»Der Wein wird süß getrunken, doch bitter bezahlt«, bemerkte Becc zu seiner Verteidigung und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
Adag blickte über die Schulter seines Fürsten hinweg und schlug einen frommen Ton an: »Wer Wasser trinkt, braucht keinen Wein zu bezahlen.«
Becc schaute ihn mürrisch an, öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Noch eine Redensart schoß ihm ungewollt durch den Kopf. Ob du nun betrunken oder nüchtern bist, behalte deine Gedanken für dich.
Er stand auf und legte rasch seine Kleider an, wobei er seinen Verwalter nicht weiter beachtete, bis er schließlich sein Schwert aufgenommen hatte.
Im Vorraum wartete ein völlig aufgelöster Mönch des neuen Glaubens. Er war jung und hatte blondes Haar.
»Bruder Solam«, begrüßte ihn Becc. »Was bringst du für Nachrichten?«
»Die Abtei wird angegriffen, mein Lord. Mein Abt bittet dich ...«
Becc schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab.
»Die Abtei wird angegriffen? Wer wagt das?« fragte er barsch.
»Die Dorfbewohner, mein Lord. Wieder ist eine Leiche, die Leiche eines jungen Mädchens, heute früh im Wald gefunden worden. Sie heißt Ballgel ...«
Entsetzt weiteten sich die Augen des Fürsten. »Ballgel? Die arbeitet doch in meiner Küche. Gestern war sie noch recht spät hier. Wir hatten Gäste . « Rasch drehte er sich zum Verwalter um, der ihm gefolgt war. »Adag, wann hat Ballgel die Festung verlassen?«
»Kurz nach Mitternacht, Lord. Ich war am Tor, als sie losging. Sie war allein.«
Becc wandte sich wieder Bruder Solam zu. »Steht es fest, daß es sich um Ballgel handelt?«
»Ja. Die Leute sind ganz aufgebracht. Das ist innerhalb der letzten drei Monate das dritte Mädchen, das hier ermordet wurde. Eine Meute aus dem Dorf ist auf die Abtei losmarschiert und hat den Abt aufgefordert, ihnen die drei geistlichen Besucher auszuhändigen. Das lehnt der Abt ab, und deshalb toben sie jetzt. Sie sagen, sie werden die Mönche angreifen und alles in Brand stecken, wenn sie die Fremden nicht herausgeben.«
»Warum die Fremden? Haben die Leute aus dem Dorf Beweise dafür, daß sie etwas mit dem Tod von Ballgel zu tun haben?«
Bruder Solam schüttelte den Kopf. »Die Dorfbewohner sind eigentlich ängstlich und abergläubisch, mein Lord. Doch weniger gefährlich sind sie deshalb nicht.«
»Ich habe schon die Wache verständigt, Lord«, warf Adag ein. »Die Pferde sind gewiß schon gesattelt.«
»So laßt uns zum Kloster aufbrechen«, befahl Becc entschieden, wandte sich um und lief zum Hof voran. »Bruder Solam kann hinter einem unserer Krieger aufsitzen.«
Die Abtei des heiligen Finnbarr lag nur einen kurzen Ritt entfernt und bestand aus einer Ansammlung von Holzgebäuden am Ufer des Flusses Tuath. Die Häuser waren von einem Palisadenzaun umgeben, um Wölfe und andere nächtliche Räuber fernzuhalten. Vor dem Holztor, das kaum stark genug war, einen entschlossenen Mann fernzuhalten, befand sich eine Gruppe von vierzig oder fünfzig Männern und Frauen. Vor ihnen stand ein schmächtiger, älterer Mönch mit silberweißem Haar. Seinem Aussehen nach handelte es sich um einen ranghohen Geistlichen. Er war von vier jungen, recht furchtsam blickenden Mönchen umringt.
Der alte Mann hielt beschwichtigend die Hände hoch, als wolle er um Ruhe bitten. Doch seine Worte gingen im Lärm der aufgebrachten Menge unter.
»Liefert uns die Fremdlinge aus! Wir werden schon mit ihnen abrechnen!«
In der vordersten Reihe hatte sich ein stämmiger Mann mit schwarzem Bart und zornigem Gesichtsausdruck aufgebaut. In einer Hand hielt er eine schwere Keule. Die Leute um ihn herum jubelten ihrem kampfeslustigen Anführer zu.
»Das ist ein Haus Gottes!« Als die wütenden Schreie kurz abebbten, konnte man die dünne Stimme des Alten hören. »Niemand wird das Haus Gottes mit gewalttätigen Absichten betreten. Kehrt in eure Hütten zurück.«
Daraufhin erhob sich lauter Protest. Jemand aus den hinteren Reihen warf einen kleinen Stein. Er flog über die Köpfe der anderen hinweg und schlug nur gegen die Wand. Doch die Botschaft war gefährlich.
