Conri sah sich kurz um und deutete dann auf sein Zelt. »Laß uns unter vier Augen reden, Fidelma von Cashel. Ich bin bereit, dir alles zu erklären, aber niemand anderem sonst. Bitte komm mit mir in das Zelt.«
Adag erhob Protest. »Das schickt sich nicht, das verstößt gegen das Protokoll.«
»Ich kann damit leben, die Vorschriften zu umgehen, solange es der Wahrheit dient«, sagte Fidelma und stand auf, wobei sie Eadulf beruhigend zunickte.
Unter Conris Männern war Gemurmel aufgekommen, doch er brachte sie mit einem funkelnden Blick zum Schweigen. Fidelma folgte ihm in sein Zelt. Er hieß sie in dem einzigen Sessel Platz nehmen und setzte sich selbst auf den Rand seiner Bettstatt.
»Über eins müssen wir uns im klaren sein«, fing er an. »Mein Bote hat die Wahrheit gesagt, meine Männer und ich sind auf dem Weg zu den Spielen bei den Corco Loigde. Wir hatten uns in unserem Land am Wasserfall von Geiphtine versammelt, von wo aus wir uns per Schiff zu den Corco Loigde begeben wollten. Doch der Kapitän, den wir angeheuert hatten, wurde am Abend vor unserer Abfahrt bei einem Streit getötet. Während einer dummen Schlägerei, alle waren betrunken. Wir konnten die Schiffsmannschaft nicht dazu überreden, die Abmachung einzuhalten.«
»Er wurde getötet?«
»Von einem seiner Leute. Doch ehe er starb, hat er Dea etwas Wichtiges anvertraut. Dieser Dea war der Anführer der Vorhut. Er war bei dem Kapitän, als er starb.«
»Dea wird aber nicht verdächtigt, etwas mit dem Tod des Kapitäns zu tun zu haben?«
Conri schüttelte den Kopf. »Dea war ein guter Krieger, er neigte jedoch dazu, auf eigene Faust zu handeln. Er hatte den Befehl über eine eigene kleine Gruppe von Kriegern.«
»Einen Trupp von zehn Männern?«
Conri machte eine zustimmende Geste. »Als wir weiter nach Süden kamen, fiel mir auf, daß Dea immer unruhiger wurde. An der Grenze zum Gebiet der Ci-nel na Äeda fragte er mich schließlich, ob er mit seinen Männern vorausreiten dürfe. Ich gestehe, daß mich das mißtrauisch machte, also fragte ich ihn, was er denn vorhatte. Darauf vertraute er mir an, daß der Schiffskapitän vor seinem Tod von neuen Goldminen in Beccs Stammesgebiet gesprochen hatte.«
»Im Eberdickicht?«
Conri nickte verdrießlich. »Versteh doch, als unser Herrscher Torcan in der Schlacht gegen deinen Bruder am Cnoc Äine ums Leben kam, hatten wir nicht nur viele junge Männer verloren, sondern wir mußten für unseren Aufstand sowohl an Cashel als auch den Großkönig Entschädigungszahlungen leisten. Das hat uns so viel ärmer gemacht.«
»Doch was hat das Auffinden von Gold in diesem Land, in dem nach wie vor die Eoghanacht herrschen, mit euch zu tun?«
Conri verzog das Gesicht. »Dea hatte eine Idee. Doch zuerst mußten wir feststellen, ob die Gerüchte stimmten. Der Kapitän hatte wohl von dem Gold gehört, als sein Schiff im Hafen von Molaga lag. Da sei ihm ein Mann begegnet, der nach einem Schiff für einen Goldtransport suchte. Er erfuhr, daß man das Gold in der Nähe eines Ortes entdeckt hatte, der Eberdickicht heißt. Der Kapitän sagte auch, daß in dieser Gegend ein Jäger namens Menma wohnt, der sich dort gut auskennt. Er wollte mit dem Schiff wieder ans Ufer der Cinel na Äeda zurückkehren und diesen Menma aufsuchen, der angeblich von dem Gold wußte. Bevor er starb, hat er Dea das alles anvertraut.«
Einen Moment schwieg Fidelma, dann sagte sie: »Nun, ich wiederhole meine Frage. Selbst wenn man hier Gold gefunden hätte, was für einen Nutzen hätte es für die Ui Fidgente?«
Conri fühlte sich in die Enge getrieben. »Wie ich schon sagte, unser Volk ist durch die Niederlage verarmt.«
»Es war eine gerechte Niederlage«, erinnerte ihn Fidelma.
