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»Um elf Uhr.«

»Aha, das dachte ich mir. Also, sobald er das Herrenhaus verläßt, rufen Sie uns an. Wir werden Wache halten. Das dürfen Sie ihm natürlich nicht erzählen. Erstens ist es nicht zulässig, und wenn er es wüßte, würde er vielleicht aus lauter Trotz einen andren Weg nehmen und unsere Pläne durchkreuzen. Sie könnten ihn aber vielleicht überreden, sich mit der Lampe irgendwo in die Nähe des Fensters zu setze.. «

Dorothy holte tief Luft. »Ich wußte doch, daß was daran war«, sagte sie stumpf. »Ich wußte, daß Sie mir alle etwas verheimlichen. .. Oh mein Gott, warum muß er bloß da hinaufgehen? Warum können wir nicht mit dieser blöden Tradition brechen und - «

»Nicht, wenn Sie Ihren Besitz nicht verlieren wollen«, sagte Payne schroff. »Tut mir sehr leid. Aber so ist es festgelegt. Ich selbst habe darüber zu wachen, daß es eingehalten wird. Ich muß dem Erben mehrere Schlüssel übergeben, denn er muß durch mehr als eine Tür. Wenn er sie mir zurückbringt, dann muß er mir eine bestimmte Sache aus dem Innern des Tresors zeigen - was, spielt hier keine Rolle - als Beweis, daß er ihn wirklich geöffnet hat.«

Erneut kaute der Anwalt geräuschvoll auf seiner Pfeife. Das Weiße seiner Augen schimmerte im Dunkeln.

»Miss Starberth wußte das alles bereits, meine Herren, egal, ob das bei Ihnen ebenfalls der Fall war oder nicht«, kläffte er. »Wir sprechen ganz offen miteinander. Nun gut. Erlauben Sie mir also, auch meine Angelegenheiten einmal hinauszuposaunen. Vor mir war bereits mein Vater der Treuhänder der Starberths in dieser Sache, davor mein Großvater und dessen Großvater. Ich breite das hier vor Ihnen aus, Gentlemen, damit es nicht so aussieht, als sei ich ein Kleinlichkeitskrämer. Selbst wenn ich das Gesetz brechen wollte, das sage ich Ihnen ganz offen, diese Treuepflicht würde ich niemals verletzen.«

»Na gut, dann soll er den Besitz doch verlieren! Meinen Sie etwa, irgendeinem von uns würde das das Geringste ausmachen - «

Payne unterbrach sie ungeduldig: »Nun, er ist nicht so ein Narr, was Sie und Bert auch davon halten mögen. Großer Gott! Mädchen, wollen Sie sich denn an den Bettelstab bringen und obendrein auch noch dem allgemeinen Gelächter aussetzen? Diese Prozedur mag närrisch sein, na schön. Aber sie ist nun einmal Gesetz und Pflicht.« Er schloß die Hände mit einem dumpfen, gepreßten Geräusch. »Ich werde Ihnen sagen, was noch viel närrischer ist: Ihre Befürchtungen. Seit 1837 ist keinem der Starberths mehr etwas passiert. Bloß weil Ihr Vater zufällig in der Nähe des Hexenwinkels vom Pferd geworfen wurde - «

»Nicht!« bat das Mädchen gequält.

Ihre Hand bebte, und Rampole machte einen Schritt auf sie zu. Er sagte nichts, kalte Wut saß ihm in der Kehle. Er dachte: Wenn ich die Stimme dieses Mannes noch eine Sekunde länger hören muß, bei Gott!, dann kriegt er eins zwischen die Zähne.

»Es reicht jetzt, Payne, meinen Sie nicht?« brummte Dr. Fell.

»Na gut«, sagte Payne, »soll mir recht sein.«

Ärger lag in der Luft. Sie hörten, daß Paynes Zähne knirschten. Mit trockener, belegter Stimme wiederholte er: »Soll mir recht sein«, aber man spürte, daß er innerlich kochte.

»Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Gentlemen«, fuhr er ungerührt fort. »Ich werde Miss Starberth begleiten... Nein, Sir«, als Rampole eine Bewegung machte, »diesmaclass="underline" Nein. Ich habe vertrauliche Dinge zu besprechen. Ohne Einmischung, wie ich hoffe. Einen Teil meiner Pflicht habe ich bereits erfüllt, als ich Mr. Martin Starberth die Schlüssel aushändigte. Der Rest bleibt noch zu tun. Als - ähäm - möglicherweise älterer Freund als Sie alle«, seine dünne Stimme wurde hoch und rasselnd, »wird es mir wohl erlaubt sein, einige Angelegenheiten vertraulich zu behandeln.«

Rampole war so aufgebracht, daß er schlucken mußte. »Was wollen Sie damit sagen, Sir?« fragte er heftig.

»Immer mit der Ruhe«, beschwichtigte ihn Dr. Fell.

»Kommen Sie, Miss Starberth«, sagte der Anwalt.

