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Nachdem sie ihrer religiösen Pflicht genügt hatte, ging Fidelma zu einer Waschschüssel, die auf dem Tisch in ihrem Zimmer stand, und wusch sich rasch mit dem fast eiskalten Wasser. Sie trocknete sich kräftig ab, bevor sie sich ankleidete. Als sie fertig war, trat sie auf den Gang hinaus. Die Tür von Cass’ Zimmer stand offen, und es war leer, also ging sie den Gang entlang, der nun nach Einbruch der Dunkelheit von ein paar flackernden Kerzen erhellt wurde, die in abgeschirmten Haltern an den Steinwänden steckten.

»Ach, Schwester Fidelma.« Es war die schnaufende Gestalt von Bruder Rumann, die aus der Dunkelheit auftauchte, als sie die Treppe zur Haupthalle im Erdgeschoß des Gästehauses hinabstieg. »Hast du die Vesper verpaßt?«

»Ich habe zu lange geschlafen und wurde von der Glocke geweckt. Ich habe die Anrufung des Herrn in meinem Zimmer gebetet.«

Sie biß sich auf die Lippen. So entschuldigend hatte es nicht klingen sollen, doch glaubte sie, einen tadelnden Ton aus den Worten des Verwalters herausgehört zu haben.

Bruder Rumanns breites Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, ob aus Geringschätzung oder aus Mitgefühl, das wußte sie nicht.

»Dein Begleiter war in der Abteikirche und ist wahrscheinlich jetzt auf dem Wege zum praintech, wie wir unseren Speisesaal nennen, zum Abendessen. Soll ich dich hinführen?«

»Ich wäre dir dankbar dafür, Bruder«, antwortete Fidelma.

Der füllige Mönch nahm eine Kerze von der Wand und ging voran über den jetzt dunklen Hof in das angrenzende große Gebäude, dem Mönche und Nonnen in langen Reihen zustrebten.

»Mach dir keine Sorgen, Schwester«, meinte Bruder Rumann. »Der Abt hat angeordnet, daß du und Cass während eures Aufenthalts hier die Mahlzeiten an seinem Tisch einnehmt.«

»Und weshalb sollte ich mir Sorgen machen?« fragte Fidelma neugierig.

»Wir haben so viele Leute in der Abtei, daß wir in drei Durchgängen essen müssen. Der dritte Durchgang bekommt sein Essen oft kalt, was zu Beschwerden Anlaß gibt. Deshalb arbeiten wir gegenwärtig am Bau eines neuen Speisesaals am östlichen Ende der Abtei. Im neuen praintech werden wir alle Platz finden.«

»Ein Speisesaal, der mehrere hundert Menschen unter einem Dach faßt?«

Fidelma konnte den skeptischen Ton ihrer Frage nicht unterdrücken.

»Genau das, Schwester. Eine große Aufgabe, die bald gelöst sein wird, le cunamh De.« Er fügte das »So Gott will« in andächtigem Ton hinzu.

Sie blieben in der Vorhalle des Speisesaals stehen, und ein diensttuender Mönch nahm ihnen ihre Schuhe oder Sandalen ab und stellte sie zu den anderen, denn es war in den meisten religiösen Gemeinschaften üblich, sich barfuß zu Tisch zu begeben. Dann führte Rumann sie durch die Halle, deren Tische voll mit Mönchen und Nonnen besetzt waren. Der Speisesaal wurde von zahlreichen flackernden Öllampen erhellt, deren durchdringender Geruch sich mit dem schweren Rauch des Torffeuers mischte, das im großen Kamin am Kopfende der Halle glomm. Dazu kam noch der Duft des Weihrauchs. Lampen und Feuer zusammen richteten aber wenig aus gegen die Kälte des Herbstabends. Erst nach einer Weile entstand etwas Wärme durch die zweihundert dicht gedrängten Körper.

Abt Brocc hatte schon mit dem Gratias begonnen, als Bruder Rumann Fidelma eilig zu einem leeren Platz am Tisch neben Cass führte, der sie mit einem belustigten Lächeln stumm begrüßte.

»Benedicnobis, Domine Deus ...«

Fidelma kniete rasch nieder, ehe sie sich setzte.

»Hast du verschlafen?« flüsterte ihr Cass fröhlich zu.

Fidelma schnaubte und ignorierte die Frage, deren Antwort sich von selbst ergab.

Das Gratias war beendet, und das Scharren der Bänke auf dem Steinfußboden erfüllte den Raum.

