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Fidelma schüttelte den Kopf.

»Ich möchte nur, daß er bei der Verhandlung anwesend ist.«

Broccs Miene wurde wieder sorgenvoll.

»Ach, ich dachte, wenigstens ein Rätsel sei gelöst.«

»Ein Rätsel?« Die Nuance war Fidelma nicht entgangen.

»Ich habe erfahren, daß du gestern abend nach Schwester Grella gesucht hast?«

»Das stimmt. Was ist mit Schwester Grella geschehen?« fragte sie voll trüber Ahnungen.

»Ich wollte, ich wüßte es. Seit gestern kurz nach der Vesper ist Schwester Grella nicht mehr gesehen worden. Heute morgen wurde die Bibliothek nicht geöffnet, und Bruder Rumann berichtet mir, daß es kein Anzeichen dafür gibt, daß sie in ihrem Zimmer geschlafen hat. Er erkundigte sich bei Bruder Conghus, und der erklärte ihm, daß du gestern abend nach ihr gefragt hast.«

Fidelma ließ sich vor dem Tisch des Abts nieder, bevor sie fortfuhr. »Ist sie früher schon einmal verschwunden?«

»Nicht, soweit ich weiß«, antwortete der Abt. »Das alles ist sehr belastend, Kusine. Erst wird Dacan tot aufgefunden, dann Schwester Eisten, und nun wird Schwester Grella vermißt. Wie soll ich das alles verstehen?«

Einen Augenblick tat Fidelma ihr Vetter leid. Er wirkte wie ein verlorenes, hilfloses Kind, das jemanden braucht, der ihm sagt, was es tun soll.

»Ich wünschte nur, ich könnte dir helfen, Brocc. Im Moment bin ich ebenso ratlos wie du. Aber es gibt ein paar Dinge, die ich dich fragen möchte und die absolut vertraulich bleiben müssen.«

Der Abt schwieg erwartungsvoll.

»Weißt du etwas über Bruder Midachs Vorleben?«

»Bruder Midach?« fragte Brocc überrascht. »Er ist ein guter Arzt. Er ist seit vier Jahren in Ros Ailithir. Warte mal ... er kam aus der Abtei Cealla zu uns.«

»Und Schwester Necht?«

»Sie ist seit ungefähr sechs Monaten in der Abtei.«

»Ist sie auch aus Cealla?«

»Nein. Wie kommst du darauf? Ich glaube, sie stammt aus einem Dorf nicht weit von hier. Warum fragst du sie nicht selbst?«

»Es kam mir nur so in den Sinn. Ich dachte, es bestünde irgendeine Verbindung zwischen Midach und Necht.«

»Nun, er hat sie in die Abtei eingeführt, das ist richtig. Er behandelte ihren kranken Vater, und als ihr Vater starb und sie als Waise zurückließ, schlug Midach vor, sie hier als Novizin aufzunehmen. Ich glaube, er ist ihr Seelenfreund.«

Fidelma seufzte. Sie fragte sich, ob das alles auch irgendwie mit Osraige zu tun hatte. Was es genau sein könnte, dessen war sie sich nicht sicher, aber Osraige war bestimmt der Mittelpunkt all der Geheimnisse, davon war sie inzwischen überzeugt.

Der Abt drang nicht weiter in sie. »Wie soll ich das alles verstehen?« wiederholte er beinahe kläglich.

Fidelma war nun klar, daß sie nicht ohne Schwester Grella weiterkam, wenn sie nicht einen ganz neuen Weg beschritt. Das bedeutete, einiges von dem, was sie in Erfahrung gebracht hatte, als Köder preiszugeben.

»Wußtest du, daß Schwester Grella früher einmal die Frau des Ehrwürdigen Dacan war?« fragte sie unschuldig.

Abt Brocc klappte der Unterkiefer herunter.

»Was sagst du da? Hat sie dir das selbst anvertraut?«

»Ich habe es von jemand erfahren, der sie in Laigin kannte. Du wußtest es also nicht?«

»Ich wußte nur, daß sie aus Cealla kommt und den Grad einer sai besitzt. Aber daß sie die frühere Frau des Ehrwürdigen Dacan ist ... Bist du dir da ganz sicher?«

»Ich habe einen Zeugen dafür. Gestern abend habe ich ihr Zimmer durchsucht. Das Recht dazu habe ich«, fügte sie eilig hinzu, als sie Broccs gekränkte Miene bemerkte. »Dacan wurde gefesselt, bevor er getötet wurde. Die Fesseln wurden zum Glück von Bruder Martan, dem Apotheker, aufgehoben. Gestern abend fand ich den Rock, von dem die Stoffstreifen, die als Fesseln dienten, abgerissen wurden. Der Rock war in einer Tasche in Schwester Grellas Zimmer versteckt.«

Als Abt Brocc begriff, was das bedeutete, stützte er den Kopf in beide Hände und begann zu wimmern.