Er schob seine Manschetten hoch und schlurfte los. Als er sich umblickte, sahen sie seine Augäpfel weißlich glitzern. Rampole drückte die Hand des Mädchens, dann waren beide fort.

»Tss, tss, tss«, verwies ihn der Doktor nach kurzem Schweigen. »Schimpfen Sie nicht. Er wacht doch nur eifersüchtig über seine Position als Berater der Familie. Ich selber bin viel zu beunruhigt, um schimpfen zu können. Ich hatte eine Theorie, aber... Ich weiß nicht. Alles läuft verkehrt, total verkehrt... Kommen Sie, zum Essen.«

Vor sich hin murmelnd führte er sie den Weg hinauf. Laut schrie etwas in Rampoles Herz, die Dämmerung schien voller Phantome. Einen kurzen Moment lang dieses befreite, lachende Wesen, in dessen Haaren beim Laufen der Wind spielte, der sehnsüchtige Ausdruck in dem kleinen, kantigen Gesicht, das traurige Lächeln auf der Brücke, das Praktische, das Spöttische, die koboldhaften Scherze. Dann, unvermittelt, ihr Erbleichen bei den Weißdornhecken, der kurze Seufzer, als all das Schreckliche zurückkam. Paß auf, daß ihr nichts passiert! Gib acht, daß kein Unheil sie trifft! Paß gut auf, denn es ist ihr Bruder...

Ihre Schritte raschelten im Gras, und man hörte das an- und abschwellende Summen der Insekten. Aus der Ferne, aus der trüben Luft im Westen, vernahm man das Rollen eines Donners.

Kapitel 5

Hitze. Drückende, ungesunde Hitze mit kleinen Böen, die wie aus einem Ofen nur kurz durch die Blätter der Bäume pufften und sofort verebbten. Wäre dieses Haus wirklich ein Schweizer Barometer gewesen, dann hätten dessen Figuren jetzt wild in ihrem Chalet herumsausen müssen.

Sie aßen bei Kerzenlicht in einem kleinen eichengetäfelten Raum mit Zinngeschirr an den Wänden. Er war so warm wie das Essen, der Wein wärmer als beides. Dr. Fells Gesicht rötete sich zusehends, ständig füllte er sein Glas nach. Seine Frische und Beredsamkeit waren dahin, und selbst Mrs. Fell war still, wenn auch etwas nervös. Ständig reichte sie die falschen Dinge herum, was aber niemand bemerkte.

Auch mit Kaffee, Zigarren und Portwein hielten sie sich, entgegen der sonstigen Gewohnheiten des Doktors, nicht mehr auf. Rampole ging anschließend sofort hinauf in sein Zimmer. Er zündete eine Öllampe an und begann sich umzuziehen. Er zog eine alte Flanellhose an, ein bequemes Hemd und Tennisschuhe. Das Zimmer war klein, mit schrägen Wänden, und durch das einzige Fenster sah man, geschützt vom Dachüberhang, auf die Seite des Chatterham-Gefängnisses und den Hexenwinkel. Ein Flugkäfer stieß mit einem Knall, der Rampole auffahren ließ, gegen den Fliegendraht; um die Lampe flatterte bereits eine Motte.

Es war eine Erleichterung, etwas zu tun. Er zog sich fertig an und lief dann ruhelos umher. Die Luft hier oben war stickig und, wie auf einem Dachboden, erfüllt vom Geruch trockener Holzbalken; selbst der Kleister hinter der Tapete schien einen muffigen Geruch zu verbreiten. Doch das Schlimmste war die blakende Öllampe. Den Kopf gegen das Drahtgitter gepreßt, spähte er hinaus. Gerade ging der Mond mit kränklich fahlem Kranz auf.

Es war nach zehn. Verdammte Ungewißheit! Auf dem Nachttisch neben dem Himmelbett tickte mit irritierendem Gleichmut ein Reisewecker. Der Kalender im unteren Teil der Uhr wollte unablässig wissen, wo er denn am 12. Juli des vergangenen Jahres gewesen war; Rampole konnte sich nicht erinnern. Ein neuer Windstoß raschelte in den Bäumen. Hitze, die stechend und dumpf auf dem Körper lastete und in schwindligmachenden Wellen das Gehirn überflutete. Hitze... Er blies die Lampe aus. Dann stopfte er Pfeife und Tabaksbeutel in seine Tasche und ging die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer, wo Mrs. Fell in einer Illustrierten mit großen Bildern blätterte, knarrte unermüdlich ein Schaukelstuhl. Rampole ging hinaus auf den nächtlichen Rasen. Der Doktor hatte zwei Korbstühle auf die dem Gefängnis zugewandte Hausseite hinübergeschleppt. Dort war es vollständig dunkel und bedeutend kühler. Rotglühend bewegte sich der Kopf seiner Pfeife hin und her. Als Rampole sich gesetzt hatte, bekam er ein kaltes Glas in die Hand gedrückt.