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Er spähte durch den Türspalt in die Kirche, wo das Gescharre vieler Füße und ein Räuspern aus vielen Kehlen ihm verkündeten, dass sich seine Herde versammelt hatte, vollständiger noch als am Osterfest, diese Heuchler, Pharisäer, diese üblen Sünder. Waren gekommen, um sich an seiner Schande zu weiden, dem Schmerz ihres Hirten!

Ehrwürden Gowers atmete heftig aus, ehe er vor die gottesfürchtige Schar trat, und lernte dabei seine Frau immerhin etwas besser verstehen, die heute den ersten Sonntag ihres Lebens nicht in der Kirche verbrachte. Tag des Herrn, Tag des Zorns!

Seine Predigt war sehr verwirrend für alle Beteiligten. Da war erfreulich viel von den zuchtlosen Schwestern die Rede: Juda und Israel, Jerusalem und Samaria, die die auserlesensten Söhne Babels, Assurs und Ägyptens nach ihren Brüsten greifen und ihren jungen Busen betasten ließen. Von Jeremiä Klagerufen über die Tochter Zions, die hoch gebaute Stadt, das alte Möbeclass="underline" Sie ist wie eine liebliche Aue; aber es werden Hirten über sie kommen mit ihren Herden; die werden Zelte aufschlagen rings um sie her und ein jeder seinen Platz abweiden.

Bis dahin stimmte noch alles.

Ganz unvermittelt kam er dann aber auch auf Lots Weib, Lots Töchter und von da wieder auf die Blöße Noahs zu sprechen und dass der Herr strafet die Sündigen bis ins siebente Glied, König David könne auch ein Lied davon singen …

Mit einem Wort: Er gab es den Sündern ganz ordentlich, wenn auch reichlich ungeordnet. Und die ganze Zeit über fischte sein Auge Gesichter aus der Menge der zahlreich erschienenen jungen Männer. Welcher, o Herr? Welcher von all diesen Söhnen Babels, Assurs, Ägyptens, Old Benwells …

17.

Nach dem Abendmahl wusste er es.

Zuerst dachte er, es wäre der junge Philip Greening gewesen, denn der war so breit grinsend vor ihm aufgetaucht, dass Gowers in seiner Erregung dem Jungen das Brot bis zum Kehlkopf in den Hals geschoben hatte: Ersticken sollst du an deinem Grinsen! Nun war er klüger.

Ein Mann war sitzen geblieben, und während der Pfarrer zum Abschluss der Messfeier nun hastig seine Litaneien herunterbetete, fixierte er nur noch diesen jungen Menschen, der blass, blass, aber herausfordernd sicher, in einer der hinteren Reihen saß. Auch die Gemeinschaft der Gläubigen hatte ihn nun bemerkt. Ältere Damen in der Farbe und Form von geschlossenen Regenschirmen tuschelten sich seinen Namen und sonstige »nähere Umstände« zu und blickten dann wieder halb mitleidig, halb neugierig auf ihren Hirten, der mit zitternden Händen das Kirchenbuch aufgeschlagen hatte: der Moment, auf den sie alle seit fast einer Woche gewartet hatten!

»Einträge!«, sagte Ehrwürden Gowers. Und erzählte von Margret Winchell, die zwei Tage zuvor im Alter von vierundsechzig Jahren in der Gnade verstorben war und am Montag beerdigt würde. Von Charles Benfield und Hariet Stone und dem heiligen Versprechen, das sie sich in zwei Wochen in dieser Kirche geben würden.

Und er forderte jeden auf, zu sprechen, der einen Grund anzugeben wüsste, aus dem diese beiden nicht zusammengegeben werden sollten – hätte sich aber sehr gewundert, wenn sich daraufhin irgendjemand gemeldet hätte, und war am Ende der bislang bekannten Ein-und Austräge angekommen.

Gespannte Stille. Noch einmal atmete der bedauernswerte Mann hörbar durch, dann fragte er mit kräftiger Stimme: »Anzeigen?«

Eine der hinteren Bänke knarrte, als der blasse junge Mann sich erhob. Achtzig Augen wandten sich ihm zu, vierzig Blicke bissen sich an ihm fest. Er war ein gut aussehender Mann Mitte zwanzig, schlank, aber stark, mehr als sechs Fuß groß, schwarzhaarig, die Augen einer Taube im Gesicht eines Falken. Und die kräftigen Hände des Kohlehauers. Unter anderen Umständen hätte Gowers ihn eine beeindruckende Erscheinung genannt. Jetzt war er tatsächlich beeindruckt. Und wütend darüber.

»Ja?«, bellte der Pfarrer.

