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Ein Kennzeichen der keltischen wie der römischen Kirche im siebenten Jahrhundert war die Tatsache, daß der Zölibat nicht allgemein üblich war. Es gab zwar in den Kirchen immer Asketen, die die körperliche Liebe zur Verehrung der Gottheit vergeistigten, doch erst auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 wurden Heiraten von Geistlichen der westlichen Kirche verurteilt, aber nicht verboten. Der Zölibat in der römischen Kirche leitete sich von den Bräuchen der heidnischen Priesterinnen der Vesta und der Priester der Diana her.

Im fünften Jahrhundert hatte Rom Geistlichen im Range eines Abts oder Bischofs untersagt, mit ihren Ehefrauen zu schlafen, und bald danach die Heirat gänzlich verboten. Einer der Hauptgründe scheint das Bestreben gewesen zu sein, kirchlichen Besitz zusammenzuhalten, denn Papst Pelagius I. (Amtszeit 556-561) ordnete an, daß die Söhne von Priestern keinen Kirchenbesitz erben durften. Den niederen Geist-lichen riet Rom von der Heirat ab, verbot sie ihnen aber nicht.

Die Befürworter des Zölibats in Rom wurden immer stärker. Der führende Kleriker Peter Damian (1000-1072), der sich in seinen Schriften als Frauenfeind offenbart, erlangte immer mehr an Einfluß und überredete Papst Leo IX. (Amtszeit 1049-1054), den Zölibat dem ganzen geistlichen Stand aufzuzwingen. Papst Leo IX. befahl, alle Ehefrauen der Priester als Sklavinnen nach Rom zu schicken, wo sie zur »freien Verfügung« des Papstes zu stehen hatten. Im Jahre 1139 setzte Papst Innozenz (Amtszeit 1130-1143) eine mildere Form des Zölibats durch und forderte alle Priester auf, sich von ihren Frauen scheiden zu lassen. Doch Papst Urban III. (Amtszeit 1185-1187) legte fest, daß alle Ehefrauen von Priestern von jedem feudaladligen Herrscher gefangengenommen und als Sklavinnen verkauft werden durften. Die Priester wehrten sich jedoch. Rom gelang es erst nach vielen Jahren, den Zölibat allgemein durchzusetzen. Die keltische Kirche gab erst nach jahrhundertelangem Ringen ihre antizölibatäre Haltung auf und schloß sich den Richtlinien Roms an, wohingegen in der östlichen orthodoxen Kirche die Priester unterhalb des Ranges von Abt und Bischof bis heute das Recht zur Eheschließung haben.

Das Wissen um die freie Einstellung der keltischen Kirche zu geschlechtlichen Beziehungen ist wesentlich für das Verständnis des Hintergrunds der Romane der Fidelma-Reihe.

Die Verurteilung der »Sünde des Fleisches« blieb der keltischen Kirche noch lange fremd, nachdem sie in der römischen bereits zum Dogma geworden war. Zu Fidelmas Zeit lebten beide Geschlechter in Abteien und Klöstern zusammen, die als conhospitae oder Doppelhäuser bekannt waren, und erzogen ihre Kinder im Dienste Christi.

Fidelmas eigenes Kloster der heiligen Brigitta in Kildare war solch eine Gemeinschaft beider Geschlechter. Als Brigitta sie in Kildare (Cill Dara = Kirche der Eichen) gründete, lud sie einen Bischof namens Conlaed ein, sich mit ihr zusammenzutun. Ihre erste überlieferte Biographie wurde 650, fünfzig Jahre nach ihrem Tode, von einem Mönch in Kildare mit Namen Cogitosus geschrieben, der keinen Zweifel daran läßt, daß es auch weiterhin eine gemischte Gemeinschaft war.

Zum Beweis für die gleichberechtigte Stellung der Frauen wäre noch darauf hinzuweisen, daß in der keltischen Kirche jener Zeit Frauen auch Priester werden konnten. Brigitta selbst wurde von Patricks Neffen Mel zur Bischöfin geweiht, und sie war nicht die einzige. Rom protestierte im sechsten Jahrhundert schriftlich gegen die keltische Praxis, Frauen die heilige Messe zelebrieren zu lassen.

Im Gegensatz zur römischen Kirche gab es in der keltischen kein System von »Beichtvätern«, denen man seine »Sünden« beichten mußte und die dann die Vollmacht hatten, jemandem im Namen Christi diese Sünden zu vergeben. Statt dessen suchte man sich unter den Geistlichen oder Laien einen sogenannten »Seelenfreund« (anam chara) aus und erörterte mit diesem Fragen der Seele, des Geistes und des Glaubens.

Damit sich der Leser leichter zurechtfindet, habe ich eine Liste der Hauptpersonen beigefügt.

So können wir nun Fidelmas Welt betreten. Die Ereignisse dieser Geschichte spielen im Jahre 667, in jenen Tagen im Anschluß an die Nacht, die einst Gelach a’bhruic genannt wurde, die Nacht des Dachsmondes. Denn in jener Vollmondnacht im Oktober trocknet nach Ansicht der alten Iren der Dachs im Mondlicht Gras, um damit sein Nest zu bauen.

Hauptpersonen

Schwester Fidelma von Cashel, eine dalaigh oder Anwältin an den Gerichten im Irland des siebenten Jahrhunderts

Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsächsischer Mönch aus dem Lande des Südvolks

In Cashel

Colgü, König von Muman, Fidelmas Bruder Segdae, Bischof von Imleach, comarb von Ailbe

Sarait, die Kinderfrau

Alchü, der kleine Sohn von Fidelma und Eadulf

In Rath Raithlen

Becc, Stammesfürst der Cinel na Äeda Adag, Beccs Verwalter

Accobran, Beccs Tanist oder gesetzlicher Nachfolger

Lesren, der Gerber, Beccnats Vater

Bebhail, Beccnats Mutter

Seachlann, der Müller, Escrachs Vater

Brocc, Seachlanns Bruder

Sirin, Koch von Rath Raithlen, Ballgels Onkel

Berrach, Ballgels Tante, Sirins Schwester

Goll, der Holzfäller

Finmed, seine Frau

Gabran, Golls Sohn

Liag, der Arzt und Heilkundige

Gobnuid, ein Schmied

Tomma, Lesrens Gehilfe

Creoda, ein Gerbergehilfe

Sioda, ein Junge

Menma, ein Jäger

Suanach, seine Frau

In der Abtei des heiligen Finnbarr

Abt Brogan

Bruder Solam

Bruder Dangila

Bruder Nakfa

Bruder Gambela

Bruder Tüan, Verwalter im Kloster Molaga

Conri, Kriegsfürst der Ui Fidgente

Kapitel 1

Es schien, als würde die große weiße Scheibe des Mondes den Himmel beherrschen. Sie hing tief, war unbarmherzig weiß und kalt und erfüllte den Himmel mit einem solchen Leuchten, daß alles Dunkel sich aufzulösen schien. In dem gnadenlos eisigen Mondlicht zitterte er und kam sich für jedermann sichtbar und nackt vor. Kurz schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß es seltsam sei, am ganzen Körper zu frieren, dennoch einen scheinbar glühenden Kopf und schweißige Hände zu haben und dabei rasch und flach zu atmen. Es grenzte fast an eine sexuelle Erregung. Sein Herz pochte laut. Die verschiedenen Düfte der Nacht stiegen ihm in die Nase. Er streckte seine Arme zu der riesigen, fleckigen weißen Scheibe empor und reckte sich dabei ein wenig nach vorn, wobei sich seine Rücken- und Schultermuskeln anspannten.

Zwischen den Lippen wurden jetzt seine Zähne sichtbar, ein Laut drang hervor, als er siegesgewiß grinste. Ihn durchlief ein Schauer, denn er war im Besitz des Wissens, ein Rausch der Überlegenheit über seine Mitmenschen ergriff ihn. Er, nur er allein, wagte es, den verbotenen heiligen Namen der Mondgöttin auszusprechen, da er sich von ihr erleuchtet wußte, über ihre Weisheit verfügte. Nur er traute sich, ihren Namen zu nennen; seine Mitmenschen hatten unzählige Umschreibungen und Beinamen für sie erfunden, da sie sich vor der unversöhnlichen Göttin der Nacht fürchteten und ihren wahren heiligen Namen nicht auszusprechen wagten. Sie redeten immer nur ängstlich von ihr als der »Strahlenden«, der »Leuchtenden« oder »dem Ort, wo das Wissen vereint ist«. Gingen Seeleute an Bord eines Schiffes, meinten sie, sie zögen Unglück auf sich, wenn sie Frau Luna nicht »Königin der Nacht« nannten. Doch er kannte ihren wahren Namen, und nur er war so mutig, ihn auszusprechen.