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Eden war in der Messe gewesen, hatte dort wieder keine Ansprache gefunden, durch sein spöttischstes Lächeln zu verstehen gegeben, wie wenig ihm das ausmachte, und gemütlich für sich eine Flasche Port geleert. Es war kaum später als neun Uhr abends und der Himmel noch relativ hell, als er die Messe verließ und nicht bemerkte, dass der Steward die Tür hinter ihm abschloss.

Die See war rauer geworden, aber da sich sein Magen schon lange an die Schaukelei gewöhnt hatte, sah er das Gewimmel der hochgehenden Wellen nicht ungern, spürte auch angenehm berührt, wie der auffrischende Wind an seinen Locken zerrte, und genoss die Brise in seinem Gesicht.

Dann bemerkte er, dass am Niedergang zu den Kabinen der ersten Klasse im Heck erstaunlich viele Matrosen anscheinend müßig herumlungerten, aber er war so sehr ein Kind seines Standes, dass er keck sein Stöckchen schwang und mitten in die bedrohlich schweigende Gruppe hineinschlenderte. Erst als ihm jemand unmittelbar den Weg versperrte, tauchte in seinem Kopf der vage Gedanke auf, dass diese merkwürdige Zusammenkunft ihm gelten könnte. Aber auch jetzt fühlte er sich nicht sonderlich bedroht.

»Würden Sie bitte zur Seite treten, mein Guter?!«, fragte, sagte, befahl Eden. Aber der Mann hielt ihm stattdessen ein eng zusammengerolltes ledernes Bündel unter die Nase, aus dem ein Schlangenkopf herausragte und in dem Eden seine Peitsche erkannte. Er lächelte, offensichtlich noch immer ahnungslos.

»Ich danke Ihnen, mein Freund. Die habe ich schon überall gesucht. Hier!« Er zog eine Fünf-Shilling-Silberkrone aus seiner Westentasche, wo sich für solche Zwecke stets eine kleine Münze befand. »Betrinken Sie sich in Kapstadt auf meine Rechnung. Oder leisten Sie sich ein Mädchen. Ich habe mir sagen lassen, dass die Kaffernweiber aparte Künste beherrschen!«

Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter, aber er schüttelte sie nur ab. Erst als sie von allen Seiten auf ihn eindrangen, nach ihm griffen, erkannte er, dass er das war, worauf sie gewartet hatten, und die sichersten Instinkte seiner Klasse erwachten in ihm. Er schlug dem Erstbesten seinen Spazierstock über die Schulter, dass er zerbrach.

Da trafen ihn selbst die ersten Schläge, leichte Schläge, die kaum schmerzten, aber ihn doch aus seiner Selbstgewissheit rissen. Wenn die Erde selbst aufbegehrte, die groben Schollen sich erhöben gegen den Bauern, der mit dem Pflug über sie geht – der Mann könnte nicht überraschter sein als der dritte Lord Eden in diesem Augenblick. Und binnen Sekunden wurde er zu einem Wesen, das wusste, dass nur die Schnelligkeit seiner Beine und die Kraft seiner Muskeln es retten konnten.

Eden war viel stärker, als man ihm ansah, stark und gewandt. Er schlug nach rechts und links, trat und hatte dabei den Vorteil, dass seine vielen Gegner ihn offenbar nicht totschlagen, sondern lebendig ergreifen wollten. Nie war er sich seines geschmeidigen jungen Körpers so bewusst gewesen, auch vor seinem hässlichen kleinen Spiegel nicht, wie in diesen wenigen Minuten, in denen er um sein Leben lief, floh, Haken schlug, vom Heck bis zum Bug rannte, ohne einen Ausweg zu finden.

Was ihn entsetzte, war die völlige Lautlosigkeit dieser Jagd. Niemand erschien auf seine verzweifelten Hilferufe, obwohl das ganze Schiff zweifellos wach war. Es war absurd. Hörnerklang, Hufe, Hundegebell – selbst ein Fuchs oder Hase hatte einigermaßen klare Vorstellungen davon, was ihn erwartete, oder fand ein Loch, in das er kriechen konnte. An Bord des Schiffes gab es keine Zuflucht, wohin er auch kam und so schnell er auch lief. Und vorn erwartete ihn der Mann mit dem Tauende, einem Seil, das direkt aus dem Meer zu steigen schien, das von außen über die Steuerbordreling kroch.

