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»Und das vor dem Pfarrer!« klagte Mrs. Fell.

»Äh?« meinte der Doktor und hatte das unbestimmte Gefühl, sie glaube vielleicht, er habe geflucht. »Wie bitte, Liebes?«

»Bier«, sagte Mrs. Fell.

»Zum Teufel«, rief der Doktor leidenschaftlich. »Entschuldigung, ich bitte vielmals um Entschuldigung.« Er wandte sich an Rampole.

»Trinken Sie ein Bier mit mir, mein Junge?«

»Warum nicht?« antwortete dieser dankbar. »Sehr gern.«

»Es kommt aber direkt aus dem kalten Wasser, und ihr holt euch wahrscheinlich beide eine Lungenentzündung«, meinte Mrs. Fell düster. Lungenentzündung schien ihre fixe Idee zu sein. »Wohin das führen soll, weiß ich nicht... Noch etwas Tee, Mr. Saunders? Und da neben Ihnen stehen die Plätzchen... Wo jetzt sowieso jeder eine Lungenentzündung kriegt; auch dieser arme junge Mann, der heute nacht in diesem zugigen Gouverneurszimmer sitzen muß, holt sich da bestimmt eine Lungen - «

Abrupte Stille. Dann begann Saunders sehr geschmeidig und ungezwungen von Blumen zu reden; dabei wies er auf ein Beet mit Geranien. Er schien durch Änderung ihrer Blickrichtung auch ihre Gedanken ablenken zu wollen.

Dr. Fell beteiligte sich an dem Gespräch und funkelte seine Ehefrau an. Ihr war nicht bewußt, daß sie verbotenes Terrain betreten hatte. Doch über die Gesellschaft unter der Linde hatte sich eine Befangenheit gelegt, die nicht mehr weichen wollte.

Ein sanfter, rosiger Widerschein kroch durch den Garten, obwohl es noch einige Stunden hell sein würde. Durch die Zweige des Baumes leuchtete warm und klar der westliche Himmel. Alle schwiegen, selbst Mrs. Fell, und starrten auf das Teeservice. Ein Korbsessel knarrte. In der Ferne hörte man das Klingen und Bimmeln von Glocken. Rampole sah, wie die auf einer weiten Wiese etwas verloren wirkenden Kühe durch die geheimnisschwere Abenddämmerung nach Hause getrieben wurden. Ein dunkles Summen lag in der Luft.

Unvermittelt erhob sich Dorothy Starberth.

»Wie dumm von mir!« sagte sie. »Beinahe hätte ich's völlig vergessen. Ich muß noch ins Dorf und Zigaretten besorgen, bevor der Tabakladen schließt.« Sie lächelte mit betonter Zwanglosigkeit, die aber niemanden täuschen konnte. Ihr Lächeln glich einer Maske. Mit ausgesuchter Sorglosigkeit blickte sie auf ihre Armbanduhr. »Es war herrlich bei Ihnen, Mrs. Fell. Sie müssen bald einmal zu uns kommen. Was meinen Sie«, wandte sie sich, wie einer plötzlichen Eingebung folgend, an Rampole, »würden Sie mich wohl ein wenig begleiten? Sie haben unser Dorf doch noch nicht gesehen, oder? Wir haben eine recht hübsche frühgotische Kirche hier, wie unser Mr. Saunders Ihnen gern bestätigen wird.«

»Allerdings.« Der Pfarrer zögerte, blickte sie recht väterlich an und winkte mit der Hand. »Gehen Sie nur. Ich nehme noch eine Tasse Tee, wenn Mrs. Fell nichts dagegen hat. Es ist so gemütlich hier«, strahlte er seine Gastgeberin an, »man muß sich fast schämen, so zu faulenzen.«

Voller Selbstzufriedenheit lehnte er sich zurück, wie jemand, der murmelt: >Ach, ich war ja auch einmal jung<. Doch Rampole hatte den Eindruck, daß der Pfarrer ganz und gar nicht erbaut war. Plötzlich durchzuckte den Amerikaner der Gedanke, dieser gönnerhafte alte Glatzkopf (sic! so Rampoles erregte Gedanken) könnte mehr als nur seelsorgerisches Interesse an Dorothy Star-berth haben. Zum Teufel mit dem Kerl! Jetzt fiel ihm auch wieder ein, wie einschmeichelnd er sich über ihre Schulter gebeugt hatte, als sie zusammen den Weg heraufgekommen waren.

