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Ihr stockte der Atem, als sie erkannte, wie leicht die Lösung des Rätsels war. Die Söhne Illans wurden Primus und Victor genannt. Primus hieß »der Erste«, und war Cetach nicht die Koseform von cet, was ebenfalls »erster« bedeutete? Cetach trug den Namen des legendären Herrschers, der einst das Königreich Osraige gründete. Primus = Cetach. Victor = Cos-rach! Die beiden Jungen waren zwar verschwunden, doch sicherlich konnten die anderen Kinder aus Rae na Scrine den Mönch beschreiben, der sie Schwester Eistens Obhut übergeben hatte.

Abrupt parierte sie ihr Pferd; Cass konnte seines gerade noch zügeln, um nicht gegen sie zu prallen. Schwester Grellas Pferd scheute und wäre beinahe gestürzt.

Fidelma schimpfte sich leise einen Trottel, weil sie auf etwas so Naheliegendes nicht eher gekommen war.

»Was ist?« fragte Cass, fuhr mit der Hand zum Schwertgriff und sah sich um, als erwarte er den Angriff eines unsichtbaren Feindes.

»Ich hatte gerade eine Idee!« antwortete sie glücklich. Sie wußte jetzt, nach wem Dacan gesucht und warum sich Cetach so vor Salbach gefürchtet hatte. Es mußten Cetach und Cosrach sein, die Intat hatte umbringen sollen, als er nach Rae na Scrine geschickt wurde und es niederbrannte.

»Nur eine Idee? Ich dachte, es drohe eine Gefahr«, beklagte sich Cass.

»Es gibt nichts Gefährlicheres als Ideen, Cass«, lachte Fidelma. »Eine einzige Idee, wenn sie richtig ist, erspart uns Jahre mühsamer Erfahrung und die harte Schule vieler vergeblicher Versuche.«

»Ideen bedrohen unser Leben aber nicht mit Schwertern und Pfeilen«, erwiderte Cass.

»Sie können uns sogar noch mehr antun, Cass. Los, weiter«, sagte Fidelma. Sie setzte ihr Pferd wieder in Trab und ritt den Weg entlang, der nach Ros Ailithir hinunterführte.

Bruder Conghus erwartete sie am Tor, und der Abt persönlich kam ihnen entgegengeeilt.

»Schwester Grella!« keuchte er und blickte erstaunt von Grella zu Fidelma. »Du hast die Schuldige gefangengenommen, Kusine?«

Zu Cass’ Überraschung machte Fidelma keine Miene abzusteigen. Sie beugte sich über den Sattelknopf und sagte leise zu ihrem Vetter: »Grella ist auf meine Anweisung in sicheren Gewahrsam zu nehmen. Sie hat sich vor der Ratsversammlung des Großkönigs, wenn sie hier zusammentritt, für vieles zu verantworten. Ihr Verschwinden aus der Abtei wird sie dir selbst erklären.«

»Bedeutet das, daß du zu einem Ergebnis gekommen bist?« fragte Brocc, und mit fast verschwörerischer Miene blickte er über die Schulter zur Abtei. »Der Großkönig und sein Gefolge sind bereits eingetroffen. Barran, der Oberrichter, hat schon nach dir gefragt und .«

Mit erhobener Hand gebot Fidelma dem Abt zu schweigen.

»Im Augenblick kann ich nicht mehr sagen. Wir kommen sobald wie möglich zurück.«

»Zurück? Wo wollt ihr denn hin?« fragte Brocc kläglich, doch Fidelma lenkte ihr Pferd vom Tor der Abtei fort.

»Laß Schwester Grella gut bewachen, auch zu ihrer eigenen Sicherheit«, rief Fidelma über die Schulter zurück.

Cass folgte ihr mit einer Miene, die deutlich verriet, daß er ebenso ratlos war wie der Abt.

»Wenn du es dem Abt nicht sagen kannst, Schwester«, beschwerte er sich, als er sie eingeholt hatte, »vielleicht kannst du es mir wenigstens verraten, wo wir hinreiten?«

»Ich muß das Waisenhaus finden, in das die Kinder aus Rae na Scrine gebracht wurden«, antwortete sie. »Ich weiß, es liegt an der Küste im Osten von hier.«

»Du meinst das Waisenhaus, das Bruder Molua betreibt?«

»Kennst du es?« Sie war überrascht.

»Ich habe davon gehört«, erklärte Cass. »Ich habe mit Bruder Martan darüber gesprochen. Es sollte nicht schwer zu finden sein. Es liegt ungefähr zehn Meilen östlich von hier nahe einer Gezeitenbucht. Aber warum willst du dorthin? Was hoffst du dort zu erfahren?«

»Ach, Cass!« murmelte Fidelma, »wenn ich das wüßte, brauchte ich nicht hinzureiten!«

Cass zuckte hilflos die Achseln, folgte Fidelma aber wie immer.