Er stutzte vor Unverständnis. Da hatten sie ihn, war er in ihren Händen. Sie packten ihn rau, taten ihm aber nicht wirklich weh. Sie rissen ihm die Kleider vom Leib, warfen ihn nackt zu Boden. Er fühlte sich in einer perversen Weise wohl, es erinnerte ihn an die Äquatortaufe. Auch da war er nackt zwischen all diesen Männern herumgesprungen, und sie hatten gelacht.

Er spürte das Tau an den Füßen, den Fußknöcheln, der Knoten war grausam stramm. Er wand sich am Boden, genoss die Berührung der harten Planken an seiner Haut. Dabei sah er die Männer an Backbord, die auch ein Tau in den Händen hielten, das im Meer verschwand. Ein Seemann wäre bei diesem Anblick gestorben vor Angst. Eden verstand es nicht.

Zwei Männer ergriffen ihn an Armen und Beinen, schwangen ihn zwischen sich hin und her, und zum ersten Mal sagten sie etwas: Sie zählten auf drei. Seine Lordschaft kam sich vor wie der alberne Mittelpunkt eines Kinderspiels. Bei drei flog er weit hinaus, über die Steuerbordseite, und fiel sechs Meter tief, bis ihn die Wellen verschluckten.

Eden kam fast sofort wieder hoch, spuckte aus, ruderte heftig mit Armen und Beinen, um über Wasser zu bleiben, und versuchte, an den Knoten an seinen Füßen heranzukommen. Wollten sie ihn ersäufen?

Das Schiff zog langsam an ihm vorbei, an der Reling erschienen Gesichter, die ihm und seinem verzweifelten Kampf zugewandt waren. Dann kam das Kommando: »Hiev!«, und auf dem Rücken, mit den Beinen voran, wurde er langsam in Richtung Schiff gezogen, während die flatternden Arme seinen Kopf über den Wellen hielten.

Der Himmel war immer noch hell. Er sah wildes Gewölk, bekam Gischt in die Augen. Seine Seite brannte vom Aufschlagen auf das Wasser. Aber was taten diese Idioten? Er war noch nicht weit genug achtern, er würde nicht um das Schiff herumkommen.

Riesig, dunkel und hart wuchs die Bordwand vor ihm aus dem Meer.

106.

Das Kielholen war eine Strafmaßnahme, die in der britischen Marine seit über fünfzig Jahren verboten war. In den Napoleonischen Kriegen hatte man sie noch hin und wieder praktiziert, aber auch dann nur in schweren Fällen von Desertion, Verrat oder dem Angriff auf Vorgesetzte. Die Männer, die dieser Strafe ausgesetzt wurden, starben zwar nicht unbedingt daran, wünschten sich aber nichts sehnlicher als den Tod, wenn es erst einmal angefangen hatte.

Es waren nicht nur alle Qualen des Ertrinkens, nicht nur der scharfe Schmerz, wenn die am Schiffsrumpf festgewachsenen Muscheln und Bohrwürmer, eisernen Kanten, Vorsprünge die Haut von den Knochen schabten, tief durch lebendiges Fleisch schnitten. Es war auch das Entsetzen, den ungeheuren kalten Leib über sich zu fühlen, langsam zermalmt zu werden wie ein Wurm im Schlamm. Es war die vollkommene Agonie, ein grausamer Todeskampf ohne die Erlösung des Todes.

Was schließlich nicht nur die stärksten Körper, sondern auch die Seelen zerbrach, war die völlige Ohnmacht, dem Tau und den Männern, die daran zogen, ausgeliefert zu sein, das Gefühl, menschlicher Gemeinschaft nicht mehr anzugehören, nur noch ein Köder zu sein für die grauen Räuber des Meeres.

Als sie ihn, die Füße voran, Backbord hochhievten, glich der dritte Lord Eden einer abgezogenen Rinderhälfte. Blut und Wasser tropften aus den blonden Haaren. Bei dem Versuch, ihn mit einem Ruck über das Schanzkleid zu ziehen, brach sein rechtes Schienbein, und sie sahen an seinem wilden Zucken, dass noch Leben in ihm war. Sobald das Opfer vor ihr lag, zerstreute sich die Menge, und jeder kämpfte für sich mit seinem Gewissen und dem Gefühl, eine gute Tat begangen zu haben.

Jetzt erst wagten sich Gowers und Van Helmont heran. Der Arzt untersuchte den halb toten Menschen, die nicht sonderlich tiefen, aber grausamen Wunden, in denen das Salzwasser brannte. Eden erbrach sich, rang nach Luft, heulte vor Entsetzen und fiel schließlich in Ohnmacht.