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Martin hatte das ebenfalls gehört. Er wandte sich um, legte den Kopf zur Seite und verschränkte seine Arme.

»Du denkst, ich war betrunken, was?« rief er und musterte sie eindringlich.

»Bitte, Martin!«

»Na gut, ich werde dir zeigen, ob ich betrunken bin oder nicht. Los komm, Bert.«

Rampole beschleunigte seinen Schritt an der Seite des Mädchens, als sie in die entgegengesetzte Richtung davongingen. Hinter einer Biegung hörte er die Vettern streiten, Herbert mit ruhiger Stimme und Martin, den Hut bis auf die Brauen herabgezogen, sehr laut.

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Der Mißklang dieses kurzen Zusammentreffens hatte nicht zum Wohlgeruch der Weißdornhecken gepaßt, jedoch wurde er vom Wind, der über das Gras der umliegenden Wiesen strich, wieder weggeblasen. Das wässrige Gelb des Himmels leuchtete im Westen wie Glas. Schwarz hoben sich die Kiefern dagegen ab, selbst das morastige Wasser in den Senken blitzte golden. Die Ebene ging hier in Heide über, und in der Ferne glichen die Herden weißgesichtiger Schafe den Kinderspielzeugen aus einer Miniaturarche.

»Sie dürfen nicht denken«, sagte das Mädchen leise und blickte nach vorn, »Sie dürfen nicht denken, er wäre immer so. Wirklich nicht. Im Moment geht nur so viel in seinem Kopf herum, das versucht er durch das Trinken zu verbergen. Das macht ihn so großspurig.«

»Ich wußte, daß ihn eine Menge beschäftigt. Man darf ihm das nicht übelnehmen.«

»Dr. Fell hat Ihnen davon erzählt?«

»Ein bißchen. Er sagte, es sei kein Geheimnis.«

Sie preßte ihre Hände zusammen. »Oh nein. Das ist ja das Schlimme, daß es kein Geheimnis ist. Jeder weiß es, aber alle wenden sich ab. Man bleibt allein damit, wissen Sie. Man kann darüber nicht öffentlich sprechen, das gehört sich nicht. Auch mir gegenüber bleiben sie stumm. Und ich darf es auch nicht ansprechen. ..«

Eine Pause. Dann wandte sie sich ihm beinahe grimmig zu.

»Sie sagen mir, daß Sie es verstehen, und das ist nett von Ihnen. Aber Sie verstehen es nicht! Mit so einer Sache aufzuwachsen... Ich erinnere mich, als Martin und ich noch klein waren, hob Mutter jeden von uns zum Fenster, damit wir das Gefängnis sehen konnten. Sie ist jetzt tot, wissen Sie. Vater auch.«

Sanft sagte er: »Meinen Sie nicht, daß Sie zuviel Aufhebens von dieser Legende machen?«

»Ich sagte ja - Sie verstehen das nicht.«

Ihre Stimme war trocken und monoton, etwas gab ihm einen Stich. Verzweifelt suchte er nach Worten, deren Unangemessenheit ihm aber, kaum daß er sie gefunden hatte, sofort bewußt wurde. Er jagte nach einer Gemeinsamkeit mit ihr, wie er vielleicht in einem Spukzimmer nach einer Lampe getastet hätte.

»Ich bin nicht besonders praktisch veranlagt«, sagte er einfach. »Wenn ich mich von Büchern oder Football ab- und der Welt zuwende, dann bin ich ratlos. Trotzdem glaube ich, daß ich alles, was Sie mir sagen, verstehen würde. Vorausgesetzt, es beträfe Sie.«

Glockengeläut wehte über die Ebene. Ein ruhiges, trauriges Läuten wie aus alter Zeit, das in der Luft schwang und ein Teil von ihr war. Weit vor ihnen brach sich das letzte Licht am Kirchturm zwischen den Eichen. Schimpfend flogen, als die Glok-kentöne metallisch und müde erklangen, Dohlen aus dem Turmgebälk auf. Eine Krähe krächzte. An einer Steinbrücke, die über einen breiten Bach führte, waren sie stehengeblieben. Dorothy wandte sich um und blickte ihn an.

»Was Sie da sagen, ist mehr, als ich mir wünschen kann.«

Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, und ein Windhauch strich durch ihr dunkles Haar.