Obwohl sie erst vor vier Stunden gegessen hatten, langten Fidelma und Cass kräftig zu. Es gab gebratenen Fisch mit wildem Knoblauch und duilesc, einer Meerespflanze, die an den Felsen der Küste gesammelt wurde. Dazu wurde Gerstenbrot gereicht. Krüge mit Bier standen auf den Tischen, und jeder durfte sich einen Tonbecher daraus füllen. Den Abschluß der Mahlzeit bildeten Äpfel und mit Honig gebackene Weizenkekse.

Das Mahl wurde schweigend eingenommen, das, so wußte Fidelma, schrieb die Regel des heiligen Fachtna vor. An einem erhöhten hölzernen Pult am Ende des Raumes stand ein Lektor und las Stellen aus der Heiligen Schrift vor. Fidelma lächelte müde, als der Lektor ausgerechnet mit einem Abschnitt aus dem dritten Kapitel des Predigers Salomo begann: »Denn ein jeglicher Mensch, der da ißt und trinkt und hat guten Mut in aller seiner Arbeit, das ist eine Gabe Gottes.«

Die Mahlzeit endete mit einem Glockenschlag, und Abt Brocc erhob sich und sprach erneut das Gratias.

Als sie den Speisesaal verließen und ihr Schuhwerk wieder an sich nahmen, trat Brocc zu ihnen, gefolgt von Bruder Rumann.

»Hast du gut geruht, Kusine?« fragte er Fidelma.

»Ja, recht gut«, antwortete Fidelma. »Jetzt hätte ich gern deine Erlaubnis und Vollmacht, mit der Lösung meiner Aufgabe zu beginnen.«

»Was soll ich tun? Du brauchst es nur zu sagen.«

»Ich benötige jemanden, der mir hilft, die Leute zu finden, die ich befragen muß, der sie zu mir bringt und Botengänge für mich erledigt. Er oder sie muß die Abtei kennen und mich überall hinführen können, wohin ich will.«

»Bruder Rumanns Gehilfin, Schwester Necht, soll diese Aufgabe übernehmen«, sagte der Abt lächelnd und wandte sich an den beleibten Verwalter, der heftig nickte zum Zeichen seines Einverständnisses. »Was noch, Kusine?«

»Ich brauche ein Zimmer, in dem ich meine Untersuchungen durchführen kann. Das Zimmer neben meinem im Gästehaus wäre gut dazu geeignet.«

»Es gehört dir, solange du willst.«

»Dafür sorge ich«, ergänzte Rumann, auf das Wohlwollen seines Abts bedacht.

»Fangen wir also an.«

»Gott segne eure Arbeit«, sagte der Abt feierlich. »Haltet mich auf dem laufenden.«

Er verließ den Speisesaal, und Bruder Rumann lief atemlos hinter ihm her.

Schwester Necht, Bruder Rumanns Gehilfin, war die schwerfällig wirkende Novizin, die Fidelma kurz nach ihrem Eintreffen in der Abtei gesehen hatte. Conghus hatte sie ersucht, sich um Schwester Eisten und die Kinder zu kümmern. Sie hatte ein frisches Gesicht und rötliches, fast kupferrotes lockiges Haar, das unter ihrer Haube hervorquoll. Ihre Schultern waren etwas zu breit und ihr Kinn zu kantig, als daß man sie hätte hübsch nennen können. Fidelma stellte fest, daß sie gern lächelte, aber leicht aus der Fassung zu bringen war. Sie schien jedoch willig und freute sich offensichtlich über eine Aufgabe, die aus dem Rahmen des streng geordneten Tagesablaufs fiel, der das Leben in der Gemeinschaft bestimmte.

Ein wenig fühlte sich Schwester Necht offenbar von Schwester Fidelma eingeschüchtert. Offenkundig hatte man ihr erklärt, daß Fidelma die Schwester des Thronfolgers des Königreichs war, eine Kusine des Abts und durch eigenes Verdienst eine angesehene dalaigh an den Gerichten des Landes, die Urteile vor dem Großkönig und sogar auf Ersuchen des Heiligen Vaters im weit entfernten Rom gesprochen hatte. Fidelma verzieh ihr ihre Aufgeregtheit und ihre unterwürfige, übertriebene Bewunderung. Das würde sie mit zunehmendem Alter ablegen. Fidelma fand es traurig, daß Kinder so schnell erwachsen wurden. Wie hatte doch Publilius Syrus geschrieben? Wenn du in Unschuld leben willst, bewahre dir das Herz und das Gemüt, das du in deiner Kindheit besessen hast.