»Darüber kann man geteilter Meinung sein. Wie dem auch sei, es ist wahr, daß wir besiegt wurden und nun arm sind. Der Kapitän hatte angedeutet, daß die Goldmine ein streng gehütetes Geheimnis sei und nur wenige davon wüßten - nicht einmal der Fürst der Cinel na Äeda. Ehe noch andere etwas von den Goldvorkommen erfuhren, wollte Dea bei einem raschen Überfall viel Gold forttragen, um unserem Volk damit wieder zu Macht und Einfluß zu verhelfen.« Er schwieg einen Moment. Dann fügte er hinzu: »Ich schwöre, daß ich erst davon hörte, als Dea mich darum bat, ihm und seinen Männern den Vorstoß zu erlauben. Ich habe ihm nicht davon abgeraten, denn ich bin kein Verräter an meinem Volk.«
Fidelma starrte ihn an. »Eigenartigerweise glaube ich dir. Diese Geschichte ist zu ungewöhnlich, als daß sie nicht wahr sein könnte.«
»Doch dann sind Dea und seine Männer nicht zurückkehrt, und meine Späher stießen auf ihre Leichen. Ganz gleich, was sie vorhatten, man hätte ihnen die Möglichkeit lassen können, sich zu ergeben, nicht wahr? Sie haben es nicht verdient, wie Tiere abgeschlachtet oder hinterrücks mit Pfeilen erschossen oder vom Schwert getroffen zu werden. Das ist es, was meine Krieger und mich so aufbringt. Ich bin fest entschlossen, dafür Entschädigung zu verlangen.«
»Conri, du hast mir die Wahrheit gesagt. Dafür danke ich dir. Aber ich sehe keine rechtliche Grundlage, nach der der Verlust deiner Männer entschädigt werden könnte, schließlich haben sie das Haus eines unschuldigen Menschen angezündet, seine Frau entführt und seine Tiere getötet. Außerdem war Raub ihre Absicht. Dieser Dea kam zu dir und hatte einzig und allein Diebstahl im Sinn ...«
»Dea war mein Bruder«, erwiderte Conri mit hohler Stimme. »Deshalb kann ich die Sache nicht auf sich beruhen lassen.«
»Das tut mir leid. Doch ich repräsentiere das Gesetz und nicht den Geist der Rache. Ich will dir einen Vorschlag machen .«
Conri sah sie mißtrauisch an. »Ich kann nicht zu der Frau und den Kindern meines Bruders zurück-kehren, ohne sagen zu können, daß sein Tod gerächt wurde.«
»Ich bleibe dabei, ich stehe nicht für den Geist der Rache. Doch du könntest trotzdem kundtun, daß die Gerechtigkeit gesiegt hat, denn ich weiß, dein Bruder und seine Männer hatten keine Gelegenheit, sich freiwillig zu ergeben.«
»Also was schlägst du vor?«
»Einfach folgendes: Bleibt in eurem Lager hier, greift niemanden an, fügt niemandem Schaden zu. Morgen werde ich dich und zwei Begleiter deiner Wahl in die Festhalle von Rath Raithlen rufen lassen. Du stehst unter meinem persönlichen Schutz. Dort werde ich wahrheitsgemäß die Gründe offenlegen, die hinter den Vorfällen stecken. Du wirst erfahren, warum dein Bruder und seine Männer wirklich sterben mußten und wer dafür verantwortlich ist. Wegen der Vergehen einzelner muß kein ganzes Volk büßen.«
Conri saß eine Weile schweigend da. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich bin ein Mann von Vernunft, Fidelma von Cashel. Ich weiß, daß die Eogha-nacht meinen, alle Ui Fidgente sind hirnlose Bestien, blutrünstig und beutegierig. Das stimmt nicht. Wir sind ein unabhängiges Volk, ein stolzes Volk, das sich vor niemandem beugt und niemand anderen als unseren Herrscher anerkennt. Das bringt uns häufig in Konflikt mit anderen. Doch wir sind vor allem gerecht und aufrichtig. Ich habe gehört, was du gesagt hast, und ich werde deinem Ruf nach Rath Raithlen folgen. Meine Männer sind alle Krieger, die wie Jagd-hunde an der Leine danach lechzen, jenen zu begegnen, die ihre Brüder getötet haben. Wenn uns also jemand reinlegen will, so versichere den Cinel na Äeda, daß ihre Strafe um so härter und blutiger ausfallen wird.«
Langsam erhob sich Fidelma und streckte eine Hand aus. »Ich habe alles verstanden, Conri.«
Der Kriegsfürst stand auf und schlug ein. Schweigend schüttelten sie sich die Hände.
»Wir haben einen guten Anfang gemacht, Fidelma von Cashel«, sagte der Anführer, als sie aus dem Zelt traten. Eadulf und Adag warteten mit besorgten Mienen auf sie, wohingegen Conris Männer düster und mißtrauisch um sich sahen.
»Dann wollen wir hoffen, daß das Ende auch gut wird«, sagte Fidelma lächelnd.
Auf dem Weg nach Rath Raithlen baten Eadulf und Adag sie immer wieder, zu berichten, was in Conris Zelt vorgefallen war. Doch sie lächelte nur und antwortete: »Die Sonne scheint nicht ohne Schatten.«