»Ich hasse alles Praktische«, fuhr sie mit unvermuteter Vehemenz fort. »Seit Vaters Tod mußte ich immer nur praktisch sein. Herbert ist wirklich ein zuverlässiger alter Gaul, doch er hat ungefähr so viel Phantasie wie der Heuhaufen da drüben. Dann sind da noch Mrs. Colonel Granby und Leutitia Markley und Mrs. Payne, die ständig mit ihrem Ouija-Brett herumläuft und die Geister befragt, und Miss Porterson, die nur davon redet, Neuerscheinungen zu lesen. Außerdem wäre da noch Wilfrid Denim, der mir pünktlich um neun jeden Donnerstagabend seine Aufwartung macht. Ihm geht aber regelmäßig bereits um fünf nach neun der Gesprächsstoff aus, und dann bestreitet er den Rest des Abends mit Berichten von einem Theaterstück, das er mal vor drei Jahren in London gesehen hat, oder er demonstriert mir Tennisschläge, daß man glaubt, na prächtig, jetzt hat ihn der Veitstanz gepackt. Oh ja, und natürlich Mr. Saunders. Der heilige Georg beschütze unser glückliches England - und wenn Harrow dieses Jahr Eton schlägt, dann ist das Land in den Händen der Sozialisten. Puuh!«

Atemlos fand sie ein Ende und schüttelte noch einmal so vehement den Kopf, daß sie ihr Haar wieder glattstreichen mußte. Dann lächelte sie etwas verschämt. »Was müssen Sie von mir halten, wenn ich so rede - «

»Ich finde, daß Sie absolut recht haben«, erwiderte Rampole enthusiastisch. Ganz besonders hatte er den Ausfall gegen Mr. Saunders genossen. »Nieder mit allen Ouija-Brettern und Spiritisten. A bas le Tennis. Ich hoffe, Harrow schlägt Eton haushoch-ähäm! Was ich sagen will ist, Sie haben absolut recht. Lang lebe der Sozialismus!«

»Ich habe nichts von Sozialismus gesagt.«

»Nun, dann sagen Sie was dazu«, bot er ihr großmütig an, »los, sagen Sie etwas dazu. Lang lebe Norman Thomas! Gott segne - «

»Wieso das denn, dummer Kerl?«

»Weil Mr. Saunders das bestimmt nicht mögen würde«, erklärte Rampole. Diese These schien ihm einleuchtend, wenn auch vage. Doch dann fiel ihm etwas anderes ein, und er erkundigte sich argwöhnisch:    »Wer    ist denn dieser Wilfrid, der Sie jeden Donnerstagabend besuchen kommt? Wilfrid - was für ein lausiger Name. Klingt nach jemandem mit ondulierten Haaren.«

Sie glitt von der steinernen Einfassung der Brücke herunter, und ihr schmaler, kräftiger Körper wirkte befreit. Auch ihr Lachen, so warm und draufgängerisch wie am vorigen Abend, hatte seine Freiheit zurückgewonnen.

»Hören Sie, wenn Sie so weiterreden, werden wir diese Zigaretten nie kriegen, fürchte ich... Ihre gute Laune hat mich angesteckt. Sollen wir rennen? Aber nicht zu schnell, es ist fast eine Viertelmeile.«

Rampole sagte nur: »Dann los!«, und sie rannten, den Wind im Gesicht, an dem Heuhaufen vorbei. Dorothy Starberth lachte immer noch.

»Ich hoffe, wir treffen unterwegs Mrs. Colonel Granby«, keuchte sie atemlos. Sie schien dies für eine geradezu verruchte Idee zu halten, denn mit glühendem Gesicht und leuchtenden Augen sah sie ihn über die Schultern an. »Herrlich, ganz toll. Wie gut, daß ich Schuhe mit flachen Absätzen anhabe.«

»Sollen wir noch Tempo zulegen?«

»Sie Biest! Nein danke, mir ist schon warm genug. Sind Sie etwa Langläufer?«

»Hm. Ein wenig.«

Ein wenig. Weiße Zahlen auf schwarzen Schildern schwirrten durch seinen Kopf, ein muffiger Raum abseits des Campus, wo silberne Pokale neben mumifizierten Bällen mit aufgepinselten Daten in Glasvitrinen herumstanden. Dann, die Straße flog an ihnen vorüber, erinnerte er sich an eine andere Gelegenheit, bei der er das gleiche Hochgefühl empfunden hatte wie jetzt. Ein November, das brausende Meer der Zuschauer, der rasselnde Atem und ein Quarterback, der die Kommandos übers Feld brüllte wie ein schlechter Schauspieler. Heftige Kopfschmerzen. Die Muskeln gespannt wie Draht, kalte Finger, ohne jegliches Gefühl. Dann das Geschiebe und Gedränge der Spieler, der Aufprall. Plötzlich kalte Luft, die über sein Gesicht strömte und das berauschende Gefühl, wie eine Marionette an Drähten über die weißen Linien zu fliegen, das Ding aus der Luft zu pflücken, direkt unter den Torpfosten... Wieder hörte er das ohrenbetäubende Brüllen, spürte sein heftiges Atmen, als das Tosen des Beifalls die Schwüle aus dem Stadion hinwegtrieb. Letzten Herbst erst war das gewesen, doch tausend Jahre schien es her. Hier in der Dämmerung bestand er ein viel aufregenderes Abenteuer mit einem Mädchen, dessen bloße Gegenwart neben ihm wie das Tosen dieser vergangenen, jubelnden tausend Jahre war.