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Es klopfte kurz, aber heftig, und einen Augenblick später stand Gowers dem beeindruckendsten Schnurrbart gegenüber, seit er zuletzt ein Walross gesehen hatte. Unwillkürlich fragte er sich, wie dieser Mann nach einer guten Gemüsesuppe aussehen würde, und konnte den Besucher von da an nicht mehr wirklich ernst nehmen, obwohl er sozusagen einen Kollegen vor sich hatte.

E. S. Porter war allerdings im Hauptberuf Rechtsanwalt und von den älteren Mitgliedern der renommierten südafrikanischen Sozietät Babbington, Simmons, Simmons & Porter lediglich damit beauftragt, eigene Ermittlungen über angenommene Fälle anzustellen. Seine aktuelle Mission betraf den beklagenswerten Zustand, in den der dritte Lord Eden an Bord der Northumberland irgendwie versetzt worden war. Die Angaben, die Seine Lordschaft selbst über den Vorgang machte, seit er das Schiff auf einer gepolsterten Krankentrage verlassen hatte, klangen so ungeheuerlich, dass Babbington, Simmons, Simmons & Porter der Sache auf den Grund gehen wollten, ehe sie irgendwelche rechtlichen Schritte folgen ließen.

Es war in der Tat die unglaublichste Geschichte, seit man Lady Diana Kinglake nach dem rein touristischen Besuch einer Diamantenmine gezwungen hatte, sich von der Gattin eines Bergwerksinspektors durchsuchen zu lassen – wobei zwar tatsächlich einige kleinere Diamanten zum Vorschein kamen, aber was änderte das am Tatbestand der Nötigung? Babbington, Simmons, Simmons und vor allem Porter hatten damals immerhin erreicht, dass die auf derart unzulässige Weise aufgetauchten Corpora Delicti im Prozess gegen die junge Dame nicht als Beweismittel verwendet werden durften, sodass die ganze Sache im Sande verlief.

Hier boten sich nun, vorausgesetzt, die Geschichte seiner Lordschaft ließe sich verifizieren, eine ganze Fülle wunderbarster juristischer Möglichkeiten. Man konnte ein ganzes Schiff verklagen, Passagiere, Mannschaft, den Kommandanten, die Reederei, die britische Regierung. Das mochte ein wenig Ermittlung wohl wert sein.

Die häufigste Erklärung, die Porter auf der Northumberland zu hören bekam, sofern er überhaupt etwas Verwertbares zu hören bekam, lief allerdings auf eine etwas überstürzte Rettungsaktion hinaus. Seine Lordschaft sei bei Anbruch einer dunklen und stürmischen Nacht über Bord gegangen und an einem Seil wieder hochgehievt worden, könne noch von Glück sagen, dankbar sein, gottverdammt!

Von den Passagieren wollte niemand etwas bemerkt haben, da machten auch Daniel Thompson und der Burendoktor keine Ausnahme. Blieben Edens Regressforderungen gegen Letzteren, wegen der katastrophalen medizinischen Versorgung im Anschluss an den Unfall oder Vorfall – eine Sache, die sich umso leichter verfolgen ließe, als der Arzt in den Kapkolonien zu bleiben beabsichtigte.

Gowers, immer noch erheitert von seiner Suppenvorstellung, warf den aufdringlichen Advokaten schließlich kurzerhand aus der Kabine. Als er wenig später mit dem Doktor das Schiff verließ, sah er den Mann noch einmal an Deck umherstapfen, den grotesken Schnurrbart durch erregtes Aufblasen der Oberlippe noch zusätzlich gespreizt. Er sah aus wie ein Mann, der gerade ein Tänzchen mit Kapitän Radcliffe hinter sich hatte.

Aufmerksame Augen verfolgten, wie Gowers und Van Helmont schließlich von Bord gingen, blickten dann hinüber zu einer Gestalt, die im Schatten eines Hafengebäudes lehnte und das Geschehen ebenfalls beobachtet hatte. Beide Männer nickten sich kurz zu, dann löste sich der Schatten von der Wand und folgte dem hochbeladenen Karren mit der weltlichen Habe des Doktors. Van Helmont war nicht der Einzige, der schon am frühen Morgen an Land gewesen war.

110.