»Die Geburt eines Kindes!«

Die Antwort kam leise, aber nicht weniger bestimmt. Die Blicke der Gläubigen wanderten jetzt zwischen den Kontrahenten hin und her, um hinterher jede Schwäche, jedes Schwanken gnadenlos durchhecheln zu können.

»Name?«, schnarrte Gowers, der befriedigt registriert hatte, dass der Mensch immerhin seinen Hut in der Hand hielt, um seine schwarzen Fingernägel zu verbergen. Aber die Antworten blieben ruhig und sicher.

»John Augustus Williams.«

»Aus?«

»Skye.«

Ein Schotte!, dachte Ehrwürden Gowers, ich wusste es: ein gottverdammter Hochländer, am Ende noch Presbyterianer! Ohne es zu wollen, wurde der Pfarrer leiser.

»Name des Kindes?«

»Joseph Benjamin.«

Die Gemeinde erstarrte, Taschentücher und Fäuste legten sich auf offene Münder, nur jetzt keine Regung zeigen! Gowers aber wurde noch schwärzer vor Augen. Es war sein eigener Name.

Bleich geworden sammelte er sich für den letzten Schlag, seine Strafe. Seine Schuld, seine Sünde, bis ins siebente Glied!

»Name der Mutter?«

Der gemeinschaftlich eingezogene Atem seiner Herde sog ihm die Frage fast von den Lippen.

Der junge Mann sagte, jetzt trotzig laut: »Jane Elizabeth Williams. Geborene Gowers.«

Der Pfarrer schluckte in die Stille hinein, krächzend kam die Eintragung, die er gemacht hatte, von seinen trockenen Lippen: »Am 19. April 1836 steht auf vor dem Antlitz Gottes und den Augen dieser Gemeinde John Augustus Williams aus Skye und zeigt an: die Geburt seines in Sünde empfangenen Sohnes Joseph Benjamin.«

Er räusperte sich, schaute dann mutig auf, ließ den Blick über die Häupter seiner Herde wandern, ob sich wohl einer trauen würde, ihn in diesem Moment anzuschauen, und sagte dann laut und vernehmlich: »Name der Mutter: Jane Elizabeth Williams, geborene Gowers!«

Gowers schlug das Kirchenbuch heftig zu, und es knallte, als hätte er auf den Schotten geschossen. Der wich tatsächlich vor Überraschung zum ersten Mal ein wenig zurück. Der Pfarrer donnerte mit blitzenden Augen: »Das macht vier Shilling, Mr. Williams!«

Der Bergmann, verärgert über sein wenn auch nur flüchtiges Zurückweichen, kam aus der Kirchenbank, versetzte ihr dabei absichtlich einen Tritt, der wie ein plötzlicher Donner über den Köpfen der angsterfüllt schweigenden Gemeinde rollte, und ging dann mit festen Schritten durch den Mittelgang zum Tisch des Kirchendieners an der Tür zur Sakristei. Vierzig Augenpaare bohrten kleine Löcher in seinen Rücken, als er die Strafe für seine Sünde auf den Tisch zählte.

Er wartete dann unwillkürlich noch eine Sekunde auf das Vade in pacio et non amplio peccare der Ältesten, aber dann fiel ihm wieder ein, dass er ja hier in der Kirche von England stand. Also nickte er dem Pfarrer, der mit weißen Knöcheln sein Kirchenbuch umklammert hielt, noch einmal kurz und ernst zu und ging langsam hinaus.

Erst als er wieder draußen unter einem taubengrauen Himmel stand, in dem schon eine Spur Frühling spürbar war, tat er, was er sich offenbar für diesen Moment lange vorgenommen hatte. Spitzte die Lippen und begann zu pfeifen, zuerst leise, dann so laut, dass die drinnen es sicher hören mussten: The Flower of Scotland.

Der Hadrianswall hatte wieder nicht gehalten!

18.

»Ist Ihr Vater zur See gefahren? War er bei der Marine?«

»Nein, Vater ist in der Armee gewesen, bevor er Beamter wurde.«

»Welche Waffengattung?«

»Was?«

»Infanterie? Artillerie? Kavallerie?«

»Artillerie. Vater war Kanonier.«

»In welchem Rang?«

»Corporal, glaube ich.«

»Wie kommt ein Corporal der Artillerie in die höhere Beamtenlaufbahn ?«

»Wegen seiner Auszeichnungen, seiner Verdienste. Im Krieg.«

»Auf der Krim, nehme ich an?«

»Ja. Ein Jahr vor Sewastopol, er hat manchmal davon erzählt. Es muss schrecklich gewesen sein.«

»War Ihr Vater körperlich geschickt? War er sportlich?«