»Ich mußte da weg«, sagte das Mädchen halb atemlos. Ihre eiligen Schritte raschelten im Gras. »Ich wollte laufen, möglichst schnell.«

»Ich weiß.«

»Wenn man geht«, erklärte sie mit derselben atemlosen Stimme, »fühlt man sich frei. Man hat dann nicht mehr das Gefühl, die Dinge wie ein Jongleur in der Schwebe halten zu müssen, sich halb zu verrenken, um nur ja nichts fallen zu lassen... Oh!«

Gras dämpfte ihre Schritte auf dem schattigen Weg. Die Einmündung des Weges in die Straße war von Hecken verdeckt, doch sie hörten schlurfende Schritte dort draußen und Bruchstücke eines Gesprächs. Plötzlich wurde eine Stimme laut, schwang scharf und gemein durch die sanfte Luft.

»Du kennst das Wort dafür sehr gut«, sagte die Stimme. »Das Wort ist Galgen. Jawohl, und du weißt das ebenso gut wie ich.«

Die Stimme lachte. Dorothy Starberth hielt inne, ihr vor dem dunklen Hintergrund der grünen Hecke scharf geschnittenes Gesicht war voller Angst.

Kapitel 4

Ich muß mich beeilen, diesen Tabakhändler noch zu erwischen«, erklärte das Mädchen unvermittelt. In der Absicht, gehört zu werden, hatte sie sehr laut gesprochen. »Lieber Gott, es ist schon nach sechs. Er legt mir doch jeden Tag eine Schachtel meiner Spezialsorte zurück, und wenn ich nicht komme... Hallo Martin!«

Sie trat auf die Straße und winkte Rampole, ihr zu folgen. Das Stimmengemurmel war verstummt. Mitten auf der Straße stand ein schmächtiger Mann, die Hand noch halb erhoben. Er hatte sich umgewandt und blickte ihnen entgegen. Sein Gesicht unter den dunklen Haaren war verwöhnt und selbstbewußt, das Gesicht eines Mannes, der bei Frauen gewöhnlich leicht ans Ziel kommt; ein verächtlicher Zug lag um seinen Mund. Zudem war er angetrunken und schwankte leicht. Im weißen Staub hinter ihm sah Rampole eine unregelmäßige Spur, die seinen Weg anzeigte.

»Hallo, Dot!« stieß er hervor. »Du kannst dich ja ganz schön an einen ranschleichen! Was soll das?«

Er sprach mit forciertem amerikanischem Akzent. Eine Hand auf dem Arm seines Begleiters, versuchte er sich würdevoll zu geben. Der andere war augenscheinlich ein Verwandter. Seine Gesichtszüge waren grob, wo die des ersten fein aussahen, seine Kleidung war nicht besonders vorteilhaft, und auch der Hut hatte nicht denselben nachlässigen Schwung wie der Martin Starberths. Dennoch hatten beide eine unbestreitbare Ähnlichkeit. Er wirkte verlegen, und seine Hände waren zu groß.

»Zum - zum Tee gewesen, Dorothy?« fragte Martin linkisch, »'tschuldigung, daß wir zu spät kommen. Wir - wir wurden aufgehalten.«

»Natürlich«, sagte das Mädchen ungerührt. »Darf ich vorstellen: Mr. Rampole, Mr. Martin Starberth, Mr. Herbert Starberth. Mr. Rampole kommt auch aus Amerika, Martin.«

»Sie sind Amerikaner?« erkundigte sich Martin lebhaft. »Das ist gut. Woher? New York? Das is' prima. Bin gerade da weg. Arbeite im Verlagsgeschäft. Wo wohnen Sie? - Bei Fell? Der alte Knacker. Kommen Sie mit, oben im Haus trinken wir einen zusammen.«

»Wir gehen zum Tee, Martin«, sagte Herbert mit phlegmatischer Geduld.

»Ach, zur Hölle mit dem Tee. Hören Sie, kommen Sie mit hinauf zum Haus - «

»Du gehst lieber nicht zum Tee, Martin«, sagte seine Schwester.

»Und bitte, trink auch nichts mehr. Sonst wäre es mir ja egal, aber du weißt, warum.«

Martin funkelte sie an. »Ich gehe doch zum Tee«, sagte er herausfordernd, »und ich werde mir auch noch einen kleinen Drink genehmigen. Komm, Bert, los.«

Er hatte Rampole schon vergessen, und der Amerikaner war ihm dankbar dafür. Martin schob seinen Hut gerade, klopfte sich, obwohl kein Stäubchen zu sehen war, Arme und Schultern ab und straffte sich räuspernd. Als der durch nichts zu erschütternde Herbert ihn fortgeleiten wollte, flüsterte ihm Dorothy zu: »Laß ihn nicht hinaufgehen und sieh zu, daß er zum Abendessen wieder in Ordnung ist, hörst du?«