, als sie die kleine Münze hineinlegte.