»Dem armen alten Boyd haben sie die Schädeldecke so sauber weggeschossen, dass er’s gar nicht mitbekommen hat. Sein Kopf sah aus wie eine offene Dose. Er grinste sogar noch von einem Ohr zum anderen, als er umkippte.«

Die zusammengewürfelten Männer hörten dem Corporal der Artillerie so respektvoll zu, wie es einem mad sandbag der vorgezogenen Nr. VII gebührte. Diese kleine Artilleriestellung war nur siebenhundert Meter von den feindlichen Linien entfernt und hatte mit ihren vier 32er-Geschützen die Beschießung der mächtigen Festung Sewastopol von englischer Seite, aus den Green Hills heraus, eröffnet. Die Siebente war dabei ganz allein geblieben, denn die übrigen Batterien waren noch nicht schussfertig gewesen. Und ein mörderisches Feuer von den Wällen, Redouten, aus mindestens hundert schwarzen Kanonenmäulern vom Kaliber 68 hatte Captain Oldershaws vorgezogene Nr. VII stundenlang umgegraben. Von fünfundsechzig Männern kamen nur drei zurück, der Rest wurde getragen, so oder so. Die Überlebenden wurden noch am gleichen Abend von keinem Geringeren als Brigadegeneral Darcey persönlich ausgezeichnet.

Von der täglichen Teezeremonie ließen sie auch inmitten dieses Wahnsinns nicht, lediglich gewisse Standes-, Rang-und Klassenunterschiede verschwammen dabei allmählich. Seit sechs Monaten lagen alle im gleichen Dreck, Offiziere und Mannschaften, Adlige und Bürgerliche, Briten, Franzosen, ein paar versprengte Türken und die gefürchteten indischen Gurkhas, die nachts bis an die Wälle heranschlichen und sich unvorsichtige russische Wachtposten holten. Regen und Schlamm dieser endlosen Belagerung hoben sogar die heilige Trennung zwischen den Waffengattungen auf, und Seeleute, Infanteristen, Kanoniere und die letzten Überlebenden der bei Balaclava zerschlagenen Kavallerie saßen gemeinsam in kleinen und größeren Gruppen beim Tee und lauschten auf den unausgesetzten Donner des Bombardements.

Vom 9. bis zum 18. April 1855 gingen hundertdreißigtausend Schuss Granaten und Kanonenkugeln auf Sewastopol nieder.

Was so besonders heldenhaft daran sei, sich zusammenschießen zu lassen, fragte der sommersprossige Leutnant einer Versorgungseinheit, dem der höchst unwillige Umgang mit nassen Pferden anzumerken war, den konsternierten Corporal der vorgezogenen Siebten.

»Das ist eine Belagerung, Junge«, kam die Antwort aus dem Mund eines hochgewachsenen Marineoffiziers, der erst am Morgen mit dreitausend Kisten Munition über die Victoria Ridge gekommen war, frisch aus England, und sogar die neuesten Zeitungen dabeihatte. In London bejubelten sie demnach immer noch die Schlacht von Inkerman, die hier schon wieder Geschichte war. Eine vergebliche noch dazu, denn der russische Kommandant Todleben, ein Teufel in Menschengestalt, hatte den Berg sozusagen mit Picke und Schaufel zurückerobert und über Nacht zwei gewaltige Schanzen zwischen sich und die Alliierten gelegt. Der Malakoff-Turm war damit so gut wie uneinnehmbar geworden, und die Belagerer waren nun beinahe die Belagerten.

»Bei einer Belagerung«, fuhr der Seemann fort, »kommt es nur darauf an, dass die Belagerten möglichst bald ihr Pulver verschießen. Da muss man ihnen halt manchmal auch irgendwas zu treffen geben und eine Weile den Buckel hinhalten.«

»Das sagt sich leicht, Sir«, bemerkte säuerlich der hochdekorierte Kanonier, »wenn’s nicht der eigene Buckel ist.«

Ein Kamerad von der VIII. Batterie versuchte, den gereizten Mann zu beruhigen: »Meine Herren, einen Toast auf Captain Oldershaw und die vorgezogene Siebtente!«

»Mit diesem Gebräu?« Der Mariner schüttete angewidert seine Tasse aus. »Wahrscheinlich kochen die Plattfüße ihre Socken aus.« Einige Infanteristen eines Füsilierregiments knurrten beleidigt, nur die Gurkhas putzten ungerührt ihre Waffen. Was gingen sie die Auseinandersetzungen der Weißen an? Der angegriffene Artillerist aber sprang jetzt auf, wie aus einer Kanone geschossen.

»Sir, bei allem Respekt, das ist ein Affront! Ein Toast wurde ausgebracht. Die Männer der Siebenten kämpften heldenhaft gegen eine Übermacht von zehn zu eins, wenn nicht mehr.«

»Hipp, hipp!«, sagte sein Kamerad von der Achten.

»Nicht, wenn man die Franzosen mitzählt«, beharrte der Seemann.

»Aber wer macht denn so was?«, spotteten prompt die Infanteristen.