Ihr eisiger Ton ließ den Mönch zögern.
»Pater Mel. Aber wie ich schon sagte, Schwester, unsere Brüder leben hier abgeschieden von der Gesellschaft von Frauen entsprechend den Regeln des heiligen Finan.«
Fidelma wußte, daß es Klöster gab, die Frauen nicht betreten durften, denn Männer wie Finan von Clo-nard und Enda von Aran glaubten, die Bibel lehre, daß Frauen vom Bösen geschaffen wären und man sie deshalb niemals ansehen sollte. Solche ketzerischen Lehren waren Fidelma verhaßt. Sie fand es überhaupt nicht gut, daß Ideen dieser Art Unterstützung aus Rom erhielten, was schon fast dem Versuch gleichkam, das Zölibat durchzusetzen mit dem von Augustin von Hippo vorgebrachten Argument, der Mann sei nach dem Bilde Gottes geschaffen, die Frau aber nicht.
»Ich bin Fidelma, die Schwester des Königs Colgü von Muman. Ich bin dalaigh bei Gericht und handle im Auftrag des Königs, meines Bruders.«
Niemals hätte Fidelma diese Form der Vorstellung benutzt, hätte sie nicht den Eindruck gehabt, daß sie anders hier nichts ausrichten könne.
»Ich bin hier, um einen gewaltsamen Todesfall zu untersuchen. Nun führe mich sofort zu Pater Mel.«
Der Mönch schaute entsetzt drein und zuckte nervös mit den Augen.
»Ich wage es nicht, Schwester.«
Cass lockerte demonstrativ sein Schwert in der Scheide und blickte den Pfad entlang, den der Mönch heruntergekommen war.
»Ich meine, du solltest es wagen«, sagte er kühl, als spreche er nur seine Gedanken aus.
Der Mönch warf ihm einen ängstlichen Blick zu und sah dann Fidelma verlegen an. Er schien mit sich zu ringen. Einen Augenblick später machte er eine resignierende Geste.
»Wenn ihr mir folgen könnt, dann werdet ihr zu Pater Mel kommen. Wenn nicht ...« Hohn schwang in seiner Stimme mit.
Er wandte sich um und lief den Pfad hinauf, der anfangs recht gut begehbar war, sich dann aber plötzlich verengte. Es war schon kein Pfad mehr, sondern sie kletterten fast senkrecht von einer Felsleiste zur anderen empor, wenn auch die Mönche hier und da Stufen in die steile Felswand gehauen hatten. Es war ein schwieriger Aufstieg. Der Wind blies und schüttelte sie und drohte sie manchmal von der Wand zu reißen und in die brodelnde See unter ihnen zu schleudern. Mehrmals mußte sich Fidelma mit Händen und Füßen an den Felsen festklammern, um Halt zu finden.
Der Mönch war den Aufstieg gewöhnt und erhöhte sein Tempo noch. Fidelma kletterte manchmal riskant, um mit ihm mitzuhalten. Cass kam hinter ihr und mußte sie mehrfach stützen. Endlich gelangten sie auf ein kleines Plateau, eine grüne Fläche zwischen zwei Gipfeln, auf der mehrere Steinkreuze standen. Von hier aus führten Stufen an ein paar Felsspitzen vorbei zu einem anderen Plateau, das auf der einen Seite von einer Steinmauer begrenzt wurde.
Fidelma blieb stehen und genoß den großartigen Blick auf das weißbedeckte Little Sceilig und das im Dunst liegende Festland dahinter.
Auf dem Plateau stand das Kloster, das Finan vor etwa hundert Jahren erbaut hatte. Es bestand aus sechs clochans, bienenkorbförmigen Felshütten, und einem rechteckigen Bethaus. Dahinter lagen noch andere Gebäude und ein weiteres Bethaus. Überrascht stellte Fidelma fest, daß es auch einen kleinen Friedhof mit Steinplatten und Kreuzen gab. Sie fragte sich, wo man auf dieser ungastlichen Insel genügend Erde fand, um irgend etwas zu begraben. Es war ein wilder, ja grausamer Ort, um darauf sein Leben zu fristen.
Mehrere Brüder arbeiteten in einem kleinen Garten, dem unverputzte Steinmauern ein wenig Schutz boten. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, daß es auch zwei Brunnen gab.
»Das ist wirklich ein erstaunlicher Ort«, flüsterte sie Cass zu. »Kein Wunder, daß die Brüder so darauf versessen sind, unter sich zu bleiben.«
Der Mönch, der sie begleitet hatte, war verschwunden, vermutlich in einem der Steingebäude.
Die Gärtner waren auf sie aufmerksam geworden, sie hörten auf zu arbeiten und redeten unruhig untereinander.
