»Was ist ihm denn passiert?«
»Gideon!« rief eine vorwurfsvolle Stimme, gefolgt von einer Klopf-salve gegen die Tür des Arbeitszimmers, die Rampole aufspringen ließ. »Gideon! Tee!«
»Hä?« Dr. Fell hob den Kopf und glotzte verständnislos.
Mrs. Fell beklagte sich. »Der Tee, Gideon! Und ich wünschte, du könntest dieses schreckliche Bier sein lassen - obwohl die Butterplätzchen, weiß Gott, schlecht genug sind. Und dann diese stickige Luft da drin, außerdem sehe ich den Pfarrer und Miss Starberth schon den Weg heraufkommen.« Ein tiefes Atemholen war zu hören, worauf Mrs. Fell noch einmal zusammenfaßte: »Tee!«
Mit einem Seufzer erhob sich der Doktor. Sie hörten, wie Mrs. Fell den Korridor hinuntereilte und murmelte: »Nichts als Ärger, Ärger, Ärger«, - wie der defekte Anlasser eines Autos.
»Wir heben uns das für später auf«, sagte Dr. Fell.
Dorothy Starberth kam den Weg hoch. Mit leichtem Schritt ging sie an der Seite eines mächtigen, kahlköpfigen Mannes, der sich mit seinem Hut Luft zufächelte. Einen Augenblick lang verspürte Rampole einen Anfall von Schwäche. - Nur ruhig! Benimm dich jetzt bloß nicht wie ein Dreijähriger. Er hörte ihre helle, spöttische Stimme. Sie trug einen gelben Pullover mit hohem Kragen und ein braunes Kostüm, die Hände steckten in den Jackentaschen. Die Sonne schimmerte auf ihrem vollen schwarzen Haar, das sie achtlos nach hinten gestrichen hatte. Wenn sie sich zur Seite drehte, war ihr Profil zu sehen, das so klar geschnitten war wie eine Vogelschwinge. Sie kamen jetzt über den Rasen, ihre dunkelblauen Augen fixierten ihn unter langen Wimpern. »Ich glaube, Sie kennen Miss Starberth«, sagte Dr. Fell. »Mr. Saunders, dies ist Mr. Rampole aus Amerika. Er ist zu Besuch bei uns.«
Mit der ganzen Kraft zupackenden Christentums drückte der Glatzkopf Rampoles Hand. Mr. Thomas Saunders lächelte professionell, und seine glattrasierten Kinnbacken glänzten. Er war einer jener Geistlichen, die die Leute mit der Bemerkung loben, sie wirkten so ganz und gar nicht wie ein Geistlicher. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, doch die blassen blauen Augen blickten wachsam wie die eines Pfadfinderführers. Mr. Saunders war vierzig Jahre alt, sah aber wesentlich jünger aus. Man spürte, daß er seinem Glauben mit der gleichen Zuversicht und Selbstverständlichkeit diente, mit der er schon Eton (oder Harrow oder Winchester oder wem auch immer) auf dem Sportplatz gedient hatte. Rund um seinen rosigen Schädel flockte ein Kranz blonder Haare wie eine Tonsur, und er trug eine enorme Uhrkette.
»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir«, dröhnte der Pfarrer herzlich. »Ich - äh - hatte die Freude, während des Krieges eine Reihe Ihrer Landsleute kennenzulernen. Vettern von Übersee, wissen Sie, unsere Vettern von Übersee!«
Er lachte leicht und professionell. Diese Mischung aus berufsmäßiger Glätte und Gewandtheit irritierte den Amerikaner. Er murmelte irgend etwas und wandte sich Dorothy Starberth zu.
»Wie geht's Ihnen?« fragte sie und reichte ihm ihre kühle Hand.
»Famos, Sie wiederzusehen. Was machen unsere gemeinsamen Freunde, die Harrises?«
Rampole wollte schon fragen: »Wer?«, als er ihren erwartungsvoll unschuldigen Blick und das aufmunternde angedeutete Lächeln auffing.
»Oh, die Harrises«, sagte er. »Hervorragend, danke sehr, es geht ihnen hervorragend.« Und in einem überraschenden Geistesblitz fügte er hinzu: »Muriel kriegt gerade den ersten Zahn.«
Da niemand von dieser Nachricht beeindruckt zu sein schien und er doch ein wenig unsicher war, ob sie authentisch genug geklungen hatte, wollte er gerade weitere intime Details über die Familie Harris verraten, als Mrs. Fell plötzlich in einem ihrer kuckucksähnlichen Auftritte aus der Haustür geschossen kam und alle mit Beschlag belegte. Sie murmelte eine Reihe kaum zu verstehender Bemerkungen, die sich hauptsächlich auf Bier, Butterkekse und die liebenswürdige Zuvorkommenheit des Pfarrers zu beziehen schienen. Ob er sich denn gut von der gräßlichen Dusche durch den schrecklichen Rasensprenger erholt und ob er sich auch ganz sicher keine Lungenentzündung geholt hätte. Mr. Saunders hüstelte versuchsweise und verneinte letzteres.