Wie Cass gesagt hatte, waren es nicht mehr als zehn Meilen quer über eine breite Landzunge. Das Waisenhaus lag an den schlammigen Ufern einer weiten Gezeitenbucht, in die sich aus den nördlichen Bergen gemächlich ein Fluß ergoß. Sie durchquerten den Fluß an einer schmalen Furt und näherten sich einer Art Bauernhof, der von einem Holzzaun umgeben war. Ein breitschultriger Mann trat ihnen am Tor entgegen. Er trug die Kleidung eines Waldarbeiters, doch Fidelma bemerkte das Kruzifix, das an seinem muskulösen Hals hing.

»Bene vobis, meine Freunde«, rief er ihnen zu, als sie ihre Pferde zügelten. Er hatte eine laute gutmütige Baritonstimme, die zu seinem fröhlichen Gesicht paßte.

»Und dir Gesundheit«, erwiderte Fidelma. »Bist du Bruder Molua?«

»Eigentlich heiße ich Lugaid nach Lugaid Loigde, dem Ahnherrn der Corco Loigde. Aber das ist ein so berühmter Name, Schwester, und deshalb ziehe ich seine bescheidenere Verkleinerungsform vor. Molua paßt besser zu mir. Womit kann ich euch dienen?«

Fidelma glitt von ihrem Pferd und stellte sich und Cass vor.

»Solche hochstehenden Besucher haben wir nicht oft«, sagte der große Mann. »Eine Anwältin bei Gericht und ein Krieger aus der Elite des Königs von Cashel. Kommt, ich bringe eure Pferde in den Stall, und dann gestattet ihr mir vielleicht, euch die Gastfreundschaft meines Hauses anzubieten?«

Fidelma hatte nichts dagegen. Sie betrachtete den Bauernhof mit Interesse. Mehrere Kinder spielten in der Nähe eines kleinen Bethauses. Eine ältere Nonne saß unter einem Baum mit einem halben Dutzend Kinder um sich herum. Sie spielte auf einer kleinen hölzernen Rohrflöte, einer cuisech, und sie spielte gut, fand Fidelma. Sie schien den Kindern verschiedene Lieder beizubringen.

Bruder Molua kam zurück.

»Dies ist ein friedlicher Ort, Bruder«, bemerkte Fidelma beifällig.

»Ich bin zufrieden hier, Schwester«, stimmte ihr Molua lächelnd zu. »Kommt mit. Aibnat!«

Eine schlichte Frau mit rundem Gesicht trat in die Tür eines der Häuser. Sie hatte ähnlich offene, gutmütige Züge wie Molua.

»Aibnat, wir haben Gäste. Dies ist meine Frau, Aibnat.«

»Ich habe gehört, daß ihr beide aus Ros Ailithir kommt«, begrüßte sie die Frau. »Untersucht ihr nicht den Tod von Dacan?«

Fidelma nickte bejahend.

»Zum Reden ist noch genug Zeit, wenn unsere Gäste gegessen haben, Aibnat«, tadelte sie Molua und geleitete sie alle ins Haus. Sie betraten einen Raum, in dem ein Herd mollige Wärme verbreitete. Auf dem Herd standen Kessel, aus denen es herrlich duftete. Molua lud sie ein, am Tisch Platz zu nehmen, und holte einen Krug und mehrere Tonbecher.

»Darf ich euch etwas von meinem cuirm anbieten, um die Kälte abzuwehren? Ich destilliere ihn selbst«, fügte er stolz hinzu.

Cass stimmte bereitwillig zu, während sich Fidelma in der Küche umsah.

»Für wie viele Leute kocht ihr hier?« fragte sie beim Anblick der vielen Töpfe.

Die Antwort kam von Aibnat.

»Im Augenblick haben wir hier zwanzig Kinder unter vierzehn Jahren, Schwester. Und wir sind vier Erwachsene, die für sie sorgen. Mein Mann, ich selbst und zwei andere Glaubensschwestern.«

Molua schenkte ein, und sie tranken den scharfen, doch angenehm schmeckenden Schnaps mit Genuß.

»Wie lange gibt es dieses Waisenhaus schon?« fragte Cass.

»Seit vor zwei Jahren die Gelbe Pest zum erstenmal ihre Opfer forderte. In manchen Gemeinden wurden ganze Familien ausgelöscht, und niemand war mehr da, der sich um die übriggebliebenen Kinder kümmerte«, erklärte Aibnat. »Damals erbat mein Mann von Abt Brocc in Ros Ailithir die Erlaubnis, seinen kleinen Bauernhof in eine Zufluchtsstätte für die Waisen umzuwandeln.«

»Ihr habt anscheinend großen Erfolg damit«, lobte Fidelma.

»Möchtet ihr nun essen nach der Reise?« lud sie Molua ein.