»Ich glaube, sie sind nicht sehr erfreut, dich zu sehen, Fidelma«, meinte Cass, die Hand wieder am Schwertgriff.
Der Mönch war eben so plötzlich wieder da, wie er verschwunden war.
»Hier lang. Pater Mel wird mit euch sprechen.«
Sie sahen sich einem alten Mann mit runzligem Gesicht gegenüber, der mit untergeschlagenen Beinen in einer der bienenkorbförmigen Hütten saß. Die Hütte war so niedrig, daß sie entweder dem Beispiel des Alten folgen und sich auf ein paar auf dem Boden liegende Schaffelle setzen oder gebückt stehen mußten. Fidelma ließ sich im Schneidersitz dem Alten gegenüber nieder.
Er sah sie mit seinen hellblauen Augen nachdenklich an. Sein Gesicht schien aus dem Felsen der Insel herausgehauen, so starr und steinern war seine Miene. Viele Linien hatten sich tief in sein wettergebräuntes Gesicht gegraben.
»»In hoc loco non ero, ubi enim ovis, ibi mulier ...
ubi mulier ... ibi peccatum«, zitierte der Alte leidenschaftslos.
»Ich weiß, daß du nicht den Wunsch hast, mit Frauen zu verkehren«, antwortete Fidelma. »Ich würde eure Regel auch nicht verletzen, wenn es nicht um einen höheren Zweck ginge.«
»Höheren Zweck? Der Verkehr der Geschlechter im Glauben widerspricht der Disziplin des Glaubens«, knurrte Pater Mel.
»Im Gegenteil, wenn beide Geschlechter sich voneinander fernhielten, dann gäbe es bald kein Volk, keinen Glauben und keine Kirche mehr«, entgegnete Fidelma ironisch.
»Abnegabant mulierum administrationem separan-tes eas a monasteriis«, zitierte Pater Mel salbungsvoll.
»Wir können hier sitzen und uns lateinisch unterhalten, wenn du willst«, seufzte Fidelma. »Aber hergekommen bin ich wegen wichtigerer Dinge. Ich möchte mich nicht aufdrängen, wo ich unwillkommen bin, wenn ich es auch kaum glauben kann, daß es Orte in den fünf Königreichen von Eireann gibt, an denen unsere Gesetze und Bräuche derart abgelehnt werden. Doch je eher ich Antwort auf meine Fragen erhalte, desto eher kann ich die Insel wieder verlassen.«
»Was möchtest du?« fragte Pater Mel kühl. »Mein Schüler berichtete mir, du seist eine dalaigh mit einem Auftrag des weltlichen Königs dieses Landes.«
»Das stimmt.«
»Was muß ich also tun, damit du deinen Auftrag erfüllen und schnell wieder abreisen kannst?« »Habt ihr jemanden aus dem Lande Osraige in diesem Kloster?«
»Wir heißen jeden in unserer Bruderschaft willkommen.«
Fidelma gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden.
»Das ist nicht das, wonach ich fragte.«
»Nun gut, ich selbst stamme aus Osraige«, erwiderte Pater Mel vorsichtig. »Was willst du wissen?«
»Ich glaube, vor einiger Zeit hat jemand aus Osraige hier Zuflucht gefunden. Ein Abkomme der ursprünglichen Könige. Ein Erbe Illans. Wenn das stimmt, dann würde ich ihn gern sprechen, denn ich fürchte, sein Leben ist in Gefahr.«
Pater Mel lächelte beinahe.
»Folglich willst du mit mir sprechen? Illan, von dem du redest, war mein Vetter, wenn ich mich auch nicht als Erben irgendeiner weltlichen Macht betrachte.«
»Ist das wahr?« Dacan hatte geschrieben, der Erbe Illans werde von seinem Vetter behütet, doch sie hatte nicht erwartet, daß der alte Klostervorsteher dieser Vetter wäre.
»Es ist nicht meine Gewohnheit zu lügen, Frau«, erwiderte der Alte. »Du glaubst also, daß mein Leben in Gefahr ist?«
Fidelma schüttelte langsam den Kopf. Pater Mel stellte sicherlich keine Bedrohung der gegenwärtigen Kleinkönige von Osraige dar und auch keinen Kristallisationspunkt für einen künftigen Aufstand.
»Nein. Für dich besteht keine Gefahr. Aber ich habe gehört, daß es einen jungen Erben Illans gibt und daß sein Vetter, offensichtlich du selbst, ihn in seiner Obhut hat.«
Pater Mels Miene blieb steinern.
»Es gibt keinen jungen Erben Illans auf dieser Insel«, sagte er bestimmt. »Darauf schwöre ich dir meinen heiligen Amtseid.«