Fidelma betrachtete ihn mit verächtlichem Blick.

»Der Ruf der Abtei ist zuschanden«, jammerte er.

»Was soll ich nur tun? Du erklärst mir, daß Grella eine Mörderin ist und das Motiv für den Mord eine schmutzige Leidenschaft?«

»Die Schande für die Abtei kannst du vorerst einmal vergessen, Vetter«, antwortete Fidelma trocken. »Zuerst wollen wir das Rätsel lösen.«

»Aber solche Nachrichten treiben mir die Schamröte ins Gesicht«, stöhnte Brocc.

»Dann denk daran, daß Diogenes einmal schrieb: >Das Erröten ist die Farbe der Tugend<«, konterte Fidelma sarkastisch. »Die einzige Schande besteht darin, keine Scham zu besitzen.«

Brocc riß sich zusammen.

»Es geht mir nicht um mich selbst«, sagte er weinerlich. »Ich sorge mich um den Ruf der Abtei. Du glaubst also, daß Grella Dacan umgebracht hat?«

Fidelma schwieg sich darüber aus.

»Wußtest du, Brocc, daß Schwester Grella ungefähr vor einer Woche auf Salbachs Burg in Cuan Doir war? Wenn ja, hatte sie deine Erlaubnis, die Abtei zu verlassen und Salbach zu besuchen?«

Der Abt starrte sie verständnislos an.

»Nein. Ich gab Schwester Grella vor einer Woche die Erlaubnis, nach Rae na Scrine zu reiten und Schwester Eisten zu besuchen, die dort arbeitete. Sie sollte ihr ein Buch zurückbringen und ein paar Kräuter und Medikamente von Bruder Martan gegen die Pest dorthin mitnehmen. Warum sollte sie in die entgegengesetzte Richtung reiten und Salbach aufsuchen?«

»Vielleicht war sie erst bei Schwester Eisten, und dann sind beide zu Salbachs Burg gegangen?«

»Aber warum?«

Plötzlich kam Fidelma ein Gedanke. Wenn Eisten eine Überfahrt für sich und Schwester Grella gesucht hatte, war Grella dann vielleicht auf das Handelsschiff geflohen? Fidelma stand auf, ging ans Fenster und blickte hinunter auf die Bucht.

Neben Mugrons Kriegsschiff lag noch immer das fränkische Handelsschiff vor Anker. Der Abt war neben sie getreten und sah verblüfft hinab.

»Was siehst du da, Kusine?«

»Ich hatte befürchtet, das fränkische Handelsschiff hätte schon die Anker gelichtet.«

Brocc runzelte die Stirn.

»Ich glaube, es will morgen mit der Vormittagsflut auslaufen.«

»Dann bitte ich dich, Cass die Vollmacht zu erteilen, an Bord zu gehen und das Schiff zu durchsuchen, bevor es ausläuft.«

»Zu durchsuchen?«

»Ja. Es gründlich zu durchsuchen, während wir weiterreden«, beharrte Fidelma. »Ich ordne es hiermit an kraft meiner Machtbefugnis als dalaigh. Möglicherweise ist Schwester Grella an Bord.«

Brocc blickte völlig verdattert drein, entgegnete aber nichts. Statt dessen zog er die Glocke, die seinen Sekretär herbeirief. Er wies ihn an, Cass zu suchen und ihm Fidelmas Anordnungen zu übermitteln.

»Wenn es Ärger gibt, sag Cass, er soll dem fränkischen Kapitän klarmachen, daß er, solange er in der Bucht ankert, den Gesetzen dieses Königreichs zu gehorchen hat«, gab sie dem Sekretär noch mit auf den Weg, der davoneilte, um seinen Auftrag auszuführen.

»Du mußt mir das erläutern, Kusine«, meinte Brocc und setzte sich wieder. »Du meinst, Grella habe gemerkt, daß du ihre verborgene Schuld aufgedeckt hast, und deshalb versucht sie zu fliehen?«

»Ich wünschte, ich wüßte das so genau, Vetter«, antwortete Fidelma. »Kannst du mir etwas sagen über Schwester Eisten und ihr Verhältnis zu deiner Bibliothekarin?«

Brocc hob wie bittend die Hände.

»Die arme Eisten. Da gibt es wenig zu sagen. Sie wurde hier in der Abtei ausgebildet, und zwar ursprünglich als Arztgehilfin. Sie spezialisierte sich auf die Pflege von Kindern. Sie war bei uns, seit sie vierzehn war, ausgenommen die drei Jahre ihrer Pilgerfahrt ins Heilige Land.«

»Bruder Conghus berichtete mir, sie habe auch in der Bibliothek studiert«, unterbrach ihn Fidelma.