»Du meine Güte... wie ärgerlich«, sagte Mrs. Fell, die in die Rabatten getreten war. »So kurzsichtig, blind wie eine Fledermaus. .. Oh, meine Liebe«, sie wirbelte zu dem Mädchen herum, »wo ist denn Ihr Bruder? Sie sagten doch, er würde mitkommen.«
Sekundenlang legte sich wieder jener Schatten über Dorothy Starberths Gesicht, den Rampole dort schon am vergangenen Abend gesehen hatte. Sie zögerte, griff mit einer Hand nach ihrer Manschette, als wollte sie auf die Uhr sehen, zog sie aber sogleich wieder zurück.
»Oh, er kommt noch«, sagte sie. »Er ist im Dorf, kauft noch ein paar Sachen ein. Sicher kommt er gleich.«
Der Teetisch war im Garten hinter dem Haus gedeckt. Eine mächtige Linde beschattete ihn, und ein paar Meter weiter plätscherte ein Bach. Rampole und das Mädchen blieben ein Stück hinter den anderen zurück. »Die kleine Hedwig«, sagte Rampole, »liegt mit Mumps darnieder - «
»Mit den Blattern! Oh, Sie Biest. Ich dachte, Sie wollten mich verraten. In einem kleinem Dorf wie diesem... Woher wußten die, daß wir uns schon kennen?«
»So ein alter Esel von Anwalt hat uns auf dem Bahnsteig miteinander reden sehen. Und ich dachte schon, Sie wollten mich verraten.«
Auf diese außerordentliche Übereinstimmung hin mußten sie sich anblicken, und er sah, daß ihre Augen wieder leuchteten. Er war in Hochstimmung, doch zugleich verlegen. »Ha!« sagte er, beinahe wie Dr. Fell. Beide lachten. Im Gras tanzten Schattenflecken. Mit gedämpfter Stimme fuhr sie fort:
»Ich weiß nicht, wie ich's Ihnen erklären soll, aber ich war so verzweifelt gestern abend wegen diesem und jenem. Und London ist so riesig, und alles ging schief. Ich wollte so gerne mit jemandem reden. Und dann stießen Sie mit mir zusammen und sahen nett aus, also hab' ich es einfach getan.«
Rampole wurde von dem Verlangen gepackt, jemandem einen freudigen Knuff zu versetzen. In seiner Phantasie schlug er Purzelbäume. Seine Brust schwoll vor Glück.
Er sagte, nicht gerade geistreich, aber - Sei aufrichtig, kritischer Leser! - höchst natürlich:
»Ich bin froh, daß Sie es getan haben.«
»Ich auch.«
»Froh?«
»Froh.«
»Ha!« machte Rampole und stieß triumphierend die Luft aus.
Von vorne hörten sie Mrs. Fells dünne Stimme. » - Azaleen, Petunien, Geranien, Pappelrosen, Geißblatt und Heckenröschen!« schallte es, als riefe sie Züge aus. »Ich kann sie nicht erkennen, weil ich so kurzsichtig bin. Aber ich weiß, sie sind da.« Mit strahlendem, wenn auch etwas vagem Lächeln packte sie die Neuankömmlinge und nötigte sie auf die Stühle. »Oh Gideon, Schatz, du holst dir doch nicht schon wieder so ein gräßliches Bier, nicht wahr?«
Aber Dr. Fell hatte sich bereits zum Bach hinuntergebeugt. Geschäftig schnaufend förderte er eine Reihe tropfender Flaschen zu Tage und richtete sich mit einem Stock wieder auf.
»Wissen Sie, Mr. Rampole«, sagte der Pfarrer mit einem Ton gemütlicher Duldsamkeit, »manchmal glaube ich« - er fuhr fort, als wollte er eine schreckliche Anklage vom Stapel lassen, zu der er jedoch, um sie abzuschwächen, verschmitzt lächelte - »manchmal glaube ich, der gute Doktor ist überhaupt kein Engländer. Diese barbarische Angewohnheit, zur Teezeit Bier zu trinken -nein, Sir, das ist einfach nicht englisch!«
Dr. Fell machte ein grimmiges Gesicht.
»Sir«, sagte er, »lassen Sie sich von mir darüber aufklären, daß es der Tee ist, der nicht englisch ist. Werfen Sie einen Blick in den Anhang meines Buches, Anmerkung 86 zu Kapitel 9, das ich solchen Dingen gewidmet habe wie Tee, Kakao oder diesem unsagbar scheußlichen Getränk, das als Eiscreme-Soda bekannt ist. Der Tee, so können Sie dort lesen, kam erst 1666 aus Holland nach England. Aus Holland - vom erbittertsten Feind; und in Holland nannte man den Tee verächtlich >Heuwasser<. Selbst die Franzosen konnten ihn nicht ausstehen, Patin nennt den Tee l'impertinente nouveauté du siècle und Dr. Duncan schreibt in seiner Abhandlung von den warmen Getränken - «