»Im Namen Gottes, Brocc, schaff die Leute von hier fort, ehe noch ein Unheil geschieht.« Der alte Mann wandte sich nun direkt an den kräftigen Anführer.
»Es ist bereits Unheil geschehen, Abt Brogan«, entgegnete der, so laut er konnte, damit die Menge ihn verstand. »Und es wird noch mehr Unheil geben, wenn du die Fremdlinge nicht der gerechten Strafe zuführst.«
»Eurer Rache, meinst du wohl eher. Unsere Gäste werden nicht nur durch die Gesetze der Gastlichkeit geschützt, sondern auch durch das unverbrüchliche Recht auf Zuflucht.«
»Du beschützt also die Mörder unserer Kinder?«
»Hast du Beweise dafür?«
»Der Beweis sind die verstümmelten Leichen unserer Töchter!« schrie Brocc mit erhobener Stimme, so daß alle ihn hören konnten.
Seine Worte stießen auf allgemeine Zustimmung.
»Du hast keinen Beweis dafür«, entgegnete einer der Mönche an der Seite des Abts. Seine Stimme war kräftig und übertönte den Lärm. »Ihr seid nur gekommen, weil diese Geistlichen aus der Ferne hier zu Gast sind, aus keinem anderen Grund. Ihr habt vor ihnen Angst, weil sie euch fremd sind.«
Wieder flog ein Stein aus den hinteren Reihen nach vorn. Doch diesmal traf er den jungen Bruder mitten auf die Stirn. Sofort schoß ein roter Strahl aus der Wunde, und der Mönch taumelte ein, zwei Schritte zurück. Die Menge grölte wild und bejubelte die Tat.
»Abt Brogan, wenn du nicht das gleiche Schicksal wie die Fremdlinge erleiden willst, gib sie uns lieber heraus«, drohte Brocc.
»Du wagst es, dem Abt zu drohen?« rief jetzt ein anderer Mönch entsetzt. »Du hast schon deine Hände gegen die Brüder dieses Klosters erhoben, die Strafe Gottes ist dir gewiß. Doch nun wagst du ...«
»Genug der Worte!« schrie Brocc und riß bedrohlich seine Keule hoch.
Da preschten der Stammesfürst, Adag und vier berittene Krieger heran. Als die Leute ihren Herrn und seine bewaffneten Reiter erblickten, gaben sie mürrisch den Weg frei.
Bruder Solam, der hinter einem der Krieger gesessen hatte, rutschte vom Pferd, eilte zum Abt hinüber und stellte sich schützend vor ihn. Die Menge war verstummt. Doch Brocc wollte sich nicht den Wind aus den Segeln nehmen lassen.
»Nun, Fürst Becc«, rief er wutschnaubend, »bist du gekommen, um der Bestrafung der Mörder deine Zustimmung zu geben, oder unterstützt du jene, die sie beschützen?« Dabei streckte er einen Arm aus und zeigte anklagend auf den Abt. »Der Abt weigert sich, die Fremdlinge unter Recht und Gesetz zu stellen.«
»Ich bin hier, um euch zu sagen, daß ihr gegen das Gesetz verstoßt«, rief Becc befehlsgewohnt. »Kehrt in eure Häuser zurück.«
Brocc spreizte großtuerisch die Beine, eine Hand stemmte er in die Hüfte, die andere hielt locker die Keule. Er mußte seinen Ruf als starker Mann verteidigen.
»Also wirst du auch die Mörder beschützen, Fürst Becc?« Seine Stimme klang beinah triumphierend.
»Ich bin dein Herr, du hast mir zu gehorchen«, fuhr ihn Becc gereizt an. »Ich sagte, kehrt in eure Häuser zurück, sonst bekommt ihr es mit mir zu tun.«
Besorgtes Murmeln drang aus der Menge, einige machten sich mit blassen, düsteren Gesichtern auf den Weg.
»Bleibt hier!« schrie Brocc. Er verharrte in seiner herausfordernden Haltung. Sein scharfer Ton band auch jene an ihn, die bereits halbherzig losgegangen waren. Dann wandte er sich dreist an den Fürsten. »Versuch nicht, uns einzuschüchtern, Becc. Wir verlangen Gerechtigkeit.«
Beccs Gesicht war vor Zorn rot angelaufen.
»Dir geht es doch nicht um Gerechtigkeit«, hielt er Brocc entgegen. »Du willst nur Blutvergießen, und das ohne einen rechten Grund außer deinem Vorurteil gegenüber Fremden.« Den Versammelten rief er zu: »Ich fordere euch noch einmal auf, in eure Häuser zurückzukehren. Ihr verstoßt gegen das Gesetz des Aufruhrs - das Cdin Chireib! Macht ihr so weiter, wird das schreckliche Folgen für euch haben